Die Coaching-Szene blüht und fast jeder ist bestimmt schon einmal mit der Werbung sogenannter Coaches konfrontiert worden. Während sogenannte Life-Coaches auch mal gern Arenen füllen, erzielen andere via Social Media hohe Reichweiten und verkaufen ihre Online-Programme.
Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren immer wieder sehr kritisch über die Szene berichtet (beispielsweise hier das ZDF). So wurden in der Vita von Suzanne Grieger-Langers, die als „Profilerin Suzanne“ unter anderem Coachings für Unternehmen anbietet, einige Lügen gefunden (es berichtete beispielsweise Haufe). Über den deutschen Star der Coaching-Szene Tobias Beck witzelte vor einiger Zeit Reschke auf Instagram. Auch Beck war – zumindest was seine Schulkarriere anging – nicht ganz ehrlich. Kritik gibt es auch zwecks seiner Seminare. Jedenfalls berichtete eine Teilnehmerin in „Die Spur“ von hochproblematischen Praktiken.
Es finden sich mittlerweile eine Vielzahl an Dokumentationen zu dem Thema. Sie berichten von Menschen, die durch Coaches Hilfe erlangten; aber eben auch von Personen, die geschädigt wurden. Sei es finanziell, physisch – oder körperlich. Auch an uns wandte sich ein Betroffener und berichtete von den zweifelhaften Verkaufspraktiken eines Coaches. Zeit, sich zu fragen: Sollten Coaches stärker reglementiert werden?
Jeder darf sich Coach nennen
Beginnen wir bei dem Startproblem: Der Begriff Coach ist nicht geschützt. Damit darf sich faktisch jeder als Coach bezeichnen und entsprechende Leistungen anbieten. Dazu kommt noch, dass auch Begriffe wie Ernährungsberatung und Sportcoach keine geschützten Bezeichnungen sind. Es stehen Coaches also eine Vielzahl von Bereichen offen. Eine Ausbildung ist dafür nicht notwendig. Aber: Woher wissen Coaches dann, wie sie Menschen oder Unternehmen weiterbringen können? Zum einen werden teilweise von der IHK und SGD Kurse vermittelt; zum anderen gehört es beispielsweise in der Life-Coaching-Szene zum Geschäftsmodell, neue Coaches auszubilden, damit diese auch die oft angepriesene, wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen.
Das spricht für eine Regulierung
Coaches dürfen Menschen und Unternehmen also ohne Ausbildung beraten. Das allein könnte doch schon als Argument für eine Regulierung reichen, oder? Doch schauen wir uns einmal vier Argumente, die für eine Regulierung sprechen, etwas genauer an.
Pro-Argument 1: Qualitätssicherung
Stellen wir uns vor, die Bezeichnung Coach sei geschützt: Das würde dazu führen, dass Personen, die von den Angeboten Gebrauch machen, sicher sein können, dass es sich bei dem Coach um jemanden mit Ausbildung handelt. Es gäbe einfach ein gewisses Mindestmaß an Qualität, das man erwarten kann. Auch für Coaches wäre das ein Vorteil. Sie müssten nicht mehr mit jedem selbsternannten Coach konkurrieren, sondern würden stattdessen in den Wettbewerb mit anderen zugelassenen Coaches gehen.
Aber: Wie weit sollte eine Zulassung zur Sicherung der Qualität gehen? Sollten Coaches analog wie in der Heilpraktiker-„Ausbildung“ einfach nur mittels Multiple-Choice-Test und mündlicher Prüfung belegen, dass sie niemandem ernsthaft schaden? Sollte ein Jürgen Höller, der wegen falscher eidesstattlicher Versicherung, Untreue, vorsätzlichen Bankrotts und versuchter Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, als Coach Finanztipps geben dürfen? Wie sieht es mit Lebensläufen aus? Soll hier im Rahmen der Zulassung geprüft werden, wie oft ein Herr Beck wirklich die Schule gewechselt hat? Oder sollen vor allem relevante Informationen überprüft werden? So behauptete „Profilerin Suzanne“, sie habe den Studiengang „Certified Profiler“ für die Frankfurt School of Finance and Management entwickelt. Hat sie aber nicht. Sie hat lediglich ein Teilmodul entwickelt und wurde für diese Behauptung auch erfolgreich abgemahnt. Danach änderte sie ihre Vita und will den Studiengang stattdessen für die Steinbeis University Berlin entwickelt haben. Auch das ist eine Lüge (Quelle: PersoBlogger). Und auch hier stellt sich die Frage: Sollte so jemand sich überhaupt bei einer Regulierung Coach nennen dürfen?
Pro-Argument 2: Verbraucherschutz
Eine Regulation könnte auch zum Verbraucherschutz beitragen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es schon jetzt viele verbraucherschützende Normen gibt, die natürlich auch auf Coaches anwendbar sind. Diese Normen kennt aber vielleicht nicht jeder Coach. Hier könnte ein verpflichtender Kurs helfen. Will ich mein Angebot an Verbraucher:innen richten, muss ich mich halt in Sachen Widerrufsrecht, Informationspflichten und Co. auskennen.
