1. Lockdown beschert massive Umsatzeinbrüche und Insolvenzen
2. „Qualität verkauft sich überwiegend im Laden“
3. Erwartungen der Händler wurden enttäuscht
4. Dringende Forderungen nach Ladenöffnungen
5. Hygieneauflagen in Geschäften zu erfüllen, könnte nicht ausreichen
6. 500 Millionen unverkaufte Winterwaren
7. Wohin mit der unverkauften Ware?
8. Warenüberschuss – ein selbstgemachtes Problem?
9. Warenvernichtung – Greenpeace droht mit Klage
10. „Das Online-Geschäft ist nach wie vor ein Stiefkind mittelständischer Modeunternehmen“
11. Einbußen in der Modebranche sind nicht nur lokales Problem
Bereits als sich abzeichnete, dass der Lockdown über den ursprünglich geplanten 11. Januar hinaus bis Ende des Monats verlängert wird, protestierten zahlreiche Einzelhändler und machten mit verschiedenen Aktionen auf ihre aktuell wirtschaftlich existenzbedrohende Lage aufmerksam. Nun wurde der Lockdown nochmals bis Mitte Februar ausgedehnt.
Neben der Gastronomie- und Tourismuswirtschaft sind vor allem Bekleidungs- und Modehändler besonders stark von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und den damit zusammenhängenden Schutzmaßnahmen betroffen. Wie derzeit Branchenverbände, Händler, Experten und Studien die aktuellen Lage der Fashion-Branche einschätzen und inwieweit es Hilfe und Auswegen aus dem wirtschaftlichen Tief gibt – ein Überblick.
Lockdown beschert massive Umsatzeinbrüche und Insolvenzen
Im Mode- und Textilhandel brachen 2020 die Umsätze um rund 30 Prozent ein, allein die Umsatzverluste des aktuellen Winter-Lockdowns werden sich wohl auf rund 10 Milliarden Euro belaufen, schätzen die Branchenverbände für den Textil- (BTE), Schuh- (BDSE) und Lederwarenhandel (BLE). Namhafte Händler wie Hallhuber, Esprit oder jüngst Adler mussten bereits Insolvenz anmelden. Galeria Kaufhof verhandelt derzeit offenbar über ein Darlehen mit der Bundesregierung in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro, wie Business Insider meldete. Gleichsam trifft es Hersteller und Modemarken, unter denen ebenfalls Händler sind. Die Modeproduzenten machen laut dem Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. (textil+mode) zufolge über ein Drittel ihrer Umsätze im Export, 80 Prozent davon in Europa. In den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres mussten sie Umsatzeinbuße von 12,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hinnehmen.
„Durch die Lockdown-Maßnahmen im Frühjahr sind zudem zahlreiche Anlässe weggefallen – etwa Hochzeiten, Konfirmationen oder Abibälle. Dadurch hatten insbesondere Hersteller klassischer Damen- und Herrenoberbekleidung teilweise Umsatzeinbuße von 50 Prozent“, ergänzt Tanja Croonen, Sprecherin des GermanFashion Modeverband Deutschland e.V., zur Lage der Modeindustrie im Gespräch mit OnlinehändlerNews. „Das sind Einkäufe, die nicht mehr nachgeholt werden. Und ähnlich ist die Situation aktuell: Den Wintermantel, den man vielleicht noch um die Weihnachtszeit geshoppt hätte, kauft man sich voraussichtlich nicht mehr im Februar, wenn der Lockdown möglicherweise aufgehoben ist.“
Die Umsatzeinbrüche gingen auch mit Entlassungen einher, im Oktober 2020 wurden 7 Prozent weniger Belegschaft in der Modeindustrie gezählt, als noch im Oktober 2019, zeigen die Konjunkturberichte von textil+mode. Ähnliche Auswirkungen lassen sich im Handel beobachten, beispielsweise Esprit kündigte im Juli 2020 die Streichung von 1.200 Stellen weltweit an.
