Die Arbeitswelt ist im stetigen Wandel. Während es bei der älteren Generation, den sogenannten Babyboomern, schon fast zum guten Ton gehörte, Überstunden zu machen, ist für die heutige Generation eine ausgeglichene Work-Life-Balance einer der wichtigsten Punkte bei der Suche nach einem Job. Diesen Anforderungen müssen sich auch die Arbeitgeber anpassen und suchen nach immer neuen Möglichkeiten, junge Talente für sich zu gewinnen.
Eines dieser Modelle ist die 4-Tage-Woche. Statt der üblichen fünf Tage arbeiten die Angestellten hier nur an vier Tagen und das bei gleichem Gehalt. Wie gut aber lässt sich das Konzept der 4-Tage-Woche im Alltag umsetzen? 70 Firmen in Großbritannien haben das Experiment gewagt, es soll das größte Pilotprojekt dieser Art weltweit sein. Nach drei Monaten wurde nun ein erstes Zwischenfazit gezogen.
Zauberformel „100-80-100“ gelingt
Der Testlauf wurde von der Gruppe „4 Day Week Global“ ins Leben gerufen. Sie unterstützt die Kampagne, die wöchentliche Arbeitszeit auf 32 Stunden zu verkürzen. Laut den Organisatoren lasse sich mit der Zauberformel „100-80-100“ (100 Prozent Produktivität bei 80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Lohn) ein besseres Arbeitsklima schaffen und die Motivation der Mitarbeiter steigern. Nach den ersten Monaten geben die rund 70 Firmen und deren gut 3.300 Mitarbeiter ein positives erstes Fazit ab. Der Output stimmt, Meetings wurden radikal eingekürzt und die gesamte Unternehmenskultur hat einen neuen Anstrich bekommen, lautet beispielsweise das Feedback der Computerspielefirma Hutch. Zwar endet das Pilotprojekt Ende November, laut der Tagesschau könnte sich das Unternehmen allerdings vorstellen, die 4-Tage-Woche auch über den Testzeitraum hinaus fortzuführen.
Neben Tech-Unternehmen beteiligen sich am Experiment aber auch Firmen aus ganz verschiedenen Sparten, unter anderem ein Erbschaftsteuerberater, ein Finanzinstitut, ein Fish&Chips-Laden und eine Craftbier-Brauerei. Am Ende der Versuchsreihe soll ein Forscherteam dann auswerten, inwieweit sich die neue 4-Tage-Woche auf Produktivität, Motivation und allgemeines Befinden der Arbeitnehmer auswirkt und inwieweit sich die Arbeit verändert.
Die Initiatoren sind sich jedenfalls sicher, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht nur positive Auswirkungen auf die Mitarbeiter hat – so erwartet Soziologin Juliet Schor vom Boston College „weniger Stress und Burnout, mehr Zufriedenheit im Job, weniger Mitarbeiterfluktuation und weniger Kündigungen, insgesamt höhere Produktivität“, wie es in einem Artikel der FAZ heißt –, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil im Kampf um Arbeitnehmer mit sich bringt. Auch mit Blick auf die Klimakrise lassen sich hier positive Ansätze finden. So erwarten die Forscher Einsparungseffekte nicht nur beim Benzin, da der Arbeitsweg einmal weniger zurückgelegt werden muss, sondern auch positive Entwicklungen bei Strom- und Heizkosten.
Schleppender Start in Deutschland
Hierzulande ist man von einem Pilotprojekt dieser Größenordnung noch weit entfernt. Zwar gibt es bereits einige Firmen, die eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Gehalt testen, insgesamt ist dieses Modell bisher aber nur vereinzelt vertreten. Besonders in der Politik stößt diese Idee bisher noch auf Widerstand. So hatte beispielsweise der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel erst im Sommer eine 42-Stunden-Woche ins Gespräch gebracht, auch Christian Lindner erklärte auf Twitter, dass Deutschland jetzt mehr Überstunden brauche, um „unseren Wohlstand zu sichern“. Für diesen Vorschlag erntete der Bundesfinanzminister heftige Kritik.
Twitter at its best. Aber ich stehe dazu: Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, dann brauchen wir Gründergeist, unternehmerisches Risiko und auch Respekt vor Leistung wie eben #Überstunden. Steuererhöhungen und Staatsschulden bringen uns keine Zukunft. Blame me for it! CL
— Christian Lindner (@c_lindner) June 24, 2022
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