Mit der Homeoffice-Pflicht hat die Regierung Unternehmen im Kampf gegen die Coronapandemie verpflichtet, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überall dort, wo es möglich war, die Arbeit von Zuhause aus zu ermöglichen. Damit sollten die Kontakte deutlich eingeschränkt und die Ausbreitung des Coronaviruses unterbunden werden. Neben der Maskenpflicht gilt die Homeoffice-Pflicht als eine der zentralen Maßnahmen der vergangenen Jahre – doch nun läuft sie aus. Wie kommt diese Entscheidung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an? Ein Meinungsbild aus unserer Redaktion.
Christoph: „Eine Homeoffice-Pflicht wäre mit einer gesünderen Arbeitskultur nicht notwendig.“
Bei der Diskussion um eine Homeoffice-Pflicht – oder nun die fallende Homeoffice-Pflicht – geht es ja gar nicht so sehr um die Frage, ob wir sie brauchen, sondern warum wir sie brauchen. Die Bundesregierung hat sich damals ja nun nicht spontan entschieden, so etwas einfach mal einzuführen, sondern nach großem, anhaltenden Druck, vor allem von Arbeitnehmerseite, dazu durchgerungen, ein halbgares Paket zu schnüren. Gegen diese Pflicht sträuben sich bis heute vor allem viele Arbeitgeber aus zu vielen falschen Gründen.
Was spricht dagegen? Dass Straßenbahnfahrer, Bauarbeiter und Köche nicht von zu Hause aus arbeiten können, dürfte klar sein. Wenn es aber darum geht, zu begründen, warum Programmierer, die Buchhaltung oder Webdesigner ins Büro müssen, fällt die Argumentation in aller Regel dünnhäutig und/oder entlarvend aus. Ein Laptop ist ein Laptop – egal, wo er steht. Da kann die Arbeitgeberseite noch so mantraartig auf Sicherheitsvorkehrungen und Gesetzeslagen verweisen, am Ende läuft es darauf hinaus, dass Homeoffice-Gegner Vertrauen geben und Kontrolle aufgeben müssen, wenn die Belegschaft in den eigenen vier Wänden arbeitet.
Wenn man damit ein Problem hat, sollte man das eigene Arbeitsverständnis und das eigene Menschenbild hinterfragen. Notwendige technische Voraussetzungen kann man schaffen, wenn man es will. Eine Homeoffice-Pflicht wäre mit einer gesünderen Arbeitskultur überhaupt nicht notwendig. Wenn das Fallen der Pflicht bedeutet, dass jedes zweite Büro zum Corona-Hotspot wird (was Omikron schon gewährleisten wird), dann darf sie nicht fallen. Und wenn man als Unternehmen auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie immer noch unterschwellig davon ausgeht, dass die Mitarbeitenden zu Hause in der Jogginghose Netflix durchbingen anstatt zu arbeiten, dann sollte man schleunigst die eigene Unternehmenskultur auf den Prüfstand stellen.
Ricarda: „Freiheit heißt auch, daheim bleiben zu dürfen.“
Unsere Kita ist aktuell geschlossen, weil das halbe Personal Corona hat. Das Gesundheitsamt kommt nicht hinterher mit der Durchführung von Lolli-Tests, weil es derzeit zu viele Kitas betreuen muss, denen es genauso geht. Aber hey, ja klar, lasst mal alle Maßnahmen und Hemmungen fallen. Gebt Betrieben den Coronaschutz einfach selbst in die Hand. Denn wenn die Pandemie eine Sache deutlich gezeigt hat, ist es doch, dass man sich darauf verlassen kann, dass Individuen fundierte Entscheidungen für die Masse treffen können.
Was soll schon schiefgehen, wenn man all den Corona-Leugnern indirekt suggeriert, dass das Thema Corona jetzt abgehakt ist? Die Homeoffice-Pflicht – wie auch andere Coronaschutzmaßnahmen – fühlte sich für einige offenbar wie ein Eingriff in die persönliche Freiheit ein. Dabei empfinde ich die Möglichkeit des Homeoffice viel mehr als Freiheit.