„Qualität verkauft sich überwiegend im Laden“
Durch die Schließungen der stationären Geschäfte bricht für den Modesektor die wichtigste Absatzquelle weg. „Qualität verkauft sich weltweit, besonders in Europa, noch immer überwiegend im Laden. Deshalb treffen die Winter-Lockdowns quer durch Europa die deutschen Marken, viele davon KMU, mit ganz besonderer Wucht“, erläutert eine Sprecherin von textil+mode auf unsere Nachfrage. In der deutschen Mode- und Bekleidungsindustrie gebe es viele Traditionsfirmen, Familienbetriebe in dritter und vierter Generation, für die die „Corona-Pandemie inmitten einer Zeit der digitalen und nachhaltigen Transformation eine noch nie dagewesene Bedrohung“ darstelle.
Eine Studie von GermanFashion, in der das Modekonsumverhalten in zwei Umfragen zunächst vor und dann während der Corona-Pandemie ausgewertet wurde, bestätigen die wichtige Funktion des stationären Handels. Am meisten wurde Kleidung mit 50 Prozent bei vertikalen Anbietern wie H&M, C&A, Zara u. a erworben, dicht gefolgt vom stationären Fachhandel vor Ort (44 Prozent). In der zweiten Befragung im September hatten sogar zwei Prozent mehr angegeben, bei stationären Händlern Kleidung zu kaufen. Die Beliebtheit von Online-Portalen habe in dieser Zeit um 3 Prozentpunkte zugenommen. „Deutlich weniger als auf Basis vieler Artikel zum ,Boom des Online-Handels‘ erwartet“, kommentiert Prof. Dr. Christian Duncker von der International School of Management (ISM), die mit der Analyse beauftragt war.
Erwartungen der Händler wurden enttäuscht
Viele Händler waren – trotz der von Virologen angekündigten voraussichtlich schwerwiegenderen zweiten Infektionswelle im Herbst – nicht von erneuten Geschäftsschließungen ausgegangen. Noch im September hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärt, dass er diese Maßnahme nicht wieder vorsehe. Als Mitte Dezember dennoch der Lockdown kam, waren Empörung und Ernüchterung vorprogrammiert. „Im Sommer – nach Ende des ersten Lockdowns – haben viele Händler zunächst eine deutliche positive Entwicklung gesehen. Die Umsätze lagen oft deutlich über dem Vorjahr und gaben Hoffnung für das restliche Jahr und auch den Beginn der Frühjahr-/Sommer-Saison 2021. Diese Erwartungen sind mit den neuen Einschränkungen und der weitgehenden Schließung des stationären Handels nun hinfällig geworden“, so die Beobachtung von Peter Rinnebach, der beim Management- und Strategieberater Kurt Salmon/Accenture u. a. Fashion-Unternehmen zu Wertschöpfungsketten im Handel unterstützt.
Dringende Forderungen nach Ladenöffnungen
„Für stationäre Händler ist jede weitere Schließungswoche kritisch“, ergänzt Rinnebach. Davor warnt auch Gerd Oliver Seidensticker, Präsident von GermanFashion, eindringlich in einer gemeinsamen Mitteilung der Branchenverbände: „Viele Mittelständler trotzen der Krise derzeit aus der Substanz, was jetzt mit der neuerlichen Lockdown-Verlängerung endgültig an die Grenzen des Machbaren kommt und Tausende von Existenzen in der Modeindustrie gefährdet.“
Auf dieses Problem wies auch kürzlich noch die Webseite der ad hoc gegründeten Händlerinitiative „Wir machen auf_merksam“ hin: „65 Prozent des stationären Einzelhandel sind durch die Pandemie-Maßnahmen unmittelbar betroffen. Es droht nicht nur das AUS dieser Betriebe, sondern es gleicht einem staatlich angeordneten Berufsverbot. Viele Händler, insbesondere in der Modebranche handeln mit ,verderblicher‘ Ware.“ Wird diese Ware eben nicht mehr in der laufenden Saison veräußert, müsse sie komplett abgeschrieben werden – der Warenbestand würde Tag für Tag zum „viel größeren Verlust“, beklagen die Einzelhändler hieß es. Dieselbe Forderung formulierten auch einige Händler in Sachsen und schickten symbolisch Schlüssel an den zuständigen Wirtschaftsminister, um dem Wunsch nach Wiedereröffnung Nachdruck zu verleihen, schrieb das Lokalmedium FreiePresse.