Pro-Argument 3: Professionalisierung der Branche
Wer als Coach zugelassen ist, würde sich von anderen Beratungsformen abgrenzen. Das wiederum würde die ganze Branche professionalisieren. Statt mit schwarzen Schafen unter einen Hut gesteckt zu werden, könnte ein wohldurchdachtes Zulassungssystem, was eben mehr als ein Test zum Ankreuzen ist, die Anerkennung und Wertschätzung für das Berufsfeld massiv steigern. Statt „Ach, noch so einer von denen?“ könnte es heißen: „Du bist Coach? Ja, krass, das Zertifikat hat nicht jeder.“
Pro-Argument 4: Ethik und Verantwortung
Wer Menschen in schwierigen Lebenssituationen berät, sei es, weil diese plötzlich ihren Job verloren haben oder den Verlust einer nahestehenden Person betrauern, muss verantwortungsvoll sein – und zwar so, dass auch mal gesagt wird: „Entschuldigen Sie, aber das übersteigt meine Kompetenzen. Ich kann Ihnen aber gern bei der Suche nach einem Psychotherapeuten oder einer -therapeutin helfen.“ Sicher: Einen gewissen Kompass für Ethik und Verantwortung haben die meisten Menschen. Aber ob der auch immer richtig geeicht ist? Eine Ausbildung kann auch hier helfen.
Ein Fallbeispiel für unseriöse Coaches
An dieser Stelle soll kurz über einen Fall berichtet werden, den uns ein Leser anonym schilderte: Ein Consultant verkaufte ihm ein sogenanntes Coaching-Programm im B2C-Bereich für 3.600 Euro am Telefon. Dem Leser war das zu teuer. Er stand aufgrund eines auslaufenden Arbeitsvertrages kurz vor der Arbeitslosigkeit. Man versicherte ihm am Telefon, dass eine flexible Ratenzahlung möglich sei. Durch geschickte Gesprächsführung schloss der Leser am Ende einen Vertrag ab – und war sich zum einen nicht sicher, wie es so weit gekommen ist. Erst hinterher erfuhr er, was eigentlich dahintersteckte.
Hinter dem „Coaching“-Programm verbargen sich lediglich Videoaufzeichnungen. Die flexible Ratenzahlung bestand zwar tatsächlich aus drei Raten; flexibel daran war nichts. Als der Leser tatsächlich seinen Job verlor, wollte das „Coaching“-Unternehmen nichts mehr davon wissen, dass das Finanzielle kein Problem sein sollte. Ein Entgegenkommen gab es nicht.
Zum Glück konnte sich der Leser vom Vertrag lösen: Der Verkäufer klickte nämlich am Telefon die Bestellung im Online-Shop durch und gab die Daten des Lesers ein. Das betraf auch die Zahldaten. Diese hatte der Leser in dem Glauben, der Anbieter bräuchte diese, um die Dokumente für die Ratenzahlung aufzusetzen, über das Telefon ein. Dass der Verkäufer die Bestellung abschloss, darüber klärte er nicht auf und verletzte damit essenzielle Informationspflichten.
Klar, diese Masche scheint hier bei dem Unternehmen zur Verkaufstaktik zu gehören. Und ja: Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Man darf aber nicht vergessen, dass seriöse Coaches mit solchen Unternehmen in direkter Konkurrenz stehen. Unternehmen, die den Ruf der ganzen Szene gefährden.
Argumente gegen eine Regulierung
Es gab tatsächlich schon häufiger die Idee, Coaching via Gesetz zu regulieren. Die Szene selbst setzt dabei eher auf eine Selbstregulation.
Contra-Argument 1: Vielfalt und Flexibilität
Wenn sich jeder Coach nennen darf, ist die Vielfalt an angebotenen Methoden, Herangehensweisen und Spezialisierungen natürlich groß. Eine gesetzliche Regulierung könnte diese Vielfalt einschränken.
Allerdings kann dieses Argument leicht entkräftet werden: Beispielsweise wäre es doch ein guter Gedanke, wenn ein Ernährungscoach seine Leistungen nach aktuellen Erkenntnissen ausrichten müsste und so der Kundschaft keine Diäten verkauft, die auf kruden, widerlegbaren Theorien beruhen.
Also ja: Es gibt zweifelsohne eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze; werden durch eine Regulierung manche nicht mehr von offiziellen Coaches angeboten werden dürfen, wird dies aber sehr wahrscheinlich daran liegen, dass die Methoden keinen nachgewiesenen Nutzen haben. Das dient wiederum dem Schutz der Kundschaft vor falschen Versprechungen.
Contra-Argument 2: Bürokratie und Kosten
Mit einer Regulierung wird es zwangsläufig zu mehr Bürokratie und Kosten kommen – und zwar auf staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite. Für Coaches könnte dies bedeuten, dass sie Zeit und Ressourcen aufwenden müssen, um Lizenzanforderungen zu erfüllen, sich regelmäßig weiterzubilden und ihre Zertifizierungen aufrechtzuerhalten. Der Staat wiederum muss Verzeichnisse anlegen und pflegen, die Einhaltung der Regulierung kontrollieren und Stellen schaffen beziehungsweise beauftragen, die die Lizenzierung von Coaches durchführen. Hinzu kommt natürlich die Vorarbeit, also das gesetzgebende Verfahren.
