Arbeiten in den Abendstunden ist für viele Beschäftigte Normalität. Einige Unternehmen preisen diese Option sogar als flexible Möglichkeit, mit der es gelingen kann, das familiäre oder soziale Leben besser mit den beruflichen Verpflichtungen zu vereinbaren und Entlastung zu schaffen.
Damit, so wird es vielen Arbeitnehmern präsentiert, sei es ein durchaus wichtiger Faktor für eine gut funktionierende Work-Life-Balance. Und wie sich anhand verschiedener Studien nachzeichnen lässt, ist eine ausgewogene Work-Life-Balance für Beschäftigte von essenzieller Bedeutung, denn sie hat Einfluss auf Zufriedenheit und Lebensqualität, aber auch Wohlbefinden und Gesundheit.
Erstrebenswert ist ein Feierabend zwischen 14 und 17 Uhr
Eine neue Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung legt nun allerdings offen, dass es sich beim Wunsch nach abendlicher Arbeit um eine moderne Mär handelt: Weder Arbeitnehmer mit Kindern noch kinderlose Beschäftigte streben danach. Als Basis der Untersuchung gilt eine Befragung der Stiftung im November 2022 unter mehr als 2.300 sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten.
Würden sie vor die Wahl gestellt, dann würden sich überwältigende 97 Prozent der Arbeitnehmer gegen ein Arbeiten nach 18 Uhr entscheiden. Demzufolge liegt der Anteil der Befürworter bei lediglich drei Prozent. „Der größte Teil möchte je nach Arbeitsbeginn zwischen 14 und 17 Uhr Feierabend machen – Frauen im Schnitt rund eine Stunde früher als Männer“, schreibt Spiegel Online mit Blick auf die Studie der Soziologin Yvonne Lott.
Abendliche Arbeit widerspricht dem sozialen Rhythmus
Im Kern stellt die Analyse heraus, dass Arbeit in den Abendstunden sowie in der Freizeit dem „sozialen Rhythmus der Abend- und Wochenendgesellschaft“ entgegensteht: Sie könne weder mit dem Familienleben noch mit anderweitigen sozialen Aktivitäten in Einklang gebracht werden, da diese für gewöhnlich ebenfalls am Abend oder auch am Wochenende stattfinden. Genau diese Zeiten sind es, die „als sozial besonders wertvoll eingeschätzt“ würden.
Arbeiten Menschen am Abend oder am Wochenende und verschwimmen dadurch „die physischen und zeitlichen Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privat- bzw. Familienleben“, kann sich dies negativ auf den gesamten privaten und familiären Bereich auswirken. Die Belastung und der Stress für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen. Nicht unüblich seien auch negative Begleiterscheinungen wie ein Gefühl mangelnder Erholung, Schlafprobleme oder Schuldgefühle, die wiederum ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen können.
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Leidenschaft ist kein Antrieb für abendliche Arbeit
Dass dennoch viele Angestellte den Abend aus eigenem Antrieb für Berufliches nutzen, könnte da durchaus verwundern. Doch offenbar legen aktuelle Forschungsergebnisse nahe, dass dies weder auf eine übermäßige Leidenschaft für die Arbeit selbst noch auf eine intrinsische, also eine den Beschäftigten innewohnende, Motivation zurückzuführen sei. Stattdessen basiere der Umstand eher auf rein praktischen Gründen, etwa drohenden Abgabefristen oder es sind große Arbeitsmengen zu bewältigen.
Daneben dürften auch familiäre Not bzw. Notwendigkeiten, im Speziellen beispielsweise Betreuungsprobleme mit Blick auf kleinere Kinder, Faktoren sein, die die Beschäftigten in vielen Fällen an die späten Randzeiten der Arbeit drängen.
Vier-Tage-Woche als Lösung?
Es stellt sich die Frage, ob und wie der Konflikt zwischen einem großen Workload und familiären sowie sozialen Bedürfnissen gelöst werden kann. Ist eine ausgewogene Work-Life-Balance überhaupt möglich? Auch auf diese Frage versucht die Studie eine Antwort zu geben und präsentiert als mögliche Maßnahme die Einführung einer Vier-Tage-Woche.
Anders als in einigen Pilotprojekten verschiedener Unternehmen, bei denen die gewohnten 40 Arbeitsstunden eben nicht reduziert, sondern die gleiche Arbeitslast auf nur noch vier Tage verteilt wird, setzt die neue Analyse hingegen tatsächlich auf eine verminderte Arbeitszeit. Eine Vier-Tage-Woche mit jeweils 32 Stunden würde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern „ausreichend zeitliche Spielräume für familiäre und private Verpflichtung“ ermöglichen. Dies würde offenbar auch dem stetig wachsenden Wunsch von Beschäftigten entgegenkommen, die sich nach einer verkürzten Arbeitszeit sehnen.
„Dabei ist die Anpassung der Arbeitsmenge und die Arbeitsorganisation entscheidend dafür, dass Beschäftigte von einer kürzeren Arbeitszeit profitieren. Denn lässt sich die Arbeitsbelastung nicht reduzieren, ist die Verkürzung der Arbeitszeit unrealistisch“, heißt es dazu abschließend.
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