Hygieneauflagen in Geschäften zu erfüllen, könnte nicht ausreichen
„Wir können die Hygieneauflagen mindestens genauso gut wie ein Lebensmittelhandel erfüllen“, argumentierte die Händlerinitiative. Für eine Wiedereröffnung des Einzelhandels unter Corona-Bedingungen im Februar spricht sich auch der Verband textil+mode aus – mit den „bereits bestehenden hervorragenden Hygienekonzepten, die sehr sicher und zuverlässig sind“. Jedoch ist die Sicherstellung der Hygieneauflagen in den Geschäften nur ein Teil des Problems. Darauf wies Gesundheitsminister Jens Spahn Mitte Dezember explizit hin. Problematisch seien zudem volle Einkaufsstraßen, Shopping-Malls sowie das Miteinander-Unterwegssein, informierte seinerzeit Merkur.de. So halten Bund und Länder weiter daran fest, kurzfristig über die Verlängerung des Lockdowns zu entscheiden. Dies kritisieren die Textilhandelsverbände und plädieren für eine „mittel- und längerfristige Perspektive und vielleicht auch für ein Umdenken bezüglich der anzuwendenden Maßnahmen“, so BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels. „Strategien zur Bekämpfung/Eindämmung der Pandemie mit einer Halbwertszeit von zwei oder drei Wochen sind für den Fashion-Handel tödlich.“
Seit heute – kurz nach Bekanntwerden der Lockdownverlängerung – hat sich die Initiative der Einzelhändler allerdings umbenannt in „Wir gehen mit_unter“, die Forderungen gehen un in eine andere Richtung: „Wir haben gemeinsam unsere Regierung AUF__merksam gemacht und sind auch weiter bereit die angeordneten Maßnahmen zu befolgen. Jedoch müssen die zugesagten Hilfen sofort ausbezahlt werden!“. Die Aktion wird unter anderem über Social Media verbreitet.
500 Millionen unverkaufte Winterwaren
Bei den Mode- und Sportartikel-Händlern häufen sich nun also Winterwaren, die längst bestellt waren. Bis Ende Januar rechnet der BTE mit einer halben Milliarde unverkaufter Modeartikel. Für eine Anpassung von Prozessen und Kosten in den internationalen Lieferketten sei nicht genügend Zeit gewesen. Hinzu kommen Restbestände aus dem Sommer. Eine Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: „Mit der absehbaren Verlängerung des aktuellen Lockdowns wird dann auch die Frühjahrsware nicht voll abverkauft werden können“, so Rinnebach. Sportartikel-Händler haben nun sogar Ausnahmeregelungen innerhalb des Lockdowns gefordert: Decathlon, Intersport und Sport 2000 forderten in einem offenen Brief an die Bundesregierung, den Verkauf ihrer Waren analog zu Lebensmitteleinzelhändlern, Drogerien, Optikern usw. als entsprechend wichtigen Beitrag für die Gesunderhaltung der Bevölkerung anzusehen, berichtet Internetworld. Ob die Argumentation Erfolg hat, bleibt abzuwarten – für den Modehandel funktioniert eine solche Strategie jedoch weniger.
Wohin mit der unverkauften Ware?
Eine große Schwierigkeit besteht nun darin, die Winterware überhaupt loszuwerden. Rabatte und der Verkauf an Drittverwerter ist eine Option. Erst kürzlich hat etwa eine niederländische Retourenfirma den Launch einer Auktionsplattform vorverlegt, um Händler genau dabei zu unterstützen. Überflüssige Waren zu spenden, kommt indes für viele nicht infrage: Obwohl es passende Organisationen gebe, die das abwickeln könnten, lohnt es sich für viele Händler nicht. Sie müssen trotzdem Umsatzsteuer für die Kleidungsstücke zahlen und machen so noch mehr Minus. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat aktuell vorgeschlagen, dass Händler die nun überflüssigen Saisonwaren über die Überbückungshilfe III bis zu 50 Prozent als Fixkosten abschreiben können. Verbände wie GermanFashion und textil+mode fordern, dass diese Option auch auf Hersteller ausgeweitet wird.