Contra-Argument 3: Markteintrittsbarrieren
Höherer Aufwand und Kosten sind zwangsläufig Barrieren. Wer gerade erst anfangen möchte, muss also erst mal investieren. Die notwendigen Mittel hat aber nun mal nicht jeder. Andererseits: Wer jetzt beispielsweise Menschen im Bereich Selbstverwirklichung coachen will, sollte sich vorher auch Wissen aneignen. Unqualifiziertes Drauf-Los-Coachen ist schon jetzt nicht unbedingt der große Garant für Erfolg.
Contra-Argument 4: Selbstregulierung der Branche
Die Branche selbst spricht sich gegen eine staatliche Form der Regulierung aus. Stattdessen will sie auf Selbstregulierung setzen. Schon jetzt bieten viele Coaching-Verbände Zertifizierungsprogramme und Richtlinien an. Diese sollen ein hohes Maß an Professionalisierung und Qualität sicherstellen. Diese Systeme gelten als flexibel und passen sich den Entwicklungen an.
Das Problem an diesem Gedanken: Da die Bezeichnung Coach nicht geschützt ist, kann im Endeffekt auch jeder einen Verband aufmachen, ein Qualitätssiegel designen und sagen: „So, das ist es jetzt. Wer dieses Zertifikat hat, ist ein super toller Coach.“
Immerhin setzen manche Zertifizierungsstellen einen Berufs- oder Hochschulabschluss in dem Zweig voraus, in dem man Coachen möchte. Wer aber beispielsweise den Coaching-Abschluss „Psychologische/r Berater/in“ bei der Euro FH erlangen will, braucht lediglich „möglichst psychologische Grundkenntnisse“. Ansonsten reichen „Lebenserfahrung, Offenheit [und] Freude am Umgang mit Menschen“. Nach zehn Monaten darf man den Titel „Geprüfte/r Psychologische/r Berater/in (Euro-FH)“ führen und damit werben, ein Hochschulzertifikat (Euro-FH) zu haben. Die Euro FH ist übrigens eine staatliche anerkannte private Fernhochschule. Dass die Verbraucher:innen am anderen Ende der Marketingschnur möglicherweise eine etwas andere Vorstellung davon haben, was eine Person, die Beratung auf diesem Gebiet anbietet, mitbringt – liegt ehrlicherweise auf der Hand.
Fazit: Es spricht doch mehr für eine Regulation
Klar: Uns allen geht Bürokratie mächtig auf den Senkel. Das liegt aber auch daran, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung immer noch nicht den Knopf für die Nitro-Einspritzung gefunden hat. Die Sorge vor Bürokratie darf am Ende kein Hemmnis dafür sein, Branchen zu regulieren, die sinnvollerweise reguliert werden sollten. Die Argumente, die gegen eine Regulierung sprechen, wirken zwar erst mal plausibel, sind aber auch leicht zu entkräften. Am Ende muss man sich immer die Frage stellen: Wiegen die Nachteile einer Regulierung schwerer als die Vorteile? Der Verbraucherschutz, der durch eine Regulation entsteht, ist enorm und kann durch eine Selbstregulierung gar nicht bewerkstelligt werden. Auch im B2B-Bereich würde man profitieren: Wer möchte schon „Coaches“ mit zweifelhafter Vita auf seine Mitarbeitenden loslassen? Coachings kosten richtig Geld und es wäre doch super, wenn dieses Geld in Programme gesteckt wird, die einen nachhaltigen Nutzen haben.
Vielleicht aber liegt die Lösung auch irgendwo dazwischen: Für den Staat würde eine Regulierung mit Aufwand einhergehen. Die privaten Verbände wollen selbst regulieren. Eine Auflösung des Konfliktes könnte darin bestehen, dass der Staat nicht alle Coaches, sondern stattdessen wenige Verbände reguliert, die wiederum eigenverantwortlich Coaches zertifizieren und überwachen.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
Kommentar schreiben
Antworten
Und wie man am Beispiel Euro FH sehen kann, schützt nicht einmal die Zulassung als Hochschule.
Und was ist mit den ganzen Esoterik-Angebo ten? Werden die alle verboten, weil nichts davon wissenschaftlic h nachweisbar ist?
Und was für eine Behörde muss das sein, die alle Coaches lizenzieren soll? Wie viele Tausend Mitarbeiter braucht es? Und wie viele Zertifizierungsgänge?
Am Ende nennen sich die Coaches dann Mentor, oder Berater oder sonst was und wir fangen wieder von vorn an.
Man muss nicht alles regulieren, auch wenn es andernfalls Betrüger und Scharlatane gibt. Man kann die Menschen nicht vor der eigenen Dummheit schützen.
Ihre Antwort schreiben