Wer oder was verbirgt sich eigentlich hinter der Otto Group? Die bekanntesten Marken sind ganz klar Otto.de, About You und Hermes. Allerdings ist der Konzern mit 123 wesentlichen Unternehmen in mehr als 30 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas sowie Asiens aktiv. Grund genug, sich den Konzern mal etwas genauer anzusehen.
Otto – das ist ein Name, der aus dem deutschen Versandhandel nicht wegzudenken ist. Vor Jahren oder besser Jahrzehnten brannte sich der Name schon in die Köpfe der Verbraucher. Damals landeten regelmäßig mehrere Hundert Seiten dicke Kataloge in den Briefkästen. Seitdem hat sich einiges bei Otto getan, doch bevor es um den Konzern geht, werfen wir einen Blick auf die Anfänge des Unternehemsn.
Vom Schuhversender zum Milliarden-Konzern
Werner Otto legte 1949 den Grundstein der Erfolgsgeschichte. 1950, also vor fast 70 Jahren, wurden die ersten Kataloge versendet: 300 Exemplare, eingeklebte Fotos auf 14 Seiten. Von Produktvielfalt konnte man damals kaum sprechen – gerade einmal 28 Paar Schuhe konnte man erwerben. Dafür aber immerhin mit Kauf auf Rechnung zahlen, denn unter dem Motto „Vertrauen gegen Vertrauen“ führte Otto als erster Versender diese Bezahl-Variante ein.
Der Erfolg gab Otto Recht. Ein Jahr später wurden bereits eine Million D-Mark umgesetzt. 1953 setzte das Unternehmen bereits fünf Millionen D-Mark um und brachte 37.000 Katalog-Exemplare in den Umlauf. 1956 wurde das Sortiment um Fahrräder, Porzellan und Elektrogeräte erweitert. Zudem strich das Unternehmen den Samstag als Arbeitstag und führte damit die Fünftagewoche ein. In den 60er Jahren baute der Otto Versand seine Stellung als Großunternehmen und Pionier seiner Branche weiter aus. Auch in diesem Jahrzehnt sorgte Otto für Neuerungen: 1963 konnten dank integrierter Datenverarbeitung Bestellungen auch telefonisch aufgegeben werden. Das Wachstum ging entsprechend weiter. Unter der neuen Leitung von Günter Nawrath machte der Konzern 1966 einen Umsatz von 582 Millionen D-Mark, was einem Wachstum von 35 Prozent entspricht. Die Kataloge wurden derweil in einer Auflage von über einer Million gedruckt und umfassten mittlerweile 748 Seiten.
In den Jahren zwischen 1970 und 1979 entwickelte sich Otto zum Handels- und Dienstleistungskonzern. Das ist auch die Zeit, in der der Hermes Versand Service das Licht der Welt erblickte. Bereits zum Jahresende 1972 wurden 50 Prozent der Bestellungen postunabhängig zugestellt. Besonders spannend: 1974 beteiligte sich Otto an „3 Suisses International“ (heute Groupe 3SI) und stieg damit zum internationalen Konzern auf. Der Trend setzte sich in der 80er Jahren fort. Unter der Leitung des neuen Vorstandsvorsitzenden Dr. Michael Otto (1981) wurde die Otto Group zur größten Versandhandelsgruppe der Welt. Übrigens: 1986 führte Otto als erstes deutsches Versandhaus den 48-Stunden-Express-Service ein und etablierte den Slogan „Otto...find’ ich gut“.
Die Wiedervereinigung Deutschlands führte bei Otto in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu einer temporären Sonderkonjunktur und steigerte die Nachfrage erheblich. Zudem wurde 1990 der 24-Stunden-Eilservice eingeführt. Digital ging es bei Otto übrigens auch damals schon zu: Als erster Versender präsentierte Otto sein Sortiment auf einer interaktiven CD-ROM.
Otto.de geht online, die Zukunft wird digital
Nur ein Jahr später (1995) ging der Online-Shop Otto.de online. Viele Kunden konnten damals allerdings nicht auf den Shop zugreifen. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin) gab es im Frühjahr 1995 in Deutschland gerade einmal 250.000 Internetnutzer. 1997 erschien der komplette Otto Katalog online. Die Einzelgesellschaft Otto baute damals bereits ihren Umsatz im Bereich E-Commerce, Internet, CD-ROM und Bildschirmtext auf 450 Millionen D-Mark aus, was gut sieben Prozent des Gesamtumsatzes ausmachte.