„Die Hersteller gehen verschiedene Wege, verkaufen online oder im Outlet“, so die Verbandssprecherin von German Fashion. „Es wird aber sicher Ware zu sehr niedrigen Preisen angeboten werden, womit sich kaum Gewinn machen lässt. Was tatsächlich passiert, lässt sich erst sagen, wenn die Läden wieder aufmachen. Dass etwas vernichtet wird, ist nach unserem Kenntnisstand nicht vorgesehen“. Das gelte besonders für die deutschen, mittelständischen Marken und Produktionsbetriebe, die Mitglieder des Verbands seien. Diese produzieren meist vergleichsweise werthaltige und nachhaltige Waren, die sich gegebenenfalls auch in der kommenden Saison noch veräußern lassen. Bei großen internationalen Fast-Fashion-Ketten sei das Problem jedoch deutlich schwerwiegender – hier werden neue Kollektionen teils innerhalb von zwei Wochen erdacht und verkauft.
Warenüberschuss – ein selbstgemachtes Problem?
So macht auch Greenpeace für den Warenüberhang vor allem das Fast-Fashion-Konzept verantwortlich. Kleidung gilt als verderbliche Ware. „Mit ihren grotesk beschleunigten Zyklen hat die Fast-Fashion-Industrie in der Pandemie Millionen unverkaufter T-Shirts, Hosen, Schuhe und anderer Kleidung zu Wegwerfartikeln degradiert“, zitiert Die Welt die Kritik von Viola Wohlgemuth, Konsumexpertin der Umweltorganisation.
Das fällt ihnen in der jetzigen Situation auf die Füße. „Die Modebranche hat auch schon vor Corona unter einem zu großen Warenangebot gelitten. Viele Händler klagen seit Jahren über sinkende Lagerumschläge und rückläufige Abverkaufsraten“, bestätigt auch der Handelsexperte von Kurt Salmon. Die schnellen Zyklen wären jedoch nicht das Hauptproblem, da man derzeit Konsumenten eher den richtigen Mix für deren Bedürfnisse anbiete – etwas, das mit zwei Saisonzyklen nicht so gut gelänge. „Das wirkliche Problem liegt im Überangebot immer weniger unterscheidbarer Marken und Produkte, die zudem nicht konsequent auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet sind“, so Rinnebach.
Warenvernichtung – Greenpeace droht mit Klage
Da eine Entsorgung von Waren wirtschaftlicher ist, als deren Erhalt, ist ihre Vernichtung die Folge. Das bestätigte aktuell der Geschäftsinhaber und Präsident des Handelsverbands Hessen, Jochen Ruths im Interview mit der Tagesschau: „Darüber wird nicht viel gesprochen, aber im Billigsegment muss das logischerweise passieren. Da ist die Massenware containerweise unterwegs. Wenn man da die Kosten für das Einlagern gegenrechnet, dann ist es für die Verantwortlichen günstiger, die Ware zu entsorgen - ob im Reißwolf oder in der Verbrennungsanlage, sei mal dahingestellt. Das andere Extrem sind sehr hochwertige Produzenten, die im Luxussegment unterwegs sind. Die wollen nicht, dass ihr Produkt verramscht wird. Das beschädigt die Marke, da vernichten sie lieber. Beides ist tragisch, denn es ist ja Ware, die genutzt werden könnte.“
Die drohende Vernichtung ruft auch Greenpeace erneut auf den Plan. Die Umweltschützer haben nun einem Bericht der Welt zufolge bundesweit Briefe an rund 130 deutsche Abfallbehörden versendet und fordern sie auf, die jeweiligen Modehändler und -hersteller auf mögliche Gesetzesverstöße und Konsequenzen hinzuweisen. Werden die Behörden bis Ende nicht tätig, behalte sich Greenpeace auch eine Klage vor: Seit Oktober 2020 gilt laut dem Kreislaufwirtschaftsgesetz, dass Eigentümer von Artikeln dafür sorgen müssen, dass „deren Gebrauchstauglichkeit erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden“. Auch wenn das „Vernichtungsverbot“ für die Organisation juristisches Neuland darstelle – durchsetzen wolle sie es dennoch.
