Der Online-Handel in der Schweiz nimmt einen immer größeren Anteil am Gesamtvolumen ein, vor allem der Auslandshandel wächst stark. Der „Dammbruch“ im E-Commerce ist nur noch eine Frage der Zeit, glauben Experten. Internationale Big Player könnten für Schweizer Anbieter zum Problem werden – wenn sie denn wollen.
(Bildquelle Schweiz: Fedor Selivanov via Shutterstock)
Der E-Commerce-Umsatz der Schweiz im Jahr 2015 lag, laut ECommerce Europe, bei umgerechnet etwa 8,5 Milliarden Euro. Damit liegt das Land im europäischen Vergleich auf dem zehnten Platz. Der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr wuchs um 12,3 Prozent, für das laufende Jahr wird eine Steigerung von 15,4 Prozent auf 9,8 Milliarden Euro erwartet. Die Zahlen sind für die vergleichsweise kleine Alpenrepublik durchaus beeindruckend, doch sie bergen, vor allem für heimische Anbieter, auch Gefahren.
Online einkaufen: Lieber im Ausland?
Die Preisstruktur ist in der Schweiz traditionell etwas höher angesiedelt als in Deutschland oder Österreich. Das sorgt dafür, dass Schweizer Online-Shopper vermehrt im Ausland einkaufen. Auslandseinkäufe im Internet haben von 2014 auf 2015 um 22 Prozent zugelegt. Circa ein Sechstel des E-Commerce-Umsatzes wurde durch Cross-Border-Käufe generiert.
Es ist für Schweizer Kunden nicht immer ganz einfach, etwa bei Amazon einzukaufen, da die Schweiz über Amazon Deutschland bedient wird und daher Versandkosten oft hoch sind und Produkte teilweise gar nicht in die Schweiz geliefert werden. Doch das lässt sich etwa über Packstationen in grenznahen Gebieten oder Portale wie MeinEinkauf.ch lösen, die die Transaktionen aus dem Ausland übernehmen. Selbst mit den entsprechenden Gebühren ist der Einkauf im Ausland oft günstiger.
Der E-Commerce-Report Schweiz 2016 sieht heimische Anbieter wie Ricardo oder Siroop zwar in einer komfortableren Situation: „Solange Amazon aus Deutschland versendet, bleiben Schweizer Anbieter in der Leadposition. (Bettina Urwyler, Betty Bossi).“ Noch hat Amazon außerdem einen vergleichsweise überschaubaren Marktanteil von 8 Prozent. Wachsen Auslandseinkäufe aber weiter so rasant, dann ist diese Leadposition bald gefährdet. Eine eigene Amazon-Präsenz für die Schweiz ist zumindest kurzfristig allerdings eher unwahrscheinlich. Der Markt ist (noch) zu klein und, wie Carpathia analysiert, zudem bezüglich Sprachen und Kulturen zu inhomogen. Aber: Der kleine Markt wächst: Während der stationäre Handel in den vergangenen Jahren rückläufig ist, ging der Umsatz online seit 2010 kontinuierlich nach oben.
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Kommt der „Dammbruch“?
Wie bereits die von Ecommerce Europe erwartete Steigerungsrate von 15,4 Prozent im Jahr 2016 nahelegt, könnte sich das E-Commerce-Wachstum in den kommenden Jahren noch verstärken. Carpathia spricht hierbei von einem Dammbruch. Der Tipping Point, an dem sich das Wachstum stärker beschleunigt, liegt in der Regel bei 10 bis 12 Prozent, diese sind überschritten. Der Online-Anteil am Gesamtumsatz liegt in der Schweiz mittlerweile bei 14 Prozent. Bis 2020 rechnet man mit 20 Prozent.
Dies gilt allerdings nur für den Non-Food-Bereich. Denn bei Nahrungsmitteln liegt der Anteil bei nur 1,8 Prozent und ist in den vergangenen Jahren quasi stagniert. Zwar kaufen auch die Schweizer Nahrungsmittel vermehrt online, doch bis der Anteil an dieser Stelle signifikant steigt, dürften noch einige Jahre ins Land gehen. Kaum überraschend übrigens: Wie auch in Deutschland, wächst in der Schweiz der Mobile-Shopping-Anteil rasant. Eine Umfrage unter Schweizer E-Commerce-Händlern ergab, dass bei über der Hälfte der Befragten schon 30 Prozent und mehr der Transaktionen über das Smartphone laufen.
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Die Post liefert
Logistikdienstleister Nummer 1 in der Schweiz ist die Post. Die meisten Anbieter setzen ihr Vertrauen in den Marktführer. Doch interessant ist, dass neben vielen Kleinlogistikern vor allem eigene Versandangebote der Online-Händler zunehmen (siehe Grafik). Die Neue Zürcher Zeitung sieht das in erster Linie als Kampfansage gegen große ausländische Anbieter und auch Marken-Hersteller, die eigene Shops in Position bringen und den einheimischen Händlern das Leben schwer machen. Mit eigenen Packstationen und Logistiklösungen erhalten Online-Händler die Nähe zum Kunden und machen sich unabhängig von der Konkurrenz – jedenfalls solange sie ähnlich schnelle und komfortable Lieferungen garantieren können.
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Auswirkungen des Brexit?
Auch in der Schweiz war der Brexit in den vergangenen Wochen das beherrschende Thema. Und auch in der Schweiz gehen die Meinungen darüber, wie dessen Auswirkungen nun aussehen werden, weit auseinander. Klar scheint nur: Spürbar werden sie so oder so sein. Die Handelszeitung geht etwa davon aus, dass der Schweizer Franke unter Druck bleiben wird. Zudem würden sinkende Konsumausgaben in Europa auch die Schweiz treffen. 40 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die Eurozone, 6 Prozent nach Großbritannien. Export, Tourismus und der Finanzsektor könnten unter dem Brexit am meisten leiden. Aber auch in der Alpenrepublik gilt vorerst: „Nichts Genaues weiß man nicht.“
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