Die 40-Stunden-Woche hat bei der F&P GmbH ausgedient. Seit Oktober 2022 hat das Unternehmen die 4-Tage-Woche eingeführt und geht damit auf das Bedürfnis der Mitarbeiter ein, mehr Balance zwischen dem beruflichen Alltag und den Anforderungen im Privatleben zu schaffen. Ganz unter dem Motto New Work haben sich Firmen weltweit in den letzten Jahren immer neue Benefits einfallen lassen, um Fachkräfte zu bekommen und ihre bestehenden Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.
Bei F&P geschieht das nun nach der Formel 4 - 32 - 100: 4 Tage für insgesamt 32 Stunden arbeiten und das bei 100 Prozent Gehalt. Was die Gründe für ein solches Modell waren, wie die Umsetzung verlief und dass man bei all der Euphorie über ein solches Arbeitszeitmodell nicht die zeitlichen und finanziellen Ressourcen unterschätzen sollte, die ein Unternehmen in die Einführung einer 4-Tage-Woche investieren muss, darüber haben wir mit Dr. Ingmar Ackermann, CEO der F&P GmbH, gesprochen.
Die größte Herausforderung: Das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben
OnlinehändlerNews: Verraten Sie uns bitte ein paar Hintergrundinformationen zu F&P: Wie lange existiert die Firma schon? Was ist Ihr Schwerpunkt, wie sieht das Geschäftsmodell aus? Wie viele Mitarbeiter beschäftigt F&P?
Ingmar Ackermann: Die F&P GmbH wurde vor über 25 Jahren als klassische Werbeagentur gegründet und hat sich über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte hin zu einem breit aufgestellten, internationalen Unternehmen mit Fokus auf sein erfolgreichstes Projekt, die sexpositive Online-Community JOYclub, entwickelt. Dabei sind wir unserer Heimat stets treu geblieben und beschäftigen aktuell an unseren beiden Standorten in Selbitz bei Hof und Leipzig über 180 Mitarbeitende.
Sie nutzen das Modell der 32-Stunden-Woche und sind damit an ihrem Standort Leipzig eine der wenigen Firmen, die sich daran wagen. Wann haben Sie die kürzere Arbeitszeit eingeführt? Wie kam es zu dem Schritt, welche Beweggründe gab es dafür?
Die 4-Tage-Woche haben wir im Oktober 2022 für alle Mitarbeitenden eingeführt. Mit der Formel 4 - 32 - 100, das heißt, an vier Tagen 32 Stunden arbeiten bei 100 % Gehalt. Das war ein großer und freudiger Schritt, zu dem wir uns nach reiflicher Überlegung entschieden haben. Unser Ansinnen war es, ein Arbeitszeitmodell zu schaffen, das es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dauerhaft ermöglicht, in einer guten Balance zwischen den Anforderungen des Privatlebens und des beruflichen Alltags zu leben. Jede Woche ein dreitägiges Wochenende zu haben, steigert das Wohlbefinden und die Lebensqualität erheblich. Hinzu kommt, dass wir damit in einem hart umkämpften Arbeitsmarkt unsere Attraktivität als Arbeitgeber deutlich steigern können.
Wie verlief der Prozess, um das Vorhaben tatsächlich umzusetzen? Was waren die größten Herausforderungen während der Einführung?
Der organisatorische Wandel wurde und wird weiterhin federführend vom Team People & Culture gemeinsam mit unseren Agile Coaches gesteuert und begleitet. Gerade mit Blick auf die Effizienz, die ja beim Modell der 4-Tage-Woche gerne besonders in den Fokus rückt, hat eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Meeting-Kultur, aber auch teaminternen Prozessen sowie Scrum-Ritualen stattgefunden.
Das heißt konkret: Wir haben die Dauer und Länge von Meetings wie auch die Formate an sich geprüft und geschaut, wie wir gemeinsam ressourcenbewusster mit unserer Zeit umgehen können. So war eine Herausforderung zunächst das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Nicht nur als Organisation, sondern wir alle waren gefordert, unsere Woche neu zu gestalten – ohne dabei zu versuchen, die Inhalte von 5 jetzt in 4 Tagen unterzubringen.
Wie handhaben Sie die Umsetzung der 4-Tage-Woche konkret? Haben alle Mitarbeiter beispielsweise an einem bestimmten Tag frei?
Ich sage gern: 32 ist unser neues 40. Denn die 4-Tage-Woche bei F&P bedeutet für alle Vollzeitbeschäftigten, dass sie von Montag bis Donnerstag 32 Stunden arbeiten und Freitag frei ist und das – wie gesagt – bei vollem Gehalt. Für Teams wie Community Support und Community Management, die auch zuvor schon in anderen Rhythmen gearbeitet haben, wurden alternative Lösungen gefunden. Gleiches gilt für Kolleg:innen, die in Teilzeit tätig sind.
Ressourcenbewusstes Arbeiten, ohne Stress und Überstunden
Wie waren die Reaktionen der Mitarbeiter? Gab es auch kritische Äußerungen bzw. Widerstände? Wenn ja, wie sahen diese aus – und wie ist F&P damit umgegangen?
Die Reaktionen der Mitarbeitenden waren positiv, geradezu überschwänglich. Wir pflegen eine Politik der offenen Tür und haben nach der Ankündigung selbstverständlich den Raum gegeben, Fragen zu stellen und auch Bedenken zu äußern. Die aufgekommenen Fragen waren vor allem formaler Natur und konnten allgemein beantwortet oder individuell geklärt werden.
Dass der ganz überwiegende Teil der Rückmeldungen positiver Natur war, hat mich natürlich sehr gefreut und zugleich berührt. Denn mir haben sie einmal mehr gezeigt, wie eng verbunden sich die Mitarbeitenden mit dem Unternehmen fühlen, und mich bzw. uns als Geschäftsführung darin bestärkt, diesen Weg zu gehen. Denn ganz im Sinne unseres Unternehmenswerts „Our company, my turn“ gehen bei uns persönliche Erfolge und der Unternehmenserfolg Hand in Hand.
Bedeutet, weniger Stunden zu arbeiten, dass weniger Arbeit geschafft wird? Müssen Ihre Mitarbeiter nun die gleiche Arbeit in weniger Zeit bewältigen oder wurden die Erwartungen und Zielsetzungen etwas heruntergeschraubt? Besteht die Gefahr, dass dennoch Überstunden gemacht werden, um alle Aufgaben erledigen zu können?
Wir haben bei F&P kein externes Projektgeschäft, da wir den JOYclub als unser eigenes, internes Projekt betreuen und dementsprechend selbst entscheiden, was wir uns für unsere Quartale vornehmen. Grundsätzlich vertraue ich darauf, dass alle Mitarbeitenden ihre Arbeit eigenverantwortlich und im Sinne der vorgegebenen zeitlichen Ressourcen strukturieren, ohne Überstunden zu machen oder sich zu stressen – das würde unserer Intention mit der 4-Tage-Woche zuwiderlaufen.
Aber ja, natürlich waren wir darauf eingestellt, dass die Umstellungsphase zunächst dazu führen könnte, dass weniger Arbeit geschafft wird. Einfach weil es einer Anpassung an die neue Situation bedarf. Wir haben den Prozess aber gut vorbereitet und eng begleitet und bei einer ersten Umfrage nach vier Wochen zeigte sich ein sehr erfreuliches Bild.
130 Mitarbeitende haben an der Umfrage teilgenommen. Davon gaben gut 60 % an, dass aus ihrer Sicht die Produktivität über das gesamte Unternehmen unverändert geblieben ist. Jeweils 20 % empfanden sie etwas höher bzw. etwas niedriger. Das hat uns sehr gefreut!
