In vielen, vornehmlich westlich geprägten, Ländern wird im Schnitt 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Doch immer öfter steht die hohe Stundenanzahl auf dem Prüfstand. Etwa, weil die Work-Life-Balance sowie Arbeitszeitflexibilität – nach Gehalt, Erreichbarkeit und Betriebsklima – für fast jeden Zweiten ein relevantes Kriterium bei Stellenanzeigen sind, wie der Personaldienstleister Randstad ermittelte. Oder, weil – noch immer mehrheitlich – Frauen oft nicht Vollzeit arbeiten (können), obwohl es ihrer Karriere zugutekäme.
Der demografische Wandel hat den Konkurrenzdruck um neue Talente erhöht – und so experimentieren immer mehr Firmen mit neuen Arbeitszeitmodellen. Und so hat das eine oder andere Unternehmen bereits die 4-Tage-Woche eingeführt – bei 100 Prozent Lohn. Das trifft vorrangig auf Agenturen zu, doch auch der Modehändler Gerry Weber oder erstmals der deutsche Logistiker Cargo Truck probieren sich daran. Für Arztpraxen hält man diese Variante ebenfalls für sinnvoll.
Ist man denn nun durch weniger Arbeitszeit wirklich produktiver? Wir werfen einen Blick auf diese Frage und wie in zwei Variationen der 4-Tage-Woche mit diesem Thema umgegangen wird.
Weniger Arbeitszeit macht produktiver
Neu sind die Diskussionen um weniger Wochenarbeitsstunden ja nicht – schon seit Jahren gibt es in unterschiedlichen Ländern immer mal Modellversuche. Dass das Thema jetzt so aufkocht, dürfte vor allem der Coronakrise geschuldet sein: Währenddessen kamen nämlich sehr viele Firmen und deren Beschäftigte mit Remote Work und Kurzarbeit in Berührung. Das blieb nicht folgenlos, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo), die solche Erfahrungen aus der Pandemie auswerte: Je flexibler sich die Betriebe rund um Arbeitsort und Zeiten aufstellen, desto positiver seien dies für die Beschäftigten als auch fürs Geschäft gewesen. Wurden Freiheiten stattdessen eingeschränkt, stiegen die Kosten infolge von Kündigungen und notwendigen Neueinstellungen. Kürzere Arbeitszeiten würden zu einer gesunden Work-Life-Balance beitragen und so die Produktivität verbessern, lautet, wie bei der Zeit zu lesen, Ilos Erkenntnis.
Eine langfristig angelegte Studie in Island verrät indes, warum das so ist: Die im Zeitraum von 2015 bis 2017 sowie von 2017 bis 2019 teilnehmenden Beschäftigten reduzierten ihre Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 oder 35 Stunden. Das Ergebnis: Die Teilnehmenden hatten mehr Zeit für Familie und Freizeit und berichteten von einer besseren physischen und psychischen Konstitution: „Aus der Analyse einer Vielzahl von Daten geht hervor, dass das Wohlbefinden und die Work-Life-Balance der Arbeitnehmer erheblich gesteigert werden konnten“ und das, so der Clou, „bei gleichbleibender, in einigen Fällen sogar verbesserter Produktivität der Dienstleistungen“, heißt es in der Studie.
„Wie“ statt „wie lange“
Um auch in der kürzeren Arbeitszeit die geforderten Leistungen zu erbringen, hatten die Beschäftigten aus der isländischen Studie ihre Arbeit innerhalb der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit neu organisiert. Für Leadership-Coach Lorenz Illing ist exakt das der Knackpunkt bei der Frage, ob geringere Arbeitszeiten unweigerlich zu mehr Leistung führen: „Wenn wir dem Ganzen eine mathematische Formel geben müssten, dann wäre Leistung = Input * Produktivität. Es gibt viele Effekte, die die Produktivität beeinflussen“, erklärt er. Deshalb sei das „Wie“ entscheidend: „Nur wenn ich also die Zeit, die ich reinstecke, auch richtig investiere und produktiv bin, geht die Gleichung auf. Deshalb besteht kein lineares Verhältnis zwischen Input (also investierte Zeit bzw. Überstunden) und Leistung. Und: Auch wenn man zu lange an einem Thema sitzt, nimmt die Produktivität massiv ab. Also die isolierte Betrachtung des Inputs, in diesem Fall die Arbeitszeit, ist viel zu kurz gegriffen.“
Es kommt außerdem auf die Erfahrung an, so Illing: „Ein Junior ist auch in seiner besten Arbeitsstunde am Tag längst nicht so produktiv wie ein Senior. Ein Junior braucht also viel mehr Input (Zeit) für das gleiche Ergebnis (Leistung). Als Führungskraft muss ich immer wieder darauf hinweisen, dass es final um den Output geht und nicht um den Input. Viel arbeiten ist nicht das Ziel. Erstklassigen Output generieren ist das Ziel.“
In vier Stunden schafft man manchmal mehr als in zehn
Dass sich Produktivität nicht rein über die Steigerung von Arbeitszeit erhöhen lässt, merkte auch Dr. Markus Wübben, Co-Gründer von CrossEngage. Die Agentur unterstützt Firmen dabei, Kundenbeziehungen bestmöglich auszugestalten und zu nutzen – gearbeitet wird somit größtenteils kreativ. Genau deshalb sei es nötig, „frisch und ausgeruht im Kopf zu sein, um konstant gute Leistungen zu erzielen“, erklärt der Marketingchef. Weniger ist eben, wie wir schon aus der Theorie wissen, auch in der Praxis oftmals mehr: „Produktive Programmierer:innen schreiben die besten Zeilen Code, aber nicht unbedingt die meisten“, erläutert Wübben an einem Beispiel.
