Online Essen oder auch gleich den ganzen Wocheneinkauf zu bestellen, ist in während der Corona-Pandemie bereits zur Routine geworden. Dennoch ist insgesamt auch eine Normalisierung des Online-Konsumverhaltens zu erkennen, längst kehren die Leute wieder selbstverständlicher in Geschäfte oder Restaurants zurück.
Und doch haben wir es beim Online-Lebensmittelhandel klar mit einer aufstrebenden Branche zu tun: Eine Studie von Mastercard im Herbst letzten Jahres offenbarte etwa, dass mehr als jeder oder jede Vierte hierzulande online Lebensmittel bestellt, ein Drittel davon wöchentlich. 80 Prozent seien im Zuge der Pandemie dazu gekommen – und dabei geblieben. Auch Ergebnisse der Studie „Grocery Insights 2022“ des Marktforschungsinstituts Gfk und der Unternehmens- und Strategieberatung Accenture deuten auf ein weiteres Wachstum hin. Für die Accenture-Prognosen wurden Mitte 2022 die Daten von mehr als 30.000 Haushalten aus dem GfK Consumer Panel FMCG Deutschland ausgewertet. Dieser Untersuchung zufolge könnte der Online-Anteil dieser Handelssparte bis 2030 zwischen 8 und 17 Prozent zunehmen.
So verändert sich der Marktanteil des Online-Lebensmittelhandels
Accenture zufolge seien verschiedene Wachstumsszenarien denkbar: Sie gehen von einem Marktanteil von 8 Prozent bei einem moderaten Wachstum aus, wenn die Wachstumsraten nicht auf ein Vorpandemie-Niveau zurückfallen – und das, obwohl der deutsche Markt im Vergleich etwa zu Großbritannien einen 10-jährigen Entwicklungsrückstand aufweise. Von 12 Prozent wird ausgegangen, wenn weitere stationärer Einzelhändler und etwa auch neue Online-Pure-Player in den hiesigen Online-Lebensmittelhandel einsteigen. Ein signifikanter Anteil von 17 Prozent am Gesamtmarkt wäre dann zu erwarten, wenn ein oder mehrere neue Wettbewerber mit einem auf Omnichannel ausgerichteten Filialnetz in den Markt eintreten und sich durch ein umfassendes Online-Lebensmittelangebot, einer breiten Produktpalette und zusätzlichen Services wie Abonnements und Kochboxen positionieren würden.
Derartige Entwicklungen wären vor Corona eher nicht denkbar gewesen, weiß Sven Kromer, Managing Director bei Accenture: „Vor Corona war der Lebensmitteleinzelhandel über Jahre hinweg nur ein sehr schwach wachsender Markt, vor 2019 ca. 0,5 Prozent jährlich. In der Pandemie, von 2019 bis 2021, wuchs die Sparte dann insgesamt um 13 – getrieben durch bekannte Effekte, wie beispielsweise mehr Home-Office-Arbeit. Der Lebensmitteleinzelhandel im E-Commerce ist hingegen viel stärker gewachsen, um ca. 60 Prozent. Der Anteil von E-Commerce am Lebensmitteleinzelhandel stieg in dieser Zeit von zwei Prozent auf drei Prozent“, führt der Experte für Retail Supply Chain gegenüber OnlinehändlerNews aus.
Eine weitere Erhebung unterstreicht die Prognosen. Statista geht im eigenen Digital Market Outlook für das Jahr 2025 von einem Umsatzwachstum von 5,3 Prozent aus, auch wenn es sich nach der Corona-Hochzeit seit 2021 immer mehr verlangsamt. Ob der Marktanteil aber tatsächlich zunimmt, ist Kromer zufolge derzeit aber auch von der Inflationsentwicklung sowie der Geschwindigkeit des Ausbaus der Lieferinfrastruktur abhängig.
Viel Bewegung im Markt
Wer an den Lebensmittelkauf im Netz denkt, dem fallen sogleich zahlreiche namhafte Firmen ein. Es lässt sich eine grobe Klassifizierung in drei Anbieter-Typenvornehmen:
- Pure Online-Dienstleister, z. B. Knuspr, Picnic
- Quick-Commerce-Anbieter: Gorillas/Getir, Flink
- Stationäre Händler mit Online-Kaufoptionen, die auch Lieferungen mit Partnerschaften realisieren: Rewe mit Flink, Edeka Südwest mit Bringman, Penny mit Bringoo / Wolt, Globus mit Bringoo, Tegut mit Amazon, Lieferando und Wolt
„Bei genauerer Betrachtung lässt sich erkennen, dass der Markt mit seiner Vielzahl von Anbietern immer noch stark fragmentiert ist. Viele werden durch Finanzinvestoren mit Geld versorgt“, erläutert Sven Kromer. Das gilt etwa für Knuspr und Picnic, auch Gorillas wurde unterstützt. Zudem gibt es strategische Verkäufe und Investitionen: Edeka hatte beispielsweise im Mai 2021 den hauseigenen Lieferdienst Bringmeister an einen tschechischen Investor verkauft und Dr. Oekter erwarb im Dezember 2020 Flaschenpost, den damaligen Wettbewerber des eigenen Online-Getränkelieferdienstes Durstexpress.