Und ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger im ersten Schritt: Der kritische Blick auf das Stresslevel, das sich durch vermehrte Überstunden erhöhen könnte. Bei der Hälfte der Mitarbeitenden hatte sich das Stresslevel nach der kurzen Zeit jedoch bereits reduziert. Lediglich bei 20 % war es etwas höher. Erfreut und bestärkt hat mich nach dem ersten Monat, dass der noch vorhandene Stress tendenziell als Eustress, also positiv wahrgenommen wird. Um die Entwicklung zu beobachten und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen zu können, werden diese Pulse Checks – so nennen wir diese Art von Umfragen – regelmäßig wiederholt. Wir gehen davon aus, dass sich das Stresslevel im Zeitverlauf weiter senken wird.
Kein Zurück zur 5-Tage-Woche
Handelt es sich bei der 32-Stunden-Woche aktuell noch um einen Testlauf oder eine feste Regelung? Was muss aus Ihrer Sicht passieren bzw. schiefgehen, um zu merken, dass das Modell bei Ihnen doch nicht funktioniert? Haben Sie es im Hinterkopf, wieder zur 40-Stunden-Woche zu wechseln?
Klares Nein. Die 4-Tage-Woche ist für uns kein Testlauf. Wir sind davon überzeugt, dass dies für uns das richtige Arbeitszeitmodell ist. Sollte es wider Erwarten zu Herausforderungen kommen, werden wir diesen gemeinsam begegnen und Lösungen erarbeiten. Das ist eine in vielerlei Hinsicht anspruchsvolle Entwicklung, aber der Gedanke eines Zurück zur 5-Tage-Woche existiert in diesem Zusammenhang für mich nicht.
Ihren ersten Erfahrungen nach: Würden Sie das Modell der 4-Tage-Woche auch anderen Firmen empfehlen und wenn ja, welche Tipps geben Sie für die Umsetzung? Woran liegt es, dass das Modell hierzulande noch nicht weiter verbreitet ist?
Ich möchte zunächst jedem Unternehmer und jeder Unternehmerin Mut machen, sich für neue Modelle zu öffnen. Dabei muss jedes Unternehmen anhand der eigenen Möglichkeiten individuell evaluieren, welchen Spielraum es bei der Gestaltung von Arbeitszeitmodellen hat. Der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeitmodellen nimmt zu und zur Aufrechterhaltung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit gilt es attraktive Angebote für die Mitarbeitenden zu entwickeln. Je nach Branche, Geschäftsmodell und anderen Charakteristika wird es diesbezüglich spezifische Limitationen geben. Dennoch würde ich empfehlen, proaktiv in diese Überlegungen einzusteigen, statt eines Tages unter Druck reagieren zu müssen. Man darf in diesem Zusammenhang allerdings auch nicht verschweigen, dass uns die Einführung der 4-Tage-Woche viele zeitliche wie auch finanzielle Ressourcen gekostet hat und dass nicht alle Unternehmen in der Lage sein werden, dieses Modell umzusetzen. Für uns hat sich die 4-Tage-Woche bereits heute gelohnt.
Um noch zwei Tipps mit auf den Weg zu geben: Ich empfehle grundsätzlich den Weg hin zur 4-Tage-Woche oder anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu erarbeiten. Das steigert das Commitment und hilft, frühzeitig den zum Unternehmen passenden Weg einzuschlagen und auch individuelle Bedarfe oder Sonderfälle entsprechend zu berücksichtigen. Ebenso gehört aus meiner Sicht dazu, den Prozess mittels Umfragen unter den Mitarbeitenden zu begleiten, um zu wissen, wo und wie gegebenenfalls nachjustiert werden muss.
Kurz gesagt: Bei einer Umstellung sind eine gute Analyse der Auswirkungen und ein professionelles Projektmanagement essenziell. Und dort, wo Ressourcen knapp sind, sollte man entweder auf Externe zurückgreifen oder in Kontakt mit erfahrenen Unternehmen treten.
Vielen Dank für das Gespräch!
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