Wie Menschen Unternehmen führen, scheint sich insgesamt zu verändern: Freude an der eigenen Tätigkeit, aber auch das Gefühl, etwas Sinnstiftendes zu tun, treibt die Mehrheit der Personen in leitenden Positionen an, wie das „Management Barometer 2022/2023“ der Beratungsfirma Odgers Berndtson ergab. Für die inzwischen zum 12. Mal durchgeführte, jährliche Untersuchung wurden über 1.500 Führungskräfte aus der deutschen Wirtschaft befragt.
Der Fokus lag in diesem Jahr insbesondere auf der herausfordernden und sich verändernden wirtschaftlichen Situation und einem Wohlstandsverlust, von dem mehrere Wirtschaftsinstitute für Deutschland angesichts eines gesamtgesellschaftlichen Kaufkraftentzugs vor dem Hintergrund von Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation ausgehen. Dass in einem zunehmend unsicheren, volatileren und komplexeren Umfeld agiert werden muss, spiegele sich den Ergebnissen zufolge in der Haltung und Einstellung der Führungskräfte wider.
Es werde eher Wohlfühlfaktoren festgehalten, als „Innovationen voranzutreiben und dafür die Meile mehr zu gehen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben“, erläutert Odgers Berndtson zur Studie. Mehr noch: „Das Bewusstsein für eine globale Krise und eine mehr denn je unsichere Lage scheint nicht vorhanden.“ – Stattdessen würden sie in der individuellen Komfortzone bleiben.
Weniger Wunsch nach Veränderungen
Das Interesse daran, an Innovationen mitzuwirken oder einen Arbeitgeber nach dessen Innovationsfähigkeit zu wählen, habe merklich nachgelassen: Insgesamt empfinden dies nur noch 38,5 Prozent der Befragten als wichtigen Faktor, im letzten Jahr waren es noch 42,5 Prozent. Am wenigsten Interesse an Innovation hat die Generation Y, der Wert sank auf den niedrigsten Stand seit Jahren.
Die fehlende Kraft, Veränderungen aktiv anzugehen, sei der Unternehmensberatung zufolge ernüchternd: „Unsere Führungskräfte in Deutschland haben viele Jahre mit dem Vorwurf gelebt, sie führen nicht empathisch genug und seien zu sehr leistungsorientiert gewesen. Jetzt haben sich die Zeiten geändert und wir müssen wieder umdenken“, kommentiert Nicola Müllerschön, Partnerin bei Odgers Berndtson und Leiterin der diesjährigen Erhebung.
Spaß statt Fehlerkultur
Der Großteil der Managerinnen und Manager (63 Prozent) ist mit der aktuellen Stelle zufrieden, dieser Wert sei im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gestiegen. Dennoch könne sich die Hälfte von ihnen einen Arbeitsplatzwechsel vorstellen. Wer diesen erwägt, tut es, um eine für sich passendere Unternehmenskultur zu finden – es sei sogar das wichtigste Wechselkriterium. Drei von vier Führungskräften wünschen sich, dass die Kultur ihren persönlichen Werten entspricht, ein Trend, den die Corona-Pandemie in den letzten Jahren verstärkt habe. Es gehe ihnen vorrangig um ein harmonisches Miteinander.
Neben einem Sinn in der eigenen Aufgabe und der Möglichkeit, die eigenen Stärken auszuleben, wurden sowohl die „Work-LifeBalance“ als auch „Spaß an der Arbeit“ mehrfach als Motivationstreiber für die eigene Führungsrolle angegeben. Nur bei einem Viertel der Teilnehmenden würden indes Fehler in der Firma bereits offen kommuniziert, neuen Ideen stünden viele kritisch gegenüber. Auch das wirke sich negativ auf die Innovationskraft aus, so Nicola Müllerschön: „Denn wie oft entsteht Neues durch das Lernen aus Fehlern. Hier können wir von der Start-up-Kultur lernen, bei der Mut zum Scheitern häufig ein Türöffner für richtungsweisende Entwicklungen ist.“ Knapp die Hälfte findet zudem, dass ESG-Themen – also Aspekte rund um Umwelt, Soziales und eine verantwortungsvolle Führung – zur eigenen Kultur gehören, immerhin ein Drittel sieht sie sogar als Teil der Unternehmensstrategie an. Aber in der Praxis mangele es konkreten Maßnahmen: Nur bei 11,56 Prozent ist beispielsweise Nachhaltigkeit in den unternehmerischen Prozessen verankert.
Es brauche aber offenbar mehr als solche Feel-Good-Aspekte: „Wir brauchen heute den empathischen Macher, der wirtschaftlich handelt und dabei die Mitarbeitenden nicht aus dem Auge verliert“, so die Studienleiterin. „Eine Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist.“
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