„Das Online-Geschäft ist nach wie vor ein Stiefkind mittelständischer Modeunternehmen“
Um in dieser Krise überhaupt Umsatz zu machen, bleibt derzeit nur die Möglichkeit, online zu verkaufen. Reine, große Online-Händler sind die Gewinner der Krise – Zalandos Umsätze wuchsen zuletzt um gut ein Fünftel. Experten zufolge sind sie die einzigen. Es seien sogar „diejenigen Omnichannel-Händler, die schon hohe Online-Anteile erreichen, kaum in der Lage, die Verluste auf der Fläche auszugleichen“, so Peter Rinnebach.
Gerade den kleineren und mittelständischen Modeunternehmen fällt die Digitalisierung jedoch nicht leicht. Viele Marken und Hersteller verfügten laut GermanFashion-Verbandssprecherin Tanja Croonen auch gar nicht über die notwendigen Kenntnisse und Ressourcen – IT-Fachkräfte, ohnehin rar gesät, träumen nicht gerade von einem Job für den kleinen Modeladen in Posemuckel. „Deshalb wurde die Digitalisierung auf die lange Bank geschoben – dafür kam jetzt mit der Pandemie eine ordentliche Quittung“, so Croonen. Auch wenn die Pandemie grundsätzlich dafür sorgen wird, die notwendige digitale Transformation der Branche zu beschleunigen – kurzfristig gelingt das vermutlich nicht.
Einbußen in der Modebranche sind nicht nur lokales Problem
Die missliche Lage der Fashionbranche ist nicht nur hierzulande existenzbedrohend, sondern auch auf globaler Ebene. So ist die deutsche Modeindustrie ein wichtiger Wirtschaftszweig, im europäischen Vergleich der 175 größten Modemarken machen die Unternehmen aus Deutschland den zweitgrößten Gesamtumsatz (ohne die Zahlen unabhängiger Marken und Designer), so eine Studie des Fashion Council Germany dem News-Portal Fashionunited zufolge. Gleichsam zählt Deutschland zu den größten Textilproduzenten in der EU – viele Arbeitsplätze hängen daran.
Hinzu kommt, dass wegen der Krise in der hiesigen Modebranche die Situation für Textilproduzenten und deren Beschäftigte in Asien problematisch bleibe. „Marken und Händler in Europa und Nordamerika hatten bereits im Zuge der ersten Corona-Welle große Mengen an Ware storniert und auch die Einkaufsbudgets für Frühjahr/Sommer 2021 konservativ angesetzt“, so Peter Rinnebach. Die Pandemie erschwert zudem die Arbeitsbedingungen vor Ort erheblich zusätzlich: Über ein Drittel indischer Textilarbeiter erhielt in der Zeit der intensiven Ausgangssperre zwischen dem 24. März bis einschließlich Juni 2020 keinen Lohn, nach dem Lockdown hätten fast 40 Prozent ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen können, offenbart eine Befragung der Netzwerke für Unternehmensverantwortung Südwind und Inkota. Es bestünden seit Jahren Missstände – doch Corona verschlimmere die Situation der Beschäftigten drastisch. Die beiden Organisationen fordern deshalb mehr Verantwortung von deutschen Unternehmen auch für ihre Lieferketten: „Geschäftspraktiken, die Ungleichheit ausnutzen und verstärken, dürfen sich nicht mehr lohnen“, heißt es.
