Die Zahlen, die der E-Commerce-Markt in Europa produziert, sind beeindruckend, doch lange noch nicht da, wo sie sein sollten und können. Der Umsatz steigt genau wie die Nutzerzahlen, doch vor allem der Cross-Border-Handel hat noch viel mehr Potenzial.
(Bildquelle Europakarte: koya979 via Shutterstock)
Im Internet einzukaufen, ist für viele Menschen mittlerweile so normal wie Morgenkaffee und Marmeladenbrötchen. Dass E-Commerce ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor ist, lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass Amazon als Online-Händler Nummer 1 allein im Jahr 2014 für 24,23 Milliarden Umsatz sorgte. Dahinter folgen zwar abgeschlagen, aber dennoch mit beeindruckenden Zahlen, Otto (6,5 Mrd.) und Apple (3,8 Mrd.).
Weitere Zahlen gefällig? Der B2C-E-Commerce-Sektor (Business-to-Consumer, also Unternehmen zu Privatperson) hat bereits über 2,5 Millionen Jobs generiert, sorgte 2015 für 4,2 Milliarden verschickte Pakete und produzierte bislang etwa 750.000 B2C-Webseiten – Tendenz weiter steigend. Wohlgemerkt sprechen wir hier „nur“ von Europa. Der E-Commerce-Anteil am gesamteuropäischen Bruttosozialprodukt liegt mittlerweile bei 2,59 Prozent. Bis 2020 soll es laut Ecommerce Europe und der Ecommerce Foundation, die den aktuellen Stand der Branche beleuchtet haben, doppelt so viel sein. Insgesamt beläuft sich der E-Commerce-Umsatz in Europa auf 455 Milliarden Euro, was einer Steigerung zum Vorjahr von 13,3 Prozent entspricht. Für das laufende Jahr prognostiziert der E-Commerce Report 510 Milliarden Euro.
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Großbritannien vorn, die Kleinen wachsen
Das größte Stück vom europäischen E-Commerce-Kuchen entfällt auf Großbritannien. Die Briten gaben 2015 175,1 Milliarden Euro im Online-Handel aus, mehr als Frankreich (64,9 Mrd.), Deutschland (59,7 Mrd.) und Russland (20,5 Mrd.), die auf Platz 2 bis 4 folgen, zusammen. Geht es darum, welche Märkte gerade am stärksten wachsen, findet man aber nicht die großen Volkswirtschaften vorn, sondern die Ukraine mit einer Wachstumsrate von 35 Prozent, die Türkei (34,9 Prozent) und Belgien (34,2 Prozent). Verwunderlich ist das allerdings kaum, schließlich sind die Wachstumspotenziale in diesen Ländern ungleich größer als in Regionen, in denen der Online-Handel bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
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Der Anteil der E-Commerce-Umsätze am Bruttosozialprodukt ist in Nord- und Westeuropa am größten. Spitzenreiter ist hier wiederum Großbritannien mit 6,1 Prozent, gefolgt von den skandinavischen Staaten Dänemark (4,4 Prozent) und Finnland (3,5 Prozent). Dies lässt sich wiederum durch die hohe Internetdurchdringung der Gesellschaften erklären. In Nordeuropa liegt diese durchweg bei teilweise weit über 90 Prozent. In Deutschland sind es zum Vergleich 89 Prozent, im wirtschaftlich angeschlagenen Italien sind nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung mit dem Internet verbunden.
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Nachholbedarf im Cross-Border-E-Commerce
Auch wenn die Branche insgesamt boomt, das Potenzial dessen, was möglich ist, ist noch lange nicht ausgeschöpft. 65 Prozent der Online-Nutzer shoppen zwar bereits online, doch nur 16 Prozent in den EU28-Staaten tun dies auch im Ausland. Nur etwa jeder achte deutsche Online-Shopper schaut über den Tellerrand, damit liegt Deutschland noch unter dem Durchschnitt.
Hier zeigt sich ein großes Gefälle in den verschiedenen Ländern. In Luxemburg nutzen 68 Prozent der Nutzer Online-Shops im Ausland, in Österreich immer noch 44 Prozent. Zu erklären ist das schlicht und einfach mit der Tatsache, dass große Händler wie etwa Amazon die deutschlandnahen und größtenteils deutschsprachigen Nachbarländer selten mit eigenen Webauftritten versorgen. Diese nutzen einfach Amazon Deutschland mit, das auch in die Nachbarländer versendet. Umgekehrt kommt der deutsche Nutzer selten in die Verlegenheit, auf das Ausland ausweichen zu müssen, da das Online-Angebot bei uns ohnehin sehr breit ist.
In Ländern wie Rumänien, Polen oder Bulgarien, in denen der Anteil der Cross-Border-Nutzer im niedrigen einstelligen Bereich liegt, ist der Online-Handel insgesamt noch im Wachstum begriffen. Zudem sind die Märkte für die internationalen Big Player entweder kaum interessant oder schwierig zu erobern wie das Beispiel Polen zeigt. Dort war der Marktführer Allegro – der nun nach Deutschland expandiert – so mächtig, dass Amazon gar nicht erst einstieg und eBay bis heute hart kämpft. Außerdem nicht zu unterschätzen: Die Preise, die westeuropäische Online-Händler aufrufen, sind für das durchschnittliche Portemonnaie in vielen osteuropäischen Staaten kaum zu stemmen.
EU-Kommission soll helfen
Um den grenzüberschreitenden Handel nachhaltig einfacher und für den Kunden attraktiver zu machen, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Unterschiedliche Rechtssysteme und Steuerregelungen schrecken einerseits viele vor allem kleine und mittlere Händler ab, sich für den internationalen Markt zu öffnen, Geoblocking macht es auf der anderen Seite vielen Nutzern unmöglich, überhaupt auf ausländische Portfolios zuzugreifen.
Im Mai hat sich die EU-Kommission dem Problem endlich angenommen und in seinem E-Commerce Paket vor allem das Thema Geoblocking ganz oben auf der Agenda platziert. Bis an dieser Stelle aber tatsächlich Besserung eintritt, wird wohl noch einige Zeit vergehen.
Kleidung und Flüge am beliebtesten
Grundsätzlich wird mittlerweile fast alles im Internet ver- und gekauft. Die beliebteste Produktkategorie ist dabei Kleidung (52,2 Milliarden Euro), der beliebteste Service Flugbuchungen (113,9 Milliarden Euro). Auch hier liegen die Wachstumsraten zwischen 10 und 15 Prozent pro Jahr. Bei Flugreisen ist der Online-Kauf mittlerweile sogar weit wichtiger als das klassische Reisebüro. 2015 wurden 77 Prozent aller Flugtickets online gekauft. Auf Platz 2 folgt dank Spotify, iTunes und Co. die Musik (65 Prozent). Mit gerade einmal drei Prozentpünktchen Online-Umsatz liegen die Lebensmittel ganz hinten, überraschen dürfte dies allerdings kaum.
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