Schon länger heißt es: „Es gibt nichts, was man nicht online kaufen kann.“ Selbst Produkte, die lange Zeit aufgrund besonderer Lageranforderungen wenig für den Online-Verkauf geeignet galten, sind inzwischen vermehrt auch online verfügbar. Frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse fallen beispielsweise in diese Kategorie: Viele Jahre hieß es, dass derartige Produkte kaum Absatz im Netz finden würden – schließlich wollen die Kunden Obst und Gemüse gerne selbst im Markt sehen, sich von der Frische überzeugen und die perfekten Stücke aussuchen. Diese Annahme stimmt sicherlich weiterhin und ist zweifellos mit ein Grund, weshalb Supermärkte mehr als komfortabel durch die Coronakrise gekommen sind. 

Seit einigen Jahren wird frisches Obst und Gemüse aber auch vermehrt online angeboten. Amazon sorgte mit seinem Fresh-Lieferdienst für Aufsehen, in Deutschland etablierte sich Rewe mit seinem hauseigenen Lieferdienst schnell als Pionier im E-Food-Bereich. Heute gehören die Rewe-Transporter in vielen Regionen zum festen Bestandteil des Stadtbildes. Der Lieferservice, der bereits 2011 gestartet wurde, erfreue sich dem Unternehmen zufolge „seit Jahren über eine stets steigende Nachfrage“. Angebot und Verfügbarkeit werden sukzessive ausgebaut, der Service ist mittlerweile in 75 deutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern verfügbar. Und mit dem niederländischen Anbieter Picnic ist jüngst ein weiterer Player aus dem E-Food-Bereich nach Deutschland expandiert.

Der Online-Handel mit Lebensmitteln steht noch immer am Anfang

Dass die Online-Nachfrage nach Lebensmitteln in den vergangenen Jahren zugenommen hat, bestätigt auch Mark Hübner, Country Manager Amazon Fresh & Prime Now in Deutschland. „Ich bin überzeugt, dass im Online-Lebensmittelhandel noch viel Potenzial steckt und die Lieferung mit Lebensmitteln für Kunden immer wichtiger wird“, fügt Hübner hinzu. Darauf deuten auch die Zahlen hin: Statista zufolge lag der Online-Anteil im Lebensmittel-Handel in Deutschland im Jahr 2019 nur bei 1,4 Prozent. Dass der E-Food-Bereich in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, erklärt auch Frederic Knaudt, Gründer des Online-Supermarkts Picnic: „Im Vergleich zu Branchen wie Fashion, elektronische Geräte oder Möbel, wo bereits 30 Prozent oder mehr online bestellt werden, stehen wir im Bereich Lebensmittel mit 1 bis 2 Prozent Online-Anteil noch am Anfang.“

Doch darunter fallen eben nicht nur frische Lebensmittel, sondern auch haltbare Produkte  wie Kaffee, Nudeln und Schokolade. Dem Global Consumer Survey 2020 von Statista zufolge, liegt der Anteil von Obst und Gemüse am Online-Lebensmittelhandel bei sechs Prozent, ebenso wie Milchprodukte. Rewe zufolge haben bei seinem Lieferdienst die bestellten Warenkörbe „eine überdurchschnittliche Durchdringung von Obst und Gemüse – und das ab der ersten Bestellung“. Genaue Zahlen möchte das Unternehmen allerdings nicht preisgeben. Auch Amazon Fresh gibt keine konkreten Werte aus, Mark Hübner erklärt allerdings: „Die meisten Einkäufe unserer Kunden enthalten frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Molkereiprodukte. Das Frische-Sortiment ist bei Kunden sehr beliebt, und Obst und Gemüse ist die größte Kategorie im Frische-Bereich.“ Bio-Salatgurken, Bananen, Joghurtprodukte und Fruchtsäfte seien die am häufigsten gekauften Waren bei Amazon Fresh. Der absolute Bestseller: Bio-Eier. 

Etwas konkreter wird Picnic-Gründer Frederic Knaudt: Die meisten seiner Kunden bestellen einmal pro Woche Lebensmittel, Frischeprodukte machen dabei „über 50 Prozent des Warenkorbs“ aus. Und: Picnic-Kunden sollen „tendenziell mehr frische Produkte einkaufen als Verbraucher im stationären Handel“, womit sich der Online-Lebensmittelhandel gerade in diesem Bereich „als gleichwertige Alternative zum herkömmlichen Supermarkt“ etabliere. 