Finanzielle Unterstützung zwingend
Unterm Strich benötigen Händler und Hersteller nun vor allem finanzielle Hilfe. „KfW-Kredite haben viele deutsche Herstellerunternehmen genutzt, das war insbesondere zu Beginn der Krise eine wichtige Hilfe. Auch das Kurzarbeitergeld hat geholfen. Doch tatsächliche Überbrückungshilfen im Sinne von Subventions- oder Kompensationszahlungen gibt es nicht – und die müssen kommen“, so Tanja Croonen von GermanFashion. Zudem solle bei der Modeindustrie bedacht werden, dass Zahlungen oft länger im Voraus getätigt werden müssen. Daher sei ein Ausfallgeld für Hersteller und Händler notwendig.
Damit Hilfen tatsächlich funktionieren, appellierte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Galeria Karstadt Kaufhof, Jürgen Ettl, laut Süddeutscher Zeitung in einem offenen Brief an Angela Merkel, Olaf Scholz und Peter Altmaier für eine engere Zusammenarbeit: „Erarbeiten Sie endlich Ihre Hilfspakete nicht über die Köpfe der Branchen und Sparten hinweg, sondern entwickeln Sie gemeinsam mit den Betroffenen praxisnahe, effiziente und existenzrettende Maßnahmen.“
Bei den finanziellen Hilfen bessert die Politik inzwischen nach, die Konditionen für die Überbrückungshilfe III sollen angepasst werden. Der Zugang zu Zuschüssen für Fixkosten soll den Unternehmen erleichtert und der Kreis der Berechtigten erweitert werden. Bislang waren Firmen mit einem Umsatzminus von mindestens 40 Prozent antragsberechtigt, dieser Grenzwert soll künftig bei 30 Prozent liegen. Auch könnten sich die Zuschüsse auf 1,5 Millionen Euro monatlich erhöhen – denn gerade hat die EU-Kommission für die dafür notwendigen EU-Beihilfen grünes Licht gegeben. In Kürze könnten neue Obergrenzen festgesetzt werden.
Was können Händler tun?
Um künftig zu bestehen, werden Modehändler sich und ihre Sortimente deutlich schärfer positionieren müssen, um im zukünftigen Wettbewerbsumfeld zu bestehen, so die Empfehlung von Peter Rinnebach. „Dazu gehört auch, ein sehr viel tieferes analytisches Verständnis von Kunden und deren Nachfrage zu entwickeln, um die Mengen für den Vollpreis-Abverkauf zu optimieren. Das führt letztlich zu weniger Menge, aber mehr Marge.“
Für GermanFashion steckt zudem viel Potenzial im kooperativem Miteinander: „Unheimlich wichtig ist und bleibt etwa eine gute Zusammenarbeit zwischen Händler und Hersteller. Wer gute Partner hat, wird daran festhalten. Und auch die Entwicklung, dass beide Seiten auf die Situation des jeweils anderen eingehen, wird sich noch verstärken“, so die Verbandsprecherin.
Die Folgen zeigen sich langfristig
Strategieberater Rinnebach hält eine Entspannung der Lage aufgrund zunehmenden Impfungen gegen Sommer für möglich. „Es bleibt nur die Hoffnung, dass wir mit der Öffnung des Handels im Frühjahr einen Run in die Innenstädte sehen werden und damit auch ein Teil des ausgebliebenen Konsums aufgeholt werden kann.“ Auch könnte die Modenachfrage im Herbst/Winter wieder wachsen. „Vielleicht können dann Händler sogar vom Nachholbedarf der Konsumenten profitieren.“ Doch viele bleiben wegen der angespannten Situation vorsichtig. „Somit ist es umso wichtiger, dass die vorhandenen Einkaufsbudgets so zielgerichtet wie möglich eingesetzt werden.“
Mehr als zwei Drittel der Modeunternehmen gaben in einer Studie von textil+mode an, dass die Überwindung der Corona-Krise zwischen 18 Monaten und fünf Jahren dauern werde. Und wie sie dies übersteht, hängt vor allem davon ab, wie gut sich die einzelnen Akteure nun untereinander verständigen und unterstützen werden. Sicher ist nur eines: Die Folgen dieses Winter-Lockdowns werden die Branche noch lange beschäftigen.
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