Kolumne „Pech gehabt“

First World Problems: Keine Kartenzahlung, kein Problem

Veröffentlicht: 31.08.2020 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 31.08.2020
Hiddensee - Dornbusch-Leuchtturm

„Urlaub“ ist in diesen Zeiten gewiss ein Reizwort. Wer trotz Coronapandemie nach Mallorca fliegt, in Kroatien überfüllte Strände bevölkert oder den Kurztrip nach Berlin für dummquergedachte Demos nutzt, der tut sich und anderen keinen Gefallen, um es wirklich sehr sehr milde auszudrücken. Wenigstens in diesem Jahr ist es ratsamer, einfach mal zu Hause zu bleiben oder zumindest nicht ganz so weit in die Ferne zu blicken. Denn – klar, das steht so in jedem schlechteren Reiseführer – auch in Deutschland gibt es schöne Ecken. Und sogar Ecken, in denen es ein Leichtes ist, Abstandsregeln einzuhalten.

Auch wir hatten uns eigentlich drauf gefreut, mit dem Zwerg endlich mal zu fliegen. Da das nicht drin ist (rudimentärer gesunder Menschenverstand ist vorhanden), wurde es, nun, Mecklenburg-Vorpommern, genauer: Hiddensee. Der Kutscher, der dort geboren und aufgewachsen ist und seit 40 Jahren Touristen über die paar Kilometer Insel fährt, versicherte, dass es noch nie so voll war auf der Insel – weil eben alle (mit gesundem Menschenverstand) in Deutschland bleiben. Lassen Sie sich versichern: „Voll“ ist ganz offensichtlich ein äußerst dehnbarer Begriff. Ich habe in sieben Tagen bestimmt mehr Pferdeäpfel und ganz sicher mehr Mücken gesehen als Menschen.

Totale Entschleunigung gegen die Digitalisierung

Warum erzähl ich Ihnen das? Weil Hiddensee ein Paradies für Digitalisierungsverweigerer und solche ist, die sich digital einfach mal komplett entgiften wollen. Auf Hiddensee kann man nicht viel machen. Man kann sich die drei urigen, aus der Zeit gefallenen (sehr kleinen) Orte anschauen, man kann an den Ostseestrand, man kann ein bisschen wandern und Pferdekutsche fahren. Mit Radtouren wird es schon schwierig, Hiddensee ist wirklich klein. Das Fahrrad benötigt man trotzdem, denn Autos sind auf Hiddensee nicht erlaubt. Außer ein paar Traktoