Apple präsentiert das iPhone X und die Welt dreht kurz durch. Nicht, weil man irgendetwas revolutioniert, sondern weil Apple drauf steht. Denn Apple ist automatisch gut. Natürlich.
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Alle Jahre wieder launcht Apple ein neues iPhone und alle Jahre wieder drehen Fans vollkommen durch. Seien wir doch ehrlich, der Konzern könnte ein kabelgebundenes Wählscheiben-Telefon mit sechs AA-Batterien veröffentlichen, der Hype wäre trotzdem grenzenlos. Da kann das iPhone X in seiner „günstigen“ Variante lächerliche 1.149 Euro kosten, es wird sich trotzdem verkaufen wie geschnitten Brot, weil Apple längst machen kann, was es will.
Es ist fast perfide, dass das große Diskussionsthema beim neuen iPhone nicht der Monatslohn ist, der für die Anschaffung draufgeht, sondern Face ID. Das iPhone kann nun mit dem Gesicht entsperrt werden und Apple versichert, dass die Technologie so hervorragend ist, dass man sie mit Fotos nicht überlisten kann. Über diese neue Art, den Smartphone-Nutzer noch ein wenig gläserner zu machen, zerreißt sich das Internet zünftig das Maul, wunderbar verdichtet in diesem Tweet:
28 Jahre nach dem Mauerfall: Ein Telefon für alle, es kostet ein Monatseinkommen, man muss ewig drauf warten, und weiss nicht, wer mithört.
— Gernot (@Gernot) 12. September 2017
Da werden nun Vergleiche mit der Stasi gezogen, die natürlich auch nicht mehr neu sind und jeder, der sich einen Rest Privatsphäre im Netz erhalten will, echauffiert sich zwischen süffisant und wild zeternd über Apple. Das ist aber letztlich genauso falsch wie sich umgekehrt über dieses neue tolle Feature zu freuen, als wenn es die Erfindung des Rads revolutioniere.
DUE TO COMPANY PASSWORD POLICY WE WILL BE REQUIRING ALL STAFF WHO GET THE NEW IPHONE TO HAVE THEIR FACE SURGICALLY ALTERED EVERY 90 DAYS
— PHP CEO (@PHP_CEO) 12. September 2017
"Videoüberwachung mit Gesichtserkennung geht gar nicht."
— Redwyne (@Paxter_Redwyne) 12. September 2017
"Das iPhone X hat Face ID."
"Genial."
Alles wie immer.
Online-Shops tracken mich mit (nicht zu Ende gedachtem) Retargeting, Google „optimiert“ mein Internet-Erlebnis aufgrund meines Surfverhaltens, das Smartphone weiß zu jeder Zeit, wo ich bin, dank Mobile Banking sind meine Kontodaten wahrscheinlich keine Exklusiv-Information und Facebook kennt mich sowieso besser als ich selbst. Dass Apple mich nun per Selfie das iPhone entsperren lässt, kann doch niemanden mehr aufschreien lassen, der in den letzten Jahren nicht im Wald ohne Strom gelebt hat. Wer die Gesichtserkennung umgekehrt ganz hervorragend findet, kann aber nicht im nächsten Atemzug den Staat verdammen, wenn der genau das an Bahnhöfen macht.
Das Schlimme ist, dass man mit dem Gezeter (und ich bin mir dessen während des Verfassens vollkommen bewusst!) genau gar nichts erreicht. Denn Apple wird wieder Millionen Telefone verkaufen und Apple wird auch das iPhone Y für 2.199 Euro millionenfach verkaufen, selbst wenn zur Nutzung die Angabe der Sozialversicherungsnummer notwendig ist. Das Unternehmen ist längst über den Punkt hinaus, wo man noch durchdachtes Marketing machen müsste. Es reicht, eine große Show zu veranstalten und zu sagen, dass alle bald ein neues iPhone kaufen können. Apple ist ein alter, fetter König, der sich nicht mehr anstrengen will. Und der sich auch nicht mehr anstrengen muss, weil trotzdem immer mehr Kunden kommen. Selbst, wenn er eigentlich gar nichts mehr zu sagen hat.