1. Zukunft der Arbeit: Teams ohne Chef und flexible Arbeitszeitmodelle
2. „Das Arbeitszeitgesetz ist immer noch eine Grauzone“
3. So sollte ein Chef sein: Zuhören und Fragen stellen
4. Zahlen mit Swish und digitale Behördengänge – Digitalisierung in Schweden
5. Erfolgsrezept Authentizität: „Wenn es scheiße ist, sage ich, dass es scheiße ist“
Die Arbeitswelt ist im Wandel: Digitalisierung, neue Zeitmodelle, andere Hierarchien. Worauf Unternehmen jetzt achten müssen, um erfolgreich zu sein, erklärt Anna Kopp, seit acht Jahren Director IT bei Microsoft Deutschland, im Interview. Wir haben die gebürtige Schwedin nach ihrem Vortrag zu „Leadership in a Transforming World & The Future Workplace“ auf dem Machn-StartUp-Festival in Leipzig befragt. Sie erzählt auch, wo es an der deutschen Digitalisierung hapert, warum ihr Karriereweg einer Spirale ähnelt und warum sich das deutsche Arbeitszeitgesetz ändern muss.
OnlinehändlerNews: Vor allem durch Corona haben sich die Bedingungen des Arbeitens nochmal verändert. Wie wird sich das auf die zukünftige Arbeitswelt, vor allem die Büroarbeit, auswirken?
Anna Kopp: Natürlich ist erstmal der Fachkräftemangel das große Thema, über das jeder spricht. Arbeitgeber müssen daher künftig viel mehr Flexibilität anbieten. Manche Fachkräfte werde ich nicht vor Ort bekommen, das bedeutet, ich muss die Leute von woanders arbeiten lassen, damit ich die Besten für mein Team bekomme und ich als Arbeitgeber muss lernen, wie ich mit distribuierter Virtualität umgehe. Und wenn ich es nicht tue, tut es jemand anders. Arbeitsorte und Arbeitsplätze müssen sich wandeln – wer das nicht macht, geht nicht mit der Zeit.
Zukunft der Arbeit: Teams ohne Chef und flexible Arbeitszeitmodelle
Vor allem die Generation Z achtet mehr auf Work-Life-Balance. Wie kann man als Unternehmen speziell junge Fachkräfte im War of Talents für sich gewinnen?
Flexible Arbeit bedeutet auch flexible Arbeitsmodelle. Ich kenne ein Beispiel aus der Firma mit dem großen blauen Logo. In einem Team hat der Team-Manager gekündigt, dann wurde gefragt: ‚Braucht ihr überhaupt einen Leiter?’ Antwort: ‚Ne, wir machen das selbst’, das Team hat sich also selbst gemanagt. Und je nach Fachkenntnis und Stärken hat die jeweilige Person das Team dann für das entsprechende Projekt etwa in einem Leadership-Meeting vertreten. Ein anderes Team hatte eine ähnliche Situation, wollte aber unbedingt einen leitenden Manager. Und welches Team war nun leistungsfähiger und hatte mehr Spaß? Tatsächlich war das selbstorganisierte Team besser.
Aber Firmen müssen mutig sein, um solche neuen komplett flexiblen Modelle wie zum Beispiel Job-Sharing anzubieten. Auch die Gesetze müssen sich etwas wandeln. Aber wenn man als Arbeitgeber mutig ist und ausprobiert, signalisiert das Offenheit. Wenn eine Fachkraft sagt: ‚Ich könnte mir vorstellen, unter diesen Bedingungen für euch zu arbeiten, könnten wir da zusammenkommen?’, und die Firma sagt ‚Friss oder stirb’ – dann geht der woanders hin.
„Das Arbeitszeitgesetz ist immer noch eine Grauzone“
Wie müsste sich die rechtliche Lage denn Ihrer Meinung nach verändern?
Das Arbeitszeitgesetz ist immer noch eine Grauzone, wenn es um flexibles Arbeiten geht. Ein Beispiel: Jemand teilt sich die Arbeit über den ganzen Tag frei ein wegen Kindern, Hausaufgaben etc. und abends macht er noch seine Präsentation fertig. Das Arbeitszeitgesetz sagt dann, man darf am nächsten Morgen um neun Uhr nicht ins Büro fahren, weil nicht die elf Stunden Ruhezeit dazwischen waren, obwohl man eigentlich zu Hause entspannt seine Powerpoint-Präsentation auf dem Sofa gemacht hat.
Der Grund für das Gesetz ist ja der Mitarbeiterschutz, und das gilt ja eher, wenn man zum Beispiel nach zehn Tagen Messe und Abbau noch ins Auto steigt und möglicherweise einen Unfall baut – aber nicht, wenn ich dreimal vom Sofa zum Kühlschrank gehe, um Schokolade zu holen, da passiert mir wahrscheinlich weniger. Und in dieser Grauzone sind die flexiblen Arbeitszeitmodelle noch nicht abgedeckt. Aber daran wird sehr hart gearbeitet, das weiß ich, weil ich da selbst involviert bin.
So sollte ein Chef sein: Zuhören und Fragen stellen
Thema Leadership: Nicht nur Gesetze, auch Führungsstile und Werte ändern sich. Wie muss ein guter Chef – wenn es den dann noch gibt – in Zukunft Teams leiten?
