Das Coronavirus ist das Thema der Stunde. In Deutschland sind die ersten Fälle bekannt, Gesundheitsminister Jens Spahn bereitet die Bevölkerung auf eine mögliche Epidemie vor. Grund zur Panik, das betont er, gibt es nicht. Bislang, scheint es, hat man den Ausbruch weitgehend im Griff. Der Otto-Normal-Verbraucher hat noch größeren Respekt vor der normalen Grippe als vor Covid-19. Ob das in ein paar Wochen anders aussehen wird, lässt sich nach aktuellem Stand nicht sagen.
Wirtschaftlich macht sich aber schon jetzt weltweit Angst breit. Megakonzerne wie Apple und Microsoft haben Gewinn- und Umsatzwarnungen herausgegeben, Amazon begann schon im Januar, Produkte aus China zu horten, um eventuellen Lieferausfällen zuvor zu kommen. Ganz ironiefrei darf man anmerken: Sie werden’s überleben. Die größten und erfolgreichsten Konzerne der Welt werden sich über ein Jahr Stagnation ärgern, sie werden aber nicht daran zerbrechen.
Existenz auf dem Spiel
Ganz anders sieht das bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), auch bei Online-Händlern, aus. Es könnte sich zum Beispiel als äußerst problematisch herausstellen, „wenn es nicht gelingen sollte, die aktuelle Situation in China in den nächsten Wochen zu normalisieren – oder wenn sich das Virus auf weitere asiatische Länder verbreitet.“ Das sagt Dr. Peter Rinnebach, Experte für Wertschöpfungsketten im Fashion-Handel, im Interview mit OHN. Denn: China, Bangladesch, Indien und Kambodscha stillen 60 Prozent des Bekleidungsbedarfs in Europa. Die Produktionsausfälle sind in anderen Märkten nicht aufzufangen, weil die Kapazitäten schlicht nicht da sind.
Asien ist nicht nur für den Modehandel das schlagende Herz des Geschäfts. Einer Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft zufolge spürt schon jetzt ein Viertel der KMU die Folgen des Coronavirus. „Die Auswirkungen des Coronavirus werden das Wachstum in Deutschland in diesem Jahr erheblich dämpfen“, sagt Mittelstandspräsident Mario Ohoven dem Spiegel. Mehrere Branchen rechnen mit Lieferengpässen aus Asien und selbst die Lombardei in Italien, die vom Virus besonders betroffen ist, ist ein wichtiger Handelspartner für deutsche Unternehmen mit einem Handelsvolumen von 44 Milliarden Euro, was in etwa dem Japan-Geschäft entspricht.
Totale Abhängigkeit
Das Hauptproblem bleibt aber in China. Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, spricht von einem „logistischen Albtraum“. Für kleine Unternehmen kann die Krise verheerend werden, wenn sie weiter anhält, weil die Produktion in den besonders betroffenen Teilen Chinas quasi brachliegt. Wuttke nennt die Epidemie daher einen „Weckruf“, um die Abhängigkeit von China in Zukunft aufzubrechen. Das wird vielen Mittelständlern aber in der aktuellen Situation nicht mehr helfen. Schon gar nicht, wenn sich die Krise auch in Deutschland verschärfen sollte und der wirtschaftliche Betrieb nicht mehr reibungslos ablaufen kann.
Man kann darüber lachen, dass Atemmasken bei Amazon zu Wucherpreisen verscherbelt werden, man kann sich ein wenig ins Fäustchen freuen, dass die Gigakonzerne in ihrem Billigproduktionswahn jetzt mal eine Millionen Dollar teure Quittung bekommen. Und in der aktuellen Situation ist es sowieso „Hätte, hätte, Fahrradkette“. Man sollte diese Krise – und niemand weiß, wie groß die Auswirkungen möglicherweise noch werden – aber wohl tatsächlich als Weckruf verstehen. Die absolute Abhängigkeit von China ist kein neues Phänomen. Und dass sie auch nach hinten losgehen kann, sollte spätestens jetzt ins Bewusstsein rücken.
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