Mit der Digitalisierung kam aber auch die Konkurrenz, denn Amazon ist in Deutschland seit 1998 aktiv. Doch Otto.de kann sich gut gegen den US-amerikanischen Konkurrenten behaupten. Der Shop erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2016/17 2,7 Milliarden Euro Umsatz und liegt damit auf Platz zwei im Ranking der Top 100 größten Online-Shops nach Umsatz in Deutschland. Weit davor liegt Amazon (8,1 Milliarden Euro), weit dahinter Zalando (1,1 Milliarden Euro).
Die Otto Group setzte im letzten Geschäftsjahr im E-Commerce global rund 7,76 Milliarden Euro um. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 10,9 Prozent. Im Kernmarkt Deutschland legte der E-Commerce-Umsatz um 10,2 Prozent zu und belief sich auf 5,4 Milliarden Euro (2015/16: 4,92 Milliarden Euro). Der Geschichts-Exkurs am Anfang des Artikels zeigt, wie innovativ und vielschichtig die Otto Group ist. Kaum ein anderes Unternehmen scheint die digitale Transformation so gut gemeistert zu haben, wie die Otto Group. Martin Zander, Head of Corporate Communications E-Commerce, erklärt auf Nachfrage, dass es vor allem der Weitsicht von Dr. Michael Otto zu verdanken ist, dass die Gruppe dort steht, wo sie sich aktuell befindet. Allerdings ist man sich bei der Gruppe auch bewusst, dass „wir nur dann nachhaltig erfolgreich bleiben werden, wenn wir uns den Herausforderungen der Digitalen Transformation immer wieder neu stellen, flexibler, agiler und noch schneller werden, Dinge ausprobieren, um festzustellen, was wirklicher Trend, was nur kurzfristiger Hype ist.“
Digitalisierung wird im Hamburger Konzern großgeschrieben. Eigene Teams, so Zander, treiben „Themen wie Augmented Reality, Conversational Commerce, Business Intelligence oder Mobile Applications konzernübergreifend voran.“ Erst vor Kurzem hat die Gruppe beispielsweise drei neue digitalen Tools vorgestellt. In der Entwicklung (in-house auf Basis von Apples ARKit-Technologie) befindet sich aktuell eine Augmented-Reality-App für Smartphones und Tablets, wodurch Kunden Möbelstücke frei im Raum platzieren können, um herauszufinden, wo sie am besten hinpassen. Aber auch eine 360-Grad-Anwendung mit mehreren Themenzimmern steht im Fokus der Otto Group.
Über 100 Einzelgesellschaften ziehen an einem Strang
Dass der Konzern und die Einzelgesellschaften gern Hand in Hand arbeiten, ist nachvollziehbar. Generell fußen die Geschäftstätigkeiten der Otto Group auf den drei Segmenten Multichannel-Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Service. Darüber hinaus investiert die Otto Group bereits seit 2008 in das Geschäftsfeld Corporate Ventures. Bei Project A und e.Ventures ist sie als Ankerinvestor mit einem deutlich dreistelligen Millionenbetrag engagiert.