Zuhören ist das Allerwichtigste. Das Coachen hat sich gewandelt. Früher hieß es: ‚Ich sag dir, was du zu tun hast’, heute ist es eher Fragen stellen. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter nicht mit seinen Arbeitsstunden klarkommt, dachte man früher: ‚Der taugt nix’. Aber das muss nicht der Fall sein. Der erste Gedanke sollte sein: Hat der Mitarbeiter wirklich alles, was er für seine Arbeit braucht? Funktionieren die Tools (oft tun sie es nicht), hat er alle Trainings bekommen, stimmt alles im Team? Oder gibt es private Probleme, so dass der Mitarbeiter nicht liefern kann? Ein Manager muss zuhören und Fragen stellen und nicht sofort davon ausgehen, dass mit dem Mitarbeiter etwas nicht stimmt, sondern überlegen, was können wir als Firma tun, damit ich mein Team so leiten kann, dass sie alle ihre beste Arbeit zu jeder Zeit – und zwar, wenn es denen passt – liefern können.
Für die beste Arbeit mangelt es in Deutschland teils auch an der viel beschworenen Digitalisierung. Wie sehen Sie das Problem?
Jetzt gerade wurde im Juli bei uns in Bayern mit byte die Bayerische Agentur für Digitales gegründet – man sieht also, dass investiert wird, denn der Bedarf zur Digitalisierung der Behörden und des Alltags ist groß. Da ist ja mein Heimatland Schweden ein gutes Beispiel. Der Wille, das zu treiben, ist da.
Und wir haben ja das Gegengewicht, dass wir Ethik und Moral und Gesetze zum Schutz der Mitarbeiter haben, was auch gut ist, denn so wild wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz etwa in USA, China oder auch UK benutzt wird – das finde ich gefährlich. Da habe ich es lieber, dass wir vorsichtig voranschreiten.
Aber bei der allgemeinen Digitalisierung hoffe ich, dass wir bald richtig loslegen, da sind uns andere meilenweit voraus, wie auch die Ukraine zum Beispiel.
Zahlen mit Swish und digitale Behördengänge – Digitalisierung in Schweden
Sie haben auch Schweden als digitales Vorzeigeland erwähnt. Sie selbst leben seit rund 30 Jahren in Deutschland – gab es da viele Momente, in denen Sie gedacht haben ‚Wieso gibts das hier nicht’?
Ganz viele, vor allem bei Behördengängen. In Schweden haben wir ja eine Personal ID. Neulich musste ich mich zum Beispiel um die Besitzpapiere um mein schwedisches Haus kümmern, da konnte ich mich beim Landesvermessungsamt mit meiner Nummer einwählen und hatte alles vorliegen: Flurpläne, Landkarten, Besitzpapiere – alles online. Wo man ansonsten denkt: ‚Oh nee, jetzt muss ich zur Behörde und wochenlang Anträge stellen’.
In Schweden kann ich von der Meldebescheinigung bis zur Geburtsurkunde vieles downloaden – hier muss ich zum Rathaus und fünf Euro zahlen. In Schweden hab ich das Vertrauen, dass online alles ganz leicht geht – und dieses Gefühl habe ich in Deutschland nicht.
Thema Mobile Payment: In Schweden kann man mit Swish (eine Payment-App) alles bezahlen, sogar Erdbeeren an der Straße kaufen.
Erfolgsrezept Authentizität: „Wenn es scheiße ist, sage ich, dass es scheiße ist“
Sie sind als Frau in der eigentlichen Männerdomäne IT auf eine Spitzenposition eines Welt-Unternehemens gelangt. Wie beschwerlich war dieser Weg und wie haben Sie es geschafft?
Ich will überhaupt nicht arrogant klingen, aber ich habe es irgendwie doch sehr leicht gehabt, vielleicht ist es die Personality. Ich wurde richtig gut in meinem Job, als ich aufgehört habe, etwas anderes zu sein, als ich bin – Stichwort Authentizität. Wenn es scheiße ist, sage ich, dass es scheiße ist – offen, ehrlich, transparent. Ich gebe auch zu, wenn ich Fehler gemacht habe. Ehrlichkeit zieht. Aber ich habe natürlich auch Glück gehabt, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein.
Ich bin in meiner Karriere aber auch nie direkt von einem Job zum anderen immer weiter aufgestiegen – meine Karriereleiter war eher wie eine Spirale: ein Schritt zur Seite, ein Schritt hoch, wieder ein Schritt zur Seite, hoch. Sales, Services, Operations, Customer Satisfaction, Leadership – ich hatte viele verschiedene Rollen und mein Bauchladen an Skills ist sehr breit geworden, und wenn einer gefragt hat ‚Kannst du?’ – ‚Jaja, ich kann’.
Ich habe auch mal als Leiterin eines großen Teams einen Schritt zurück gemacht und bin in eine andere Position ohne Führungsverantwortung gewechselt – und viele haben gesagt ‚Warum machst du das? Du bist doch ein Nobody, wenn du kein Boss bist’. Aber das ist ja nicht der Fall. Ich hab den Job voller Leidenschaft sehr gut gemacht und es hat super Spaß gemacht. Ich bin danach wieder ins höhere Management. Aber ich hatte nie Angst davor, auch mal einen Schritt zur Seite zu machen.
Aber ich weiß natürlich, dass es für Frauen viele Probleme in der Arbeitswelt gibt und setze mich für das Thema ein. Ich bin ja nebenbei auch Vorsitzende des Frauen-Netzwerks bei Microsoft Deutschland und habe daher viele entsprechende Geschichten gehört. Die Förderung von jungen Frauen und entsprechenden Netzwerken ist auch eines meiner Kernthemen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Interviewpartnerin Anna Kopp
Anna Kopp ist seit 18 Jahren bei Microsoft und seit acht Jahren IT Director Germany. Sie leitet die Microsoft-Zentrale in München. Die Schwedin ist außerdem Vize-Chefin der Initiative Women@Microsoft.
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