Mieten liegt uns allen ja so ein bisschen im Blut. Wir leben in Wohnungen zur Miete, wir mieten uns im Urlaub in Hotels oder Ferienhäuser ein. Auch unser Medienkonsum läuft heutzutage größtenteils per Mietkonzept: Für Musik zahlen wir monatlich an Spotify oder Deezer, Filme und Serien gibt es dank Flatrate bei Netflix, Amazon Prime Video oder neuerdings Disney+. Bibliotheken versorgen uns ohnehin seit Jahrhundert mit, freilich geliehenen, Büchern. Der Begriff der Sharing Economy mag noch vergleichsweise neu sein, Anbieter wie Airbnb oder Blablacar haben ihn zum Geschäftsmodell gemacht.
Mobilität ist überhaupt das große Vorbild, wenn man vom Mieten in der Handelswelt spricht: Schon seit Jahrzehnten werden Autos geleast, seit einigen Jahren machen Auto-Abos deutlich, dass es valide Alternativen zum reinen Besitz gibt. Wer in der Großstadt lebt und arbeitet, muss ein Auto nicht zwangsläufig besitzen. Einer Yougov-Studie zufolge haben 67 Prozent derjenigen, die schon einmal Sharing-Angebote genutzt haben, Mobilitätsangebote in Anspruch genommen – 61 Prozent Reisen und Touristik. Davon abgesehen, dass die Zahlen in anderen Bereichen dahinter schnell kleiner werden, zeigt die Yougov-Studie generell, dass der Miet-Commerce, der noch vor zwei, drei Jahren als großer Hype galt, ein Problem hat: Nur zwei von fünf Deutschen (19 Prozent) haben entsprechende Angebote überhaupt schon genutzt, nur weitere 19 Prozent haben es vor. Über die Hälfte (53 Prozent) zeigt keinerlei Interesse – die Zahlen waren 2017 schon einmal höher.
Dennoch zeigen sich die Anbieter von Mietoptionen durch die Bank weitgehend zufrieden mit der bisherigen Entwicklung – Fehleinschätzung oder gesunder Realismus?
Erst der Hype, dann das Tagesgeschäft
2015 machte es sich das StartUp Grover zum Ziel, Elektronik zu günstigen Preisen zu vermieten und konnte in den Folgejahren Großkunden wie MediaMarktSaturn, Conrad oder Gravis an sich binden. Ende 2016 begann Otto mit Otto Now einen eigenen Miet-Service, Tchibo bietet seit 2018 mit Tchibo Share Mode, Spielzeug und weitere Artikel zur Miete an. Schon 2017 arbeitete Tchibo bei der Vermietung von Kaffeevollautomaten mit Grover zusammen. In kurzer Zeit schossen die Angebote aus dem Boden als Versprechen an eine neue Zielgruppe, für die Flexibilität und Nachhaltigkeit wichtiger sind als Besitz und Statussymbole. Sogar Möbelriese Ikea liebäugelt mit einem Mietmodell, wie im letzten Jahr etwa das Handelsblatt schrieb. Und heute?
„Insgesamt sind wir mit der Nachfrage nach den Produkten von Otto Now zufrieden“, sagt Anne Remy, Sprecherin von Otto Now. Der Einschätzung schließt sich auch Arnd Liedtke, Director Corporate Communications bei Tchibo, an: „Der Markt für Re-Commerce in seinen verschiedenen Ausprägungen entwickelt sich stetig weiter. Unternehmen aus unterschiedlichen Produktbereichen, wie Kleidung, Technik, Outdoor oder Möbel, testen die Vermietung oder den Second-Hand-Verkauf ihrer Produkte. Marktforschungsergebnisse zeigen ein steigendes Interesse an den Themen Second Hand und Sharing.“ Beim Elektronikriesen Conrad erkenne man über die letzten Jahre ebenfalls einen „stetigen Wachstumstrend“, wie eine Unternehmenssprecherin mitteilt.
Vom Hype, von kaum zu stemmenden Zugriffszahlen spricht aber niemand. Man sehe „in der Praxis, dass die Vermietung von Produkten (außerhalb von Mobilität) aktuell ein Nischenmarkt ist, der noch nicht im Bewusstsein unserer Gesellschaft angekommen ist“, räumt Arnd Liedtke ein. Dies ändert sich allerdings zumindest in einzelnen Produktkategorien. Bei Tchibo zeige sich zum Beispiel, dass Kinderjacken als Mietobjekte sehr beliebt sind. Kein Wunder: Wer selbst Kinder hat, weiß, wie sie aus den teuersten Kleidungsstücken in Windeseile herauswachsen. Zudem spielt Saisonalität eine wichtige Rolle im Miet-Commerce. „Zur Winterzeit wird Skibekleidung stark nachgefragt. Hierbei zeigt sich der Mehrwert vom Mieten besonders, denn die Skibekleidung wird häufig nur für zwei Wochen im Jahr benötigt“, erklärt Liedtke.
