Die Coronakrise hat vor allem die Reisebranche hart getroffen und gefährdet viele, vor allem kleine, Unternehmen. Marlen Gehrke betreibt in Leipzig den Reiseveranstalter Mexico Mio. Sie erklärt im Interview, ob die Corona-Hilfen sinnvoll waren, wie digitales Reisen funktionieren kann und worauf Reisende künftig achten werden.
Onlinehändler News: Die Reisebranche war von der Coronakrise besonders betroffen. Wie haben sich Umsatz und Geschäft bei Ihnen seitdem entwickelt?
Marlen Gehrke: Der Umsatz ist massiv eingebrochen und die verkauften Mexiko-Reisen im letzten Jahr kann ich an zwei Händen abzählen. Es waren auch zur Hälfte nur Flugangebote dabei, da die Reisenden ihre Liebsten in den USA sehen wollten. Denn derzeit ist es aufgrund der Corona-Pandemie so gut wie unmöglich, von Deutschland direkt in die USA einzureisen. Reisende dürfen sich nämlich innerhalb der 14 Tage vor Einreise in die USA nicht im Schengen-Raum aufgehalten haben. Daher wählen manche den Weg über Mexiko. Nach zwei Wochen Mexiko kann man dann in die USA fliegen.
„Ohne die Corona-Hilfen wären wir wohl nicht mehr auf dem Markt“
Die Regierung hat diverse Corona-Hilfspakete gestartet – konnten Sie diese nutzen und wie war Ihre Erfahrung damit?
Ja, wir haben die Soforthilfe, das Kurzarbeitergeld sowie die Überbrückungshilfen in Anspruch genommen. Ohne diese staatlichen Maßnahmen wären wir wohl nicht mehr auf dem Markt und sind demnach sehr dankbar. Wir haben auch nur positive Erfahrung gesammelt, da es nach der Beantragung recht schnell mit der Auszahlung ging.
Sie haben umgeschwenkt und bieten jetzt unter anderem „digitales Reisen“ – was genau steckt dahinter und wie läuft es ab?
Im letzten Herbst haben wir zunächst einmal einen Online-Shop für mexikanische Geschenkartikel ins Leben gerufen und mit der Zeit haben wir uns gefragt, ob wir nicht auch digitale Fenster nach Mexiko öffnen können. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie eine digitale Mexiko-Reise aussehen könnte und schlussendlich haben wir im Januar bei der der ersten digitalen Mexiko-Reise den Reisenden dann über zehn Tage lang täglich eine E-Mail zugesandt. Diese E-Mails waren gespickt mit Vor-Ort-Videos, digitalen Museumsrundgängen, Produktempfehlungen aus Mexiko, Filmtipps und vielem mehr.
Digitales Reisen: E-Mails mit Vor-Ort-Videos und Live-Kochevents via Zoom
Das Highlight war ein Live-Kochevent über Zoom, wo wir gemeinsam mexikanisch gekocht haben. Also ein Komplettpaket, wie man sich gerade Mexiko nach Hause holen kann. Die Videos waren von unseren Guides und Vor-Ort-Partnern und keineswegs professionell, aber mit viel Herz und das Echo der Reisenden war super. „Das ist so, wie wir uns noch in den 90er Jahren manchmal im Freundeskreisen getroffen haben und Reiserückkehrer,
damals noch mit Dias, ihren Reisebericht dargeboten haben. Und bei euch ist das Schöne, dass sehr unterschiedliche und immer sehr sympathische Menschen berichten und erzählen“, hat eine Nutzerin gesagt. Die erste Mexiko-Reise kam so gut an, dass wir sie noch mal wiederholt haben und vom 19. bis 24. April reisen wir jetzt gedanklich nach Peru. Und ich denke, es werden auch noch andere Länger folgen. Ich träume ja von Kolumbien.
Wie ist der Zulauf zu dem Projekt, was sagen die Nutzer? Können Sie die Verluste damit abfedern?
Viele, die mit uns die Mexiko-Reise erlebt haben, waren begeistert und haben schon die Peru-Reise gebucht. Da wir die Einnahmen aus den Reisen an die Vor-Ort-Akteure weitergegeben haben, haben wir damit keine Einnahmen erzielt. Wie gesagt: Ohne die staatlichen Hilfen wäre es aktuell nicht machbar. Vielmehr war dieses digitale Reisekonzept ein Weg für uns, Reisesehnsüchte bei den Kunden zu erzeugen, zu unterhalten, am Ball zu bleiben, kreativ zu werden, positiv zu bleiben – irgendwann sind Fernreisen wieder möglich.
Kunden können auch nach Corona weiter digital reisen
Ist das Ganze eher ein schmaler Ersatz für das „echte“ Reisen oder könnte das digitale Reisen auch nach Corona sogar weiter geführt werden?
Wir sind uns sicher, dass wir das fortführen werden, da es eine sympathische Visitenkarte ist. Wir erstellen unsere Reisen mit Herzblut und Insiderwissen und wir arbeiten mit wunderbaren Menschen in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern zusammen – und das spüren die Digitalreisenden während der Gedankenreise.
Auch Amazon und Alibaba bieten mittlerweile virtuelles Reisen an – wie nehmen Sie das wahr?
Ich habe mir das ehrlich gesagt noch nicht konkret angeschaut, aber ich gehe mal davon aus, dass diese Formate eher in die Richtung Hochglanz und professionelle Drohnenvideos gehen. Unser Ansatz ist das nicht. Unsere Vlogs möchten mehr Authentizität bieten.
Reisende wollen künftig eher mehr persönliche Beratung
Durch Corona mussten sich weitere Branchen digitalisieren, schon jetzt buchen und organisieren viele Menschen ihren Urlaub komplett übers Web. Braucht es künftig überhaupt noch stationäre Reisebüros? Wie werden Sie sich künftig aufstellen?
Da wir die Reisen mit Partnern vor Ort planen und erschaffen, sind wir zunächst einmal ein Reiseveranstalter und kein Reisebüro. Da wir meist individuelle Touren erstellen und als Spezialist für Mexiko und Lateinamerika wahrgenommen werden, kommen die Kunden direkt zu uns auf die Website. Gelegentlich arbeiten wir auch mit Reisebüros zusammen, etwa wenn diese was Spezielles für ihre Kunden suchen.
Reisebüros im Allgemeinen und auch wir Reiseveranstalter müssen natürlich digitaler denken als noch vor der Krise und wir alle müssen als Spezialist wahrgenommen werden. Wenn ich als Kunde keine Fragen zum Reiseland habe, kann ich meine Reise natürlich völlig eigenständig übers Web buchen. Aber wenn ich besondere Interessen habe und auf der Suche nach dem Speziellen bin, einen persönlichen Kontakt wünsche, empfiehlt sich der Reiseberater im Reisebüro oder wir hier als Spezialreiseveranstalter. Und gerade noch in nächster Zeit werden die Reisenden viele Fragen zum sicheren Reisen haben und werden daher aus meiner Sicht die persönliche Beratung vorziehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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