Gleichzeitig werde eine Konsolidierung immer deutlicher: Anfang Dezember wurde beispielsweise Gorillas von Konkurrent Getir übernommen, Flink übernahm im Frühjahr des letzten Jahres Cajoo. Zusätzlich haben etliche kleine und mittelgroße Anbieter in 2021 und 2022 ihren Betrieb eingestellt, darunter Grovy, Wuplo, Bring, Food.de, Frischepost, GetFaster, BringFresh, GetHalal, GerneOhne, Biorena. Beide Entwicklungen tragen zur Bereinigung des Anbietermarktes bei. „Wir gehen davon aus, dass sich die Konsolidierung weiter verstärken wird, um Skaleneffekte sowohl in der Logistik (z.B. bei den Lagern bzw. Depots sowie bei der Auslastung auf der letzten Meile) als auch in der IT zu heben. Denn angesichts ohnehin steigender Lebensmittelpreise und zunehmender Logistikkosten wächst auch für die Online-Lebensmitteleinzelhandelsanbieter der Kosten- bzw. Profitabilitätsdruck“, so der Handelsexperte Kromer.
Allerdings gibt es auch immer wieder den ein oder anderen neuen Player am Markt. Dazu zählt beispielsweise Alpakas aus Berlin, die mit einem nachhaltigen Lieferkonzept überzeugen wollen. Aldi Süd gab Ende November bekannt, in das E-Grocery-Geschäft einsteigen zu wollen und Tchibo ist den Handel mit veganen Kochboxen eingestiegen.
Quick-Commerce-Anbieter: Starke Lieferversprechen …
Vor allem die Express-Lieferdienste haben zum Ende der Corona-Phase ein starkes Wachstum verzeichnet. „Mit ihren ultraschnellen Lieferzeiten – 100 Prozent innerhalb einer Stunde – setzten sie nicht nur neue Maßstäbe, sondern zogen auch Wachstum und Marktanteile auf sich“, weiß Christian Böhler, Analyst Strategy & Consulting bei Accenture. Im Gegenzug würden eine solche Zustellqualität nur acht Prozent der stationären Märkte und 20 Prozent der reinen Online-Lieferdienste aus der Branche erreichen – was die oben genannten Kooperationen zwischen Läden und Quick-Commerce-Anbietern erklärt. Vor allem die exklusiveren Partnerschaften hätten das Branchenwachstum weiter beschleunigt.
Vor allem auf diese stete positive Umsatzentwicklung legen die Dienstleister Wert: „Der Fokus der Quick-Commerce-Anbieter lag bisher voll auf Wachstum, nicht so sehr auf Profitabilität. Ziel war es, Online-Volumen sowie Marktanteile zu gewinnen und über Skaleneffekte die Basis für langfristig sinkende Stückkosten zu schaffen, was wiederum zu einem profitablen Geschäftsmodell beitragen soll“, so der Retail-Analyst Böhler.
… aber stärkerer Kostendruck
Dieses Vorgehen hat seine Schattenseiten, denn ein solch hoher Lieferstandard kostet Geld. „Diese Kosten können über höhere Liefergebühren oder Produktpreise ausgeglichen werden“, erklärt Christian Böher. „Aus einer aktuellen Erhebung wissen wir, dass die Liefergebühren der drei Anbietertypen nicht allzu stark variieren, auch wenn Quick-Commerce kürzere Lieferzeiten anbietet. Aus unserer Sicht möchten Quick-Commerce-Anbieter so etwaige Eintrittsbarrieren vermeiden, die durch deutlich höhere Liefergebühren entstehen würden. Über alle Anbietertypen hinweg rufen mehr als 60 Prozent Liefergebühren von bis zu maximal vier Euro auf. 50 Prozent bieten eine kostenfreie Lieferung ab 50 Euro“. Anders sieht es allerdings bei den Produktpreisen aus: „Laut unseren Stichproben liegen diese bei Quick-Commerce ca. 10–20 Prozent höher.“
Wenn die Anbieter nicht auf Wachstum setzen, geraten sie finanziell wegen der Lagerfixkosten und zu zahlenden Löhnen etc. unter Druck. Doch auch hier geht Accenture von Konsolidierung aus – und zwar wegen des Fachkräftemangels: „Der Arbeitsmarkt lässt kaum Spielraum, insbesondere deshalb, weil weiterhin eine Knappheit bei Lagerkräften und Fahrern herrscht“.
Serviceangebot anderer Händler nähert sich Quick-Commerce an
Andere Online-Lebensmittelhändler arbeiten bereits daran, das eigene Service-Portfolio um die Option ultraschneller Lieferungen mit entsprechender Preisstruktur zu erweitern. So hätten der Accenture-Studie bereits 70 Prozent der reinen Online-Anbieter einen Zwei-Stunden-Lieferservice. „Das ist für sie in vielen Fällen attraktiver als eine Übernahme von nicht profitablen Quick-Commerce-Anbietern“, erläutert Sven Kromer, „etwa, weil sie schon über den entsprechenden Kundenstamm verfügen, dem man ein erweitertes Serviceangebot machen kann.“ Partnerschaften zwischen den Pure Onlinern und Quick-Commerce-Anbietern seien indes seiner Erfahrung nach oft zu kompliziert zu händeln, als dass dadurch wirklich Vorteile für beide Seiten entstünden.
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