Schließlich gibt es mir, wie auch unzähligen anderen Eltern, überhaupt die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit mit Kinderbetreuung irgendwie unter einen Hut zu bringen. Das Wegfallen der Homeoffice-Pflicht stellt für manche einen zweiten Mauerfall dar (#Freedomday). Wenn eure Arbeitgeber dann demnächst wieder eure Anwesenheit im Büro verlangen und ihr nicht wisst, wohin mit dem Kind, dann denke ich an euch. Hier aus meinem Homeoffice, in welchem ich glücklicherweise weiterhin sitzen darf.
Hanna: „Jetzt denkt doch mal an die Wirtschaft!“
Für die Entscheidung, die Homeoffice-Pflicht abzuschaffen, ist es eigentlich viel zu früh: Es ist immer noch Pandemie und Menschen sterben. Aktuell sind die Corona-Inzidenzen auf dem Höchststand – und wir wägen hier ab, ob wirtschaftliche Freiheit für Unternehmen wichtiger ist als Leben und Gesundheit. Gäbe es keine Homeoffice-Pflicht, wären leider nicht alle Unternehmen von selbst so verantwortungsbewusst, Angestellten zur Reduktion von Kontakten die Option zur Heimarbeit zu geben. Derzeit muss es also Aufgabe der Politik bleiben, Menschen auf diese Weise zu schützen.
Aber denkt doch mal an die Wirtschaft? Daran, dass es teuer und aufwendig ist, unternehmensinterne Prozesse und IT umzustellen, oder es nicht jedes Betriebsklima überlebt, wenn alle im Homeoffice sitzen. Statt einer starren, rechtlichen Vorgabe sollte doch lieber jeder machen können, was er für richtig hält, um bestmöglich wirtschaften zu können. Dieses liberale Denken fördert den Wettbewerb und das Wirtschaftswachstum.
Ja, denkt doch mal an die Wirtschaft! Denn ob wir gesund sind oder nicht, dürfte letztlich die gravierenderen Auswirkungen haben. Im Großen, wenn durch zu viele Ansteckungen und Ausfälle kritische Infrastruktur wegbricht, und im Kleinen: Wer sich ansteckt, und das Glück hat, nicht auf der Intensivstation um sein Leben ringen zu müssen, fällt trotzdem im Schnitt locker 2 bis 3 Wochen aus oder leidet im noch schlechteren – und gar nicht mal so seltenen Fall – unter Long-Covid. Monate- oder gar jahrelang kranke Angestellte hinterlassen mit Sicherheit das größere Loch in der Betriebskasse des Kleinunternehmens als der Laptop fürs Heimbüro oder das passende Set-up für kollaboratives Arbeiten. Die Homeoffice-Pflicht sorgt außerdem dafür, dass jetzt Strukturen für mobiles Arbeiten geschaffen werden müssen, was langfristig wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt: Weniger Kosten für Räume oder Dienstreisen oder die passenden Fachkräfte, weil deren Wohnort kein Ausschlusskriterium mehr darstellt. Schauen wir also lieber auf die wirtschaftlichen Vorteile dieser Pflicht – wenigstens so lange, bis die Pandemie vorbei ist.
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Micha: „Hybrides Arbeiten wird bleiben“
Die Pflicht, Homeoffice anzubieten, hat sicher einige Unternehmen wachgerüttelt. Viele mussten sich erstmals überhaupt damit auseinandersetzen, wie die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit von Zuhause aus erledigen konnten – dass nicht in jedem Beruf und nicht in jeder Position die Arbeit aus dem Homeoffice möglich ist, sollte klar sein. Aber durch diese Maßnahme wurde, vor allem im ersten Lockdown, die Kontaktreduzierung erfolgreich unterstützt.
