In der Reihe „Ama-Zone“ grübelt Tina Plewinski über die vielfältige Welt von Amazon: über Vor- und Nachteile des Online-Riesen, neue Entwicklungen, trendige Hypes, die unablässigen Machtbestrebungen des Konzerns und – im aktuellen Teil dieser Reihe – über Amazons neues Serien-Epos.
Monate über Monate haben Fans auf die neue „Der Herr der Ringe“-Serie aus dem Hause Amazon gewartet. Und man darf sagen: Es waren lange Monate. Mit jedem neuen Bild, mit jedem neuen Einblick und Trailer in die adaptierte Welt brach ein weiterer Schwall an Aufregung, Hoffnung und Entrüstung über Amazon herein. Es wurde gewartet, gebangt, gefleht und gezetert.
Nun ist es endlich so weit: Amazons Serien-Epos steht in den Startlöchern. Und ist quasi schon zum Scheitern verdammt.
Amazon sucht sich die Fallhöhe selbst
Der Druck auf Amazon war und ist gigantisch. Das ist übrigens kein Zustand von ungefähr. Es ist, dramatisch ausgedrückt, ein selbstgewähltes Leid des Konzerns, denn schließlich hat er die Fallhöhe selbst bestimmt. Die eigene Messlatte war schon damals in enorme Höhen gerückt, als Jeff Bezos verlauten ließ, an die Erfolge des Fantasy-Schmankerls „Game of Thrones“ anknüpfen zu wollen und dafür auch viele Milliarden Dollar locker zu machen. Nun. „Game of Thrones“ gehört zu den erfolgreichsten Serien der Welt und daran zeigt sich: Amazon kann viel, aber Bescheidenheit eher nicht.
Dass sich Amazon also für die Verfilmung eine Buchvorlage erwählt, die in ihrer Komplexität und ihrem Epos ihresgleichen sucht, könnte mit Mut, Leichtsinn oder wahlweise mit eben jener fehlenden Bescheidenheit oder Arroganz begründet werden. Doch ganz gleich, was nun tatsächlich zutrifft: Die Fallhöhe ist enorm.
Unendlich viele Angriffspunkte
Amazon hat sich ein Werk gesucht, das als Fundament der High Fantasy gilt. Und das ist ein Status, den sich Tolkien mit Akribie erarbeitet hat, denn an seiner erdachten Welt feilte er praktisch sein ganzes Leben. Tolkien wurde im Rahmen seiner Rezeption eine „unbändige Phantasie“ attestiert und mit dieser „Phantasie“ hat er sich eine Fangemeinschaft geschaffen, die brennt – die heiße Flammen schlägt wie die Feuer des Schicksalsberges.
Das Werk gilt den Fans als heilig. Wenn dann ein Konzern kommt und Hand an die heilige Tolkien-Bibel legt und sie zum kommerziellen Erfolg trimmen will, ist es bis zur Eskalation nicht weit entfernt. Dann wird über neu erfundene Figuren und veränderte Charaktere, Rassismus und die Darstellung von Diversität ebenso inbrünstig gestritten wie über Zeitlinien, Computergrafik, Musik oder bartlose Zwergenfrauen.
Der teuerste Flop aller Zeiten?
Schon vor dem Start der Serie wurde das Netz mit derart viel Kritik und Hass rund um die Verfilmung überschwemmt, dass es selbst einigen die Vorfreude genommen haben dürfte, die tatsächlich unvoreingenommen waren und sich überraschen lassen wollten.
Wahrscheinlich muss man sich – genau wie im wahren Leben – einfach von dem Gedanken verabschieden, es allen recht machen zu können. Möglich ist das offensichtlich nicht. Und es sollte wahrscheinlich auch kein Antrieb sein.
Abseits von den verärgerten Tolkien-Jüngern, die sich um das Epos ihres Herzens sorgen und in Kommentaren sogar den „teuersten Flop aller Zeiten“ heraufbeschwören ... vielleicht schafft es die Serie ja dennoch, einige Menschen zu unterhalten. Einfach nur zu unterhalten. Fernab irgendwelcher Buchvorlagen. Und vielleicht ist es ja für einige Zuschauer auch vollkommen ausreichend, sich für ein paar Stunden in eine fantastische Welt entführen zu lassen, ohne an die korrekte oder zumindest annehmbare Umsetzung einer Primärquelle zu denken. Das wäre ja schon mal was.
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