Für ihn ist es glasklar, dass sich Produktivitätssteigerungen nicht nur über Prozessoptimierungen oder gar über die maximale Ausnutzung der physischen Arbeitskraft erzielen lassen. „Dieses Denkmuster ist komplett veraltet“, findet der CMO. Stattdessen verweist er darauf, dass Produktivität eine Hochphase hat und dann wieder abnimmt. „Ich glaube, wir kennen das Gefühl alle, wenn wir manchmal in vier Stunden mehr schaffen als in zehn.“
No-Meeting-Tuesday: Mehr Effizienz durch fokussiertes Arbeiten
Die Frage ist also: Wie kann ich meine Produktivität erhöhen, statt mehr zu arbeiten? Dafür hat die Leadership-Trainingsagentur TAM-Akademie, in der Lorenz Illing tätig ist, ihren ganz eigenen Ansatz entwickelt – den sogenannten No-Meeting-Tuesday. An diesem Dienstag sind, wie der Name schon vermuten lässt, keine internen Meetings erlaubt, interne Anrufe und Nachrichten auf Slack werden gehandhabt wie am Wochenende: Anrufe nur im Notfall und auf E-Mails oder Chat-Nachrichten wird keine Antwort erwartet.
„Jede:r in der TAM darf und soll diesen Tag so gestalten, wie er für ihn/sie am wertvollsten ist. Keine Fremdbestimmung durch Meetings und keine Unterbrechungen durch Meetings, Anrufe und Nachrichten. Ziel ist es, am Dienstag in den Genuss des Flows oder auch der Deep Work zu kommen. Das bedeutet, extrem produktiv zu sein und konzentriert komplexe Aufgaben abgearbeitet zu bekommen“, erläutert der Leadership-Experte. Eine große Portion Eigeninitiative des jeweiligen Angestellten ist dabei ganz klar gefragt: „An diesem Tag muss sich jeder komplett eigenverantwortlich überlegen, was ist wirklich wichtig, was will ich erledigt haben, wozu bin ich nicht gekommen, was kann ich nun endlich angehen?“, so Illing.
Eingeführt wurde der No-Meeting-Tuesday im Januar 2022 und er ist seit dem nicht nur „sehr beliebt“, auch der Erfolg scheint dem Modell recht zu geben: Die Produktivität ist gestiegen, das Stresslevel habe sich reduziert und die Selbstmanagement-Kompetenz im gesamten Team habe sich ebenfalls verbessert. Und ein weiterer Aspekt könnte die Motivation steigern, sich die eigene Arbeit so effizient wie möglich zu gestalten: „Wenn ich meinen Output so richtig im Griff habe, kann ich an dem Tag auch komplett die Beine hochlegen. Dann reden wir von einer selbstbestimmten, auf Produktivität und Output basierten 4-Tage-Woche“, resümiert Illing.
Wer leistet, muss wieder aufladen
Und auch CrossEngage hat sich eine Möglichkeit überlegt, wie sie die Arbeitszeit so gestalten können, um genug Kapazitäten für Leistung zu schaffen. Sie führten wie TAM im Januar 2022 die „Recharge Days“ ein und tragen – nicht nur mit dem Namen – der Tatsache Rechnung, dass man regelmäßig die eigenen Akkus aufladen muss, um weiterzupowern.
„Jeden zweiten Freitag ist frei. Für alle. Bei gleich bleibendem Gehalt. Wir wollen unsere Mitarbeitenden dazu befähigen, hochwertige und sinnvolle Arbeit zu leisten und gleichzeitig eine Balance zwischen Arbeits- und Privatleben aufrechtzuerhalten“, erläutert Marcus Wübben zum Konzept. Doch damit nicht genug: Der alternierende Freitag zu den Recharge-Freitagen ist meetingfrei. Ähnlich wie bei TAM ist der Tag also dazu da, dass sich Mitarbeitende voll auf ihre Aufgaben konzentrieren können, „quasi in diese abtauchen“ – und nicht ständig abgelenkt werden. Das habe den positiven Effekt mit sich gebracht, dass die zusätzlich die fehlende Arbeitszeit aus den freien Freitagen ausgeglichen wird.