Bei Otto Now gab es wiederum im vergangenen Jahr ein Aha-Erlebnis, das das Geschäft tatsächlich an seine Grenzen brachte. Man sei bezüglich der angebotenen Produkte „recht experimentierfreudig“, so Anne Remy. „Wir haben die Freiheit, Dinge auszuprobieren.“ Da die „Kundenkommunikation bei Otto Now sehr auf Augenhöhe mit den Kunden“ stattfinde, zeige man sich auch empfänglich für deren Ideen und nehme auch schonmal von Kunden gewünschte Produkte ins Sortiment auf.
Experimentierfreude bewies Otto Now also auch 2019. Als die E-Scooter in aller Munde waren, entschied man sich auch in Hamburg, die Elektroroller ins Sortiment aufzunehmen – und musste den Verleihstart aufgrund der damals allgemein sehr hohen Nachfrage auf dem E-Scooter-Markt kurzerhand verschieben. „Der Ansturm war riesig“, sagt Anne Remy. Das Angebot sorgte auch medial für „Rückenwind“: „Wir verwenden kein großes Marketing-Budget für Otto Now, aber die E-Scooter führten vergangenes Jahr zu großer Aufmerksamkeit. Otto Now wird stärker wahrgenommen.“
Erfolgsfaktor Sortiment
Generell ist es entscheidend, auf welche Produkte sich die Anbieter konzentrieren. Ganz lapidar zeigt sich: Die Kunden wollen gewisse Dinge oft in gewissen Zeiträumen nutzen oder einfach nur einmal ausprobieren, eines der Hauptargumente für die Nutzung von Mietangeboten. Otto Now hat dabei den Vorteil, flexibel auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können, denn das Sortiment der Unternehmensmutter lässt sich vergleichsweise unproblematisch in den Otto-Now-Katalog integrieren.
Die Klassiker unter den Probier-Produkten sind zum Beispiel Drohnen. Kundenseitig geht es darum, einfach mal zu schauen, was man damit so machen kann, wobei die reine Neugier nicht gleich einen Neukauf rechtfertigt. Besonders häufig finden sich derartige Produkte im Katalog von Conrad: „In den TOP10 unserer gemieteten Produkte finden sich Fotodrohnen, Actioncams, VR-Brillen und Apple-Produkte, aber der Renkforce RF100 3D Drucker ist ganz vorne mit dabei“, so das Unternehmen. Das alles sind tendenziell eher Produkte, bei denen man sich eine komplette Neuanschaffung genau überlegt – einerseits wegen des Preises, andererseits wegen der im Alltag eher begrenzten Nutzungsmöglichkeiten.
Produkte, die ebenfalls nur ab und an genutzt werden, sind zum Beispiel die von Tchibo angesprochenen Skianzüge, die man nur saisonal benötigt. Bei der temporären Nutzung kommt es wiederum auch auf die Zielgruppe an: Anne Remy erklärt, dass Waschmaschinen als Leihobjekt durchaus beliebt sind – allerdings vor allem für relativ klar abgesteckte Zeiträume, wenn jemand etwa nur für einen bestimmten Zeitraum in einer anderen Stadt ist. Und Conrad räumt ein, dass man „sicherlich nicht die breite Masse unserer Kunden“ anspreche, sondern „vor allem die Nischen-Zielgruppen, die ein Produkt entweder nur für einen kurzen Zeitraum benötige, wie z. B. eine Actioncam für den Urlaub, oder aber sogenannte Early-Adopter, die immer das neuste Modelle eines Produkts, wie z. B. das neuste iPhone, nutzen möchten und dabei besonders flexibel bleiben wollen“.
Die Zielgruppe kennen
Der wohl wichtigste Faktor für den Erfolg von Miet-Commerce-Angeboten dürfte also weniger das Sortiment selbst als vielmehr die Zielgruppe sein, die damit angesprochen wird. Das bestätigt Linda Ahrens, Co-Founderin von Unown. Unown bietet quasi ein Bekleidungs-Leasing-Angebot und bezeichnet sich selbst als Plattform für Fashion-as-a-Service. „Für Endkundinnen bieten wir Vielfalt und zugleich bewussten Konsum von Mode. Unser Service ist für sie individuelles Kleiderschrank-Management, d. h.: regelmäßig Abwechslung ohne Shopping-Stress und weniger Besitz, um den man sich kümmern muss“, erklärt Ahrens. Man glaube an das Prinzip „Nutzen statt Besitzen“, wie es bei Netflix oder Spotify eben schon gang und gäbe ist.