Besondere Anforderungen an die Logistik

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Frische Produkte aber einfach in die normale Lieferkette zu stecken, ist undenkbar. Der Versand der bestellten E-Food-Ware stellt die Anbieter also vor einige Herausforderungen. Rewe setzt daher seine eigene Lieferflotte mit aktiv gekühlten Fahrzeugen ein. Die Transportboxen sind zudem mit Trockeneis versehen. „Unsere Mitarbeiter werden zur korrekten Handhabung geschult und unterwiesen“, erklärt Rewe. Zudem seien die Mitarbeiter gemäß den gesetzlichen Verordnungen unterwiesen. Auch bei Amazon Fresh liegt ein besonderer Fokus auf der Lagerung und der Überwachung der Kühlkette während des gesamten Transportprozesses. Picnic nutzt ein „Milchmannmodell“, wie Knaudt es nennt: Die Fulfillment-Center des Unternehmens werden demnach mengengenau täglich beliefert – nämlich anhand der Kundenbestellungen. In den Fulfillment-Centern werden alle Bestellungen dann fertig kommissioniert und an die Picnic-Hubs verteilt. Diese liegen möglichst zentral in den Städten, die das Unternehmen bedient. Von den Hubs aus geht es in den eigens entwickelten Elektro-Vans dann zum Kunden. Dabei bündelt Picnic alle Bestellungen am Tag in einer Nachbarschaft und beliefert somit möglichst viele Kunden auf kurzer Strecke.

„Die Herausforderung gerade bei frischen Lebensmitteln, wie Obst und Gemüsen, liegt darin, dass die Ware unbeschädigt bei den Kunden zuhause ankommt“, erklärt auch Rewe. Deshalb ist im gesamten logistischen Prozess große Sorgfalt gefragt – Rewe arbeitet hier mit speziell geschulten Mitarbeitern. Die achten zudem darauf, dass die frischen Lebensmittel „im optimalen Reifegrad“ beim Kunden ankommen. Gerade dieser Reifegrad ist ein empfindliches Thema, wie auch Mark Hübner von Amazon Fresh weiß: „Viele Kunden riechen oder fühlen an einer Ananas im Supermarkt, um zu entscheiden, welche im Einkaufswagen landet. Denn der eine mag sie reifer, der andere möchte sie vielleicht erst in ein paar Tagen essen.“ Amazon Fresh bietet deshalb den Kunden die Möglichkeit, bei der Online-Bestellung aus verschiedenen Reifegraden zu wählen. 

Sollten Kunden von Amazon Fresh einmal Produkte erhalten, deren Reifegrad nicht den Erwartungen entspricht, erhalten sie ihr Geld zurück, so Hübner weiter. Auch Picnic erstattet den Kunden ihr Geld, sollten sie einmal nicht zufrieden sein. Das stelle „allerdings die Ausnahme“ dar, bekräftigt Frederic Knaudt. Bei Rewe haben die Kunden die Möglichkeit, jeden Artikel aus ihrer Bestellung auch an der Haustür abzulehnen, die Lieferfahrer nehmen diese Ware dann wieder kostenfrei mit – zahlen müssen die Kunden für die abgelehnten Artikel natürlich nicht. 

Ein schwieriges Geschäft

Wie schwierig der E-Food-Markt ist, zeigt sich auch daran, dass viele andere Anbieter diesen Bereich noch nicht erschlossen oder sich nach ersten Pilotprojekten wieder aus dem Markt zurückgezogen haben. Kaufland, beispielsweise, hatte einen Lieferdienst in Berlin erprobt, diesen allerdings Ende 2017 eingestellt. Die Erfahrungen während der Pilotphase seien dem Unternehmen zufolge positiv gewesen: „Es hatte sich gezeigt, dass wir auch bei der Lieferung von Lebensmitteln viele Kunden mit den Leistungen von Kaufland überzeugen konnten“, erklärt das Unternehmen gegenüber OnlinehändlerNews. Es waren bereits weitere Liefergebiete geplant, so wurde der Start in Hamburg bereits vorbereitet und ein Lager fertig gebaut, doch dann zog Kaufland beziehungsweise die Schwarz-Gruppe die Reißleine: Das damals unter Druck stehende Filialgeschäft sollte dem Supermarktblog zufolge priorisiert und gestärkt werden. 

„Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit, die Preis- und Marktentwicklung, stellten wir fest, dass sich ein Lieferservice im Lebensmittelbereich auf Sicht nicht kostendeckend betreiben ließ“, heißt es dazu heute von Kaufland. Der Anspruch des Unternehmens: Auch im Internet sollten sich die Kunden auf das Preisversprechen verlassen können. „Höhere Preise bei der Lieferung von Lebensmitteln waren für uns keine Option.“ Die Marktentwicklung bei den Lieferdiensten in Deutschland und auch in anderen Märkten beobachte man bei Kaufland weiterhin – eine Rückkehr in den Online-Handel ist damit also nicht ausgeschlossen. 

Dass Kaufland dem Online-Kanal nicht gänzlich abgeneigt ist, zeigt sich auch darin, dass das Unternehmen in Tschechien, Rumänien und Polen über Kooperationen mit Partnern in diesem Bereich durchaus aktiv ist. „In Tschechien bieten wir ein Sortiment von ca. 600 Kaufland-Eigenmarkenprodukten über den Online-Lieferdienst Košík.cz an. In Rumänien  bieten wir unseren Kunden bereits seit August 2019 einen Lieferservice für ein Teilsortiment über unseren Partner Glovo an. Zusätzlich testen wir seit kurzem auch Click & Collect in Polen“, heißt es dazu. 

Großes Potenzial für E-Food-Anbieter

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Deutschland hat beim Online-Handel mit Lebensmitteln augenscheinlich noch eine Sonderstellung, die Anbieter in diesem Segment vor weitere Herausforderungen stellen. So betont auch Rewe, dass sich die strukturellen Voraussetzungen hierzulande „deutlich“ von anderen Märkten unterscheiden. „Die Dichte an Supermärkten und stationären Einkaufsmöglichkeiten ist viel höher als zum Beispiel in England und Frankreich“, führt das Unternehmen aus. Gleichzeitig seien die Kunden sehr kostensensibel – ein Punkt, der mit den kostspieligen Rahmenbedingungen für den Online-Handel mit frischen Lebensmitteln wohl eher kollidiert. Doch die Entwicklung sieht Rewe deutlich positiv und will auch nicht mehr von einem „Nischen-Phänomen“ sprechen. Für das Unternehmen ist das E-Food-Angebot nach eigener Aussage kein Ersatz für das stationäre Angebot, sondern eben eine Erweiterung der Vertriebskanäle. 

Auch Mark Hübner von Amazon Fresh sieht noch großes Potenzial im E-Food-Bereich in Deutschland. Er sei „überzeugt, dass im Online-Lebensmittelhandel noch viel Potenzial steckt und die Lieferung von Lebensmitteln für Kunden immer wichtiger wird“. Deutschland steht Picnic-Mitgründer Frederic Knaudt zufolge noch am Anfang der Entwicklung – doch diese Entwicklung ist, zumindest anhand der Zahlen seines Unternehmens, rasant. Picnic ist im Frühjahr 2018 in Deutschland gestartet, heute hat das Unternehmen bereits über 1.000 Mitarbeiter in Nordrhein-Westfalen und beliefert 100.000 Kunden in 37 Städten. Und weitere Standorteröffnungen seien bereits geplant.

Die Coronakrise beflügelt die Branche

Nicht zuletzt hat der Branche in diesem Jahr auch die Coronakrise in die Hände gespielt: Sowohl Picnic als auch Rewe berichten von einer stark gestiegenen Nachfrage. Denn durch die Lieferdienste konnten die Kunden den Supermarkt meiden und ihre Lebensmittel erhalten, ohne mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Bei Rewe stieg die Nachfrage derart stark an, dass das Unternehmen sich gezwungen sah, seine Lieferflat, die Kunden die Bestellung ohne zusätzliche Liefergebühren bot, einzustellen. Durch die hohe Nachfrage sei es mitunter nicht mehr möglich gewesen, allen Kunden die gewohnten zeitnahen Lieferfenster anzubieten. Picnic konnte zwischenzeitlich mehr als doppelt so viele Neuregistrierungen verzeichnen, die Fertigstellung eines zweiten Fulfillment-Centers im nordrhein-westfälischen Herne wurde um mehrere Monate vorgezogen, wie Frederic Knaudt berichtet.

Damit hat der E-Food-Bereich durch die Coronakrise einen Aufschwung erlebt, von dem die Branche noch lange profitieren könnte. Denn zumindest wurden die Kunden so auch vermehrt an den neuen Einkaufskanal für frische Lebensmittel wie Obst oder Gemüse herangeführt.