Der Handel auf Amazon ist nicht einfach. Die unterschiedlichen Vorgaben und Bestimmungen lassen vielen Händlern graue Haare wachsen. Doch ist dies nicht das einzige Problem. Die Gerüchte, dass Amazon immer wieder Artikeldaten seiner Marketplace-Händler zum eigenen Vorteil nutzt, scheinen sich zu bewahrheiten.

Amazon logo: Weiß auf Schwarz

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Analysen erhärten die Vorwürfe

Was bisher nur Gerüchte waren, scheint sich zu bewahrheiten. Immer wieder wurden Vermutungen laut, dass Amazon gut laufende Produkte von seinen Händlern in das eigene Sortiment integriert und so sich einen Teil vom Kuchen sichern will. Die Vorwürfe wiegen schwer, sollen nun aber angeblich bewiesen sein.

Die Repricing-Spezialisten von UpstreamCommerce aus den USA haben in einer Analyse rund 900 Produkte von Amazon-Marketplace-Händlern beobachtet. Dabei haben sie versucht festzustellen, ob der Online-Riese diese in das eigene Sortiment übernimmt. Das Ergebnis: Der UpstreamCommerce will festgestellt haben, dass 25 Prozent der anfangs durch Dritthändler gelisteten Top-Seller-Produkte innerhalb von nur drei Monaten bei Amazon im Sortiment auftauchten. Zufälle? Wohl kaum. Gegenüber Forbes.com erklärt Amos Peleg, CEO und Mitgründer von UpstreamCommerce, dass es sich ihrer Meinung nach, um mehr als einen Zufall handelt. „Die Zahlen sind extrem signifikant – und gewöhnliche Geschäftspraktiken reichen für eine Erklärung nicht aus.“

Und dass Amazon die Ressourcen dafür hat, kann niemand in Frage stellen. Wer, wenn nicht Amazon, kann so einfach Benchmarks für einzelne Sortimente erheben und herausfinden, welche Produkte sich am besten verkaufen? Und auch im Bereich Nachfrage kann Amazon durch die vorhandenen Daten bei weitem bessere Vorhersagen treffen als ein einfacher Händler, schätzt iBusiness.de.

Stellt sich die Frage, ob Amazons Verhalten rechtlich zu beanstanden ist. Rechtsexpertin Yvonne Gasch schätzt das Verhalten wie folgt ein:

Das Besondere an dieser Konstellation ist, dass Amazon – anders als andere Plattformen wie Ebay, die nicht selbst als Verkäufer tätig sind - mit seinen Marktplatz-Händlern in direktem Wettbewerb steht. Indem Amazon die gut laufenden Produkte seiner Händler selbst (zu günstigerenKonditionen) übernimmt, findet zwar eine Art Verdrängung statt. Ein Recht auf den alleinigen Vertreib haben aber die wenigsten Händler.

Amazon sammelt Daten von Marktplatz-Händlern

Nicht nur den Amerikanern ist dieses Verhalten bereits aufgefallen. Als der ZDF am 16. Juni 2015 die ZDFzoom-Folge „Die Macht von Amazon“ ausstrahlte, äußerte sich auch Konsumforscher und Leiter des eWeb Research Center Prof. Dr. Gerrit Heinemann sehr eindeutig zu den Gerüchten: „Amazon lernt sicherlich auf dem Marktplatz und füttert den Algorithmus. Er lernt fremde Sortimente und dann sieht Amazon ja relativ schnell, was sind die gut gehenden Artikel, was sind die schlecht gehenden Artikel – und schwuppdiewupp – die gut gehenden Artikel sind dann plötzlich auch Artikel, die Amazon dann plötzlich auch im eigenen Sortiment anbietet. Also da besteht schon die Gefahr, dass ein Händler auch Amazon anlernt und den Algorithmus füttert.“

Die Aussage von Heinemann zeigt deutlich, dass Händler eigentlich kaum etwas gegen Amazons Verhalten machen können. Denn die einzige Möglichkeit, Amazon keine Daten zu liefern, besteht nur darin, nicht über Amazon zu verkaufen. Da sich das viele Händler aber nicht leisten können,weil sonst die Umsätze einbrechen würden, ist ein erhebliches Problem.

Zur Not sind alle Mittel recht

Und wenn Amazon sich einmal dazu entschlossen hat, die Produkte in das eigene Sortiment zu übernehmen, haben Händler nicht viele Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Denn das Problem: Wer keine exklusiven Verträge mit dem Hersteller oder Importeur hat, kann sich nicht darauf verlassen, dass nur er die Ware vertreiben darf. Schließlich kann sich jeder Hersteller seine Vertriebspartner selbst auswählen.

Was passiert, wenn man sich Amazon nicht beugen möchte, zeigt die Story rund um „Jeff das Messer“. Bei diesem Fall wollte Amazon unbedingt die gut laufenden Messer in das eigene Programm aufnehmen, doch der Importeur Christian Romanowski weigerte sich, direkt an Amazon zu verkaufen und belieferte weiterhin nur seine ausgewählten Fachhändler. Das ließ sich Amazon jedoch nicht gefallen und begann damit, die Marktplatzverkäufer unter Druck zu setzen. Dies wurde nach Angaben von iBusiness.de durch fehlerhafte Darstellungen versucht. Auf Hinweise zu den Fehlern soll Amazon sinngemäß mit der Aussage „Beliefern Sie uns, dann dürfen Sie die Fehler auch beheben.“ reagiert haben. Da Amazon mit seinem Verhalten jedoch keinen Erfolg erzielte, griff das Unternehmen zu anderen Methoden.

In der ZDFzoom Folge wird deutlich ausgesprochen, dass Amazon sich an den Lagerbeständen seiner Marktplätz-Händler „bedient“. Aus den Unterlagen eines Fachhändlers, der Messer von Christian Romanowski über Amazon vertreibt und Fullfilment by Amazon nutzt, geht hervor, dass Waren als „Verloren bei Anlieferung“ oder als beschädigt deklariert wurden. Wie der Zufall es so wollte, wurden die Waren – in diesem Fall die Messer – später selbst von Amazon verkauft.

Was danach geschah? Christian Romanowski zog vor Gericht. Am Ende kam es zu einem Vergleich und Amazon überließ ihm wieder den exklusiven Verkauf.

Und die Moral von der Geschichte:

Die Gerüchte, dass Amazon gut laufende Artikel von seinen Marktplatz-Händlern übernimmt, scheint sowohl durch die UpstreamCommerce-Analyse als auch durch den Fall von „Jeff das Messer“ bewiesen zu sein. Und so frustrierend wie das auch für Online-Händler sein mag - es gibt kaum die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Im Einzelfall kann die Taktik von Amazon sogar ruinös sein. Dennoch muss man zusammenfassend sagen, dass Amazon mit der Übernahme gut laufender Produkte ganz normalen Wettbewerb betreibt.

 

Bisher sind in der Themenreihe „Probleme bei Amazon“ erschienen:

Kontensperrung durch Verifikationsprozess

Das Anhängen an bestehende Artikel

Asics beschränkt offenbar Handel auf dem Marketplace

Der "Versand durch Amazon" und seine rechtlichen Folgen

Wenn die Produktfotos zur Qual werden