Nach mehr als einem Jahr könne das Unternehmen „ausnahmslos“ von guten Erfahrungen berichten. „In einer internen Mitarbeitendenbefragung gaben 30 Prozent an, dass sich die Work-Life-Balance verändert hat – und zwar bei allen zum Guten. Knapp 18 Prozent der Befragten geben an, dass sich das Stress-Level auf der Arbeit verändert hat – auch hier zu 100 Prozent zum Guten“, berichtet der Co-Gründer. Und er vermutet, dass das – ähnlich wie bei den Teilnehmenden aus der Island-Studie – damit zu tun hat, dass die Leute mehr Zeit für sich haben. Denn, das wisse er auch aus der firmeneigenen Befragung, die meisten Mitarbeitenden haben die freien Freitage vor allem für ihre mentale und physische Gesundheit, für soziale Aktivitäten und für ihre persönliche Weiterentwicklung genutzt. Auch für CrossEngage zahlte sich diese Neuerung aus: „Die durch die ‚Recharge Days' gesteigerte Produktivität führte dazu, dass wir das vergangene Jahr mit einem Wachstumsplus beenden konnten“, so Marcus Wübben.
Dass sich mit einer entsprechend geschickten Regelung auch mit einer „4,5“- oder „selbstbestimmten 4“-Tage-Woche die Produktivität im Vergleich zur 40-Stunden-Woche steigern lässt, scheint also zu funktionieren. Ob es solche Erfolgsstorys auch bald aus anderen Branchen zu berichten gibt, bleibt abzuwarten.
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Ich; selbst Unternehmer; habe jahrelang 50-60 Stunden / Woche abgeleistet - bei 100% Effizenz. Dafür bin ich heute mit 50 finaziell unabhängig und könnte ohne Probeleme in Rente gehen. DAS nenne ich Work-Life-Balan ce !
Läge die Effizenz der Mitarbeiter bei einer 4-Tage Woche dann genauso hoch wie bei einer 5-Tage Woche, würde ich das sofort in meinem Unternehmen einführen - dann aber auch zu den arbeitsrechtlic hen Bedingungen von den Ländern, woher solche Ideologien kommen.
Heute liegt die Effizenz-Quote vieler Mitarbeiter bei lediglich 70%, weil man ja ständig und permanent während der Arbeitszeit ins Handy klotzen muss. Genau dieses "Volk" schwafelt von einer 4 Tage Woche (bei vollem Lohnausgleich), um noch länger ins Handy klotzen zu können; von wegen Prime-Time mit der Familie. "Burn-out" mit 20 aber noch wie wirklich gearbeitet bzw. was geleistet.
Dazu kommt staatlich geförderte "Arbeitsunlust" . Arbeiten ? Wenn, dann nur noch bei vergoldeten Bedingungen.
Neulich bei uns: Schulabgänger mit 19 phantasiert von einer 30/35 Stundenwoch, EUR 45.000 Brutto + Firmenwagen, min. 30 Tage Urlaub; Homeoffice runden die Grundbedingunge n ab. Auf die Frage hin, auf welcher Grundlage diese "Forderungen" basieren, heißt es nur: hab ich gegoogelt.
Willkommen in Lala-Land bei explodieren Preisen und steigender Altersarmut.
Mein Nachbar lässt sich gerade sein Haus renovieren. Slowenische Bauarbeiter die von Mo. - Sa. von 07.00 - 19.00 täglich da sind. Werde mal rüber gehen und die nach deren Work-Life-Balan ce fragen...
Geanu solche Leute werden wir brauchen, um die Stand heute bereits fehlenden 600.000 Wohnungen, 10.000 Windkrafträder, Digitalisierung und weitere dringende Vorhaben zu realisieren. Bei dem aktuellen Fachkräftemange l und einer 4-Tage-Woche Ideologie, würden wir min. 5.000.000 "Fachkräfte-Zuw anderer" benötigen.
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Wenn ich in kürzerer Arbeitszeit von meinetwegen 4 Tage pro Woche statt 5 produktiver bin als vorher, bedeutet das doch nichts anderes, als dass ich mir in 20% meiner bisherigen Arbeitswoche die Eier geschaukelt habe.
Dass diese Arbeitseinstell ung plötzlich umschlägt in 100%+ Commitment, wage ich dann doch zu bezweifeln.
Andersherum scheint bei 20%iger Produktivitätsv erschwendung in einer 5-Tage-Woche in dem Unternehmen vieles im Argen zu sein - und nicht nur, dass die Beschäftigten ein Fünftel ihrer Arbeitszeit offenbar verschwenden bzw. unproduktiv verbringen.
Gleichzeitig bedeutet die Komprimierung der Arbeitszeit auf 4 statt 5 Tage pro Woche zwar zweifellos mehr Erholungszeit für den Arbeitnehmer - aber gleichzeitig steigt doch auch die Erwartung, an den verbleibenden 4 Tagen auch wirklich reinzuhauen. Der Arbeitsdruck wird also deutlich höher. Ob das nun der Work-Life-Balan ce so zuträklich ist und den "inneren Kündigern" entgegen wirkt?
Ich habe an dem Projekt generell so meine Zweifel...
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