Dass diese Maßnahme jetzt wie viele andere beendet wird, während die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen, wirkt gelinde gesagt verrückt. Das sehen offenbar auch viele Arbeitnehmerinnen und -nehmer so: 31 Prozent von ihnen gaben in einer Umfrage im Februar an, sich vor einer Ansteckung im Büro zu fürchten. Wer jetzt als Arbeitgeber das Ende der Homeoffice-Pflicht nutzt, das Team wieder ins Büro zu beordern, dürfte für einige Unzufriedenheit und Unsicherheit sorgen.
Das Thema Remote-Work wird mit dem Ende der Pflicht zur Heimarbeit sowieso nicht verschwinden. Viele haben sich an die Vorteile des Homeoffice gewöhnt. Ich selbst war bis zum Ausbruch der Pandemie kein großer Fan von der Arbeit im Homeoffice. Aber mindestens die gesparte Fahrtzeit und die Ruhe zum konzentrierten Arbeiten waren deutliche Vorteile – es fehlten natürlich trotzdem der gewohnte persönliche Austausch im Team und die Kaffeerunden. Hybrides Arbeiten bleibt hoch im Kurs – wer jetzt eine Office-Pflicht wieder durchdrücken will, wird sich als Arbeitgeber unattraktiver machen.
Tina: „Nur zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter“
Homeoffice macht alles schlechter: Es zerstört die Teams, weil sich die Mitarbeiter voneinander entfremden. Es zerstört die Produktivität, weil die Mitarbeiter nicht mehr engmaschig überwacht werden können. Es zerstört die Gesundheit, weil die Mitarbeiter weniger ergonomisch arbeiten und sich Handgelenke, Rücken, Nacken und andere potenziell wichtige Körperteile ruinieren. – So zumindest die Meinung der Homeoffice-Gegner.
Ich gehöre definitiv nicht dazu. Natürlich verabschiedet sich der Rücken, wenn man zwei Jahre lang auf einem hölzernen Schemel hinterm Kamin hockt. Und natürlich drehen Leute aufgrund fehlender sozialer Kontakte durch. Aber nur, wenn sie nichts dagegen tun! Yoga, Spazierengehen, ergonomische Sitzkissen und Vertikalmäuse helfen, den körperlichen Verfall aufzuhalten. Regelmäßige Videomeetings und digitale Kaffeepausen halten die sozialen Bindungen aufrecht.
Und nun das Wichtigste: die Angst der Arbeitgeber vor fehlender Motivation und Produktivität! Wer als Arbeitgeber tatsächlich befürchtet, dass Mitarbeiter zu Hause weniger engagiert arbeiten und zuhauf faul werden, der macht grundlegend etwas falsch. Denn ganz ehrlich: Nach zwei Jahren Homeoffice hab ich in den meisten Fällen eher das Gegenteil gesehen – noch mehr Aufopferung einzelner Teammitglieder und mehr gemeinsames Engagement innerhalb von Teams.
Arbeitgeber kommen ihrer Fürsorge- und Schutzpflicht am besten nach, wenn sie ihren Teil leisten. Und der besteht in meinen Augen darin, Mitarbeitern in der weiterhin existenten (!) Pandemie Homeoffice zu gewähren, wo dies möglich ist. Und darin, die Ängste von Mitarbeitern vor einer Ansteckung ernst zu nehmen! Nicht alle haben diese Angst. Wir sind ja alle unterschiedlich. Zum Glück. Manche stürzen sich bereits wieder in Menschenmassen – mit Anlauf. Aber andere eben nicht. Weil sie es als Teil ihrer sozialen Verantwortung sehen, sich noch zurückzuhalten, bis die Pandemie halbwegs überstanden ist. Diese Menschen in volle Büros und in die Nähe anderer Menschen zu zwingen, dürfte für Ängste und Unzufriedenheit sorgen. Und das führt wohl kaum zu produktivem Arbeiten.
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