Insgesamt vereint die Otto Group unter ihrem Dach 123 Einzelgesellschaften, 100 verschiedene Online-Shops und ist in über 30 Ländern vertreten. Die bekanntesten Namen aus dem Otto Kosmos sind unter anderem der Shopping-Club Limango, der Mode- und Schuhhändler About You, der Multichannelhändler SportScheck, die Baur Gruppe mit dem Kernunternehmen Baur Versand, Hermes, die MyToys Group, Schwab und die Witt-Gruppe. Die Liste ist schier unendlich und kann hier eingesehen werde. Dem Konzern muss man zugutehalten, dass er sehr transparent auftritt und keinen Hehl um die Töchter und weitere Beteiligungen macht. Doch warum so viele Marken und unterschiedliche Shops? Es wäre sicher einfacher, wenn man ähnliche Marken zusammenführen würde. Die Otto Group sieht das anders. „Die Vielfalt unserer Konzernunternehmen und Marken zeichnet uns aus“, erklärt Martin Zander. „Jede unserer erfolgreichen Marken bedient andere Zielgruppen. About You spricht andere Kundinnen und Kunden an als Bonprix, die Witt Gruppe oder Crate&Barrel. Wir sehen in dieser Vielfalt keinen Nachteil, sondern tatsächlich vor allem Vorteile im Wettbewerb.“
Etwas zurückhaltender wird die Otto Group jedoch, wenn es um die wirtschaftliche Vernetzung der Einzelunternehmen untereinander geht. Auf Nachfrage dazu erklärt Martin Zander: „Natürlich nutzen wir die Möglichkeiten sinnvoller Vernetzung und die Größe der Gruppe. Wir teilen unsere Kompetenzen zum Vorteil der gesamten Gruppe. Die operative Verantwortung für die Konzerngesellschaften liegt jedoch bei den jeweiligen Management-Teams.“ Bei der Entwicklung der Einzelunternehmen haben die jeweiligen Management-Teams den Hut auf – bei ihnen liegt die operative Verantwortung. Dennoch steht nach Aussage von Zander der Erfolg der gesamten Otto Group im Vordergrund. Man teilt das Wissen und die Kompetenz und nutzt die Größe der Gruppe, wo immer dies möglich ist und Sinn ergibt. In diesen Kontext passt auch die Meldung, dass die Witt-Gruppe der erste Kunde der About You Cloud ist. Auf die Frage, ob es sich bei der Geschichte um eine Quersubventionierung handelt, kommt von Otto ein klares Nein. Die Entscheidung fiel unabhängig von der Zusammengehörigkeit, die Witt Gruppe hat sich „schlicht für die aus ihrer Sicht beste Lösung entschieden – nach einem sehr umfassenden Pitch diverser relevanter Wettbewerber.“
Und was ist mit Hermes?
Die Otto Gruppe besitzt in diesem Bereich eine tatsächlich unglaubliche Stärke, denn im Gegensatz zu anderen Konkurrenten müssen sie sich nicht von Unternehmen wie SAP, IBM, etc. abhängig machen. Kleinere Marken bzw. Einzelgesellschaften können von größeren profitieren.
Einen etwas besonderen Stellenwert hat hier natürlich Hermes. Die Hermes Europe GmbH wurde als exklusiver Lieferdienst für den OTTO-Versand 1972 noch von Werner Otto gegründet. Auf die zugespitzte Aussage „Hermes und vor allem Hermes Fulfilment existieren nur dank der Otto Group.“ reagierte man beim Logistiker verhalten. Auch auf die anderen Fragen, beispielsweise wie abhängig Hermes von der Otto Group bzw. von den einzelnen Tochtergesellschaften ist, wurde nicht eingegangen. Stattdessen heißt es, dass man die Fragen „aus strategischen/ Wettbewerbsgründen“ nicht kommentieren möchte. Grundsätzlich teilt man allerdings mit, dass Hermes es freut und schätzt, ein Teil der Otto Group zu sein.
Das glaubt man gern. Zumal im April 2017 bekannt wurde, dass sich die Hermes Fulfilment GmbH auf das Geschäft mit Versendern aus der Otto-Gruppe konzentrieren wolle. Dritte könnten dann nicht mehr auf die Dienste von Hermes Fulfilment zurückgreifen – zumindest größtenteils. Sicher war man sich damals noch nicht, ob man das Geschäft mit externen Händlern vollständig oder nur teilweise aufgeben wird. Hermes-Sprecher Martin Frommhold erklärte vor knapp einem Jahr: „Es wird auch geprüft, ob die Bedürfnisse einzelner, ausgewählter Bestandskunden mit den spezifischen Anforderungen unserer Konzern-Auftraggeber kompatibel sind.“
Wer ist eigentlich Otto? – Ein Konzern mit vielen Gesichtern
Die Otto Group ist ein Konzern mit hundert Gesichtern, die die unterschiedlichsten Zielgruppen bedient und kaum ein Segment ignoriert. Vom Spielzeug-Shop über SaaS-Anbieter bis hin zur Open-Commerce-Plattform – das Portfolio deckt die ganze Bandbreite des Einzelhandels ab. Durch den ständigen Innovationswillen, den schon Gründer Werner Otto an den Tag gelegt hat, ist die Gruppe zu einem internationalen Player aufgestiegen, der es mittlerweile geschafft hat, das verstaubte Katalog-Image abzulegen und wieder hip zu werden.
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