Und genau mit diesem Prinzip spricht man eine bestimmte, tendenziell jüngere Zielgruppe an: „Unsere Community und der Markt im Allgemeinen wachsen: Altes Besitzdenken verschwindet mehr und mehr, denn Besitz bedeutet immer auch Arbeit.“ Man spreche kundenseitig vor allem Frauen an, die „sich mit ihrem eigenen ökologischen Fußabdruck“ beschäftigen. Die Kernzielgruppe ist Mitte 20 bis Mitte 40. Dies bestätigt auch die Yougov-Studie: Zwei Drittel (67 Prozent) der Sharing-Nutzer sind zwischen 18 und 44 Jahren alt.
In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Bernd Liedtke von Tchibo: „Mit unserem Angebot sprechen wir junge, nachhaltigkeitsorientierte und online-affine Familien an. Wir möchten mit Tchibo Share nachhaltigen Konsum für junge Familien auch im stressigen Familienalltag einfach machen.“ Darüber hinaus ist das B2B-Geschäft nicht zu unterschätzen. Otto Now führte die Möglichkeit, gewerblich zu mieten, erst auf Wunsch der Community ein. Bei Conrad sind es „vor allem kleinere Unternehmen oder Start-Ups, für welche die Anschaffungskosten einer kompletten Büroausstattung eventuell zu hoch sind und sie durch unseren Mietservice eine flexible Alternative nutzen können.“
Die Zielgruppen, die im Kerngeschäft erreicht werden, sind tendenziell also andere als jene, die für Miet-Commerce aufgeschlossen sind. Hier einen Weg zu finden, beide gleichermaßen anzusprechen, ist eine der großen Aufgaben, der sich die Shared-Commerce-Anbieter in Zukunft annehmen müssen. Und wie diese Zukunft aussieht, ist unklar. Zwar betont die Branche, dass man das Miet-Commerce-Konzept weiter verfolge, totalen Überschwang hört man aber nicht. Bei Conrad heißt es, dass man das Mietangebot „stets überprüfen und an unserer Strategie ausrichten“ werde. Anne Remy von Otto hört man die Leidenschaft für Otto Now an, aber auch sie räumt ein, dass man große Zukunftspläne zunächst pausiert und sich auf den Status Quo konzentriert. Man halte bewusst an Otto Now fest, „aber spätestens die Coronakrise hat gezeigt: Sag niemals nie!“
Coronakrise: Treiber oder Standby?
Denn die Coronakrise hat natürlich auch entscheidenden Einfluss auf den „Hype“ Miet-Commerce. Bei Otto Now baute man zu Beginn der Pandemie im Frühjahr kurzzeitig das Angebot an Home-Office-Produkten aus, da die Nachfrage sprunghaft anstieg. Diese erste Spitze ist inzwischen aber wieder auf Normalniveau abgeflaut. Eine „explosionsartige Nachfrage“ wie bei den E-Scootern habe es hier nicht gegeben. Ähnliches berichtet Conrad: „Wir haben zu Beginn der Coronakrise eine deutlich gestiegene Nachfrage am Mietangebot feststellen können. Vor allem Produkte wie Notebooks, Tablets und Monitore wurden in dem Zeitraum am häufigsten vermietet. Die Nachfrage-Spitze hat sich jetzt wieder auf das Durchschnittsniveau normalisiert.“
Langfristig allerdings kann die aktuelle Krise durchaus ein Treiber für die Branche sein, denn, so erklärt Linda Ahrens von Unown, das Konsumverhalten der Kunden ändert sich: „Was wir von unseren Kundinnen hören, geht es allerdings weniger um klamme Geldbeutel als um ein gestiegenes Bewusstsein für Nachhaltigkeit.“ Das Sinus-Institut hat herausgefunden, dass aufgrund der Coronapandemie mehr als die Hälfte der Kunden künftig mehr für bewussten Konsum ausgeben wollen, knapp 60 Prozent hätten ihr Verhalten bereits geändert.
Ahrens sagt zudem weiter: „Wir sehen außerdem, dass viele Menschen aus den extrem schnellen Trendzyklen aussteigen. Sicher verändern nicht alle ihr Konsumverhalten und sicher nicht von jetzt auf gleich – aber der Wandel ist da.“ Für die Idee des „Mieten statt Kaufen“ und für alle ihre Anbieter ist das in diesen seltsamen Zeiten zumindest eine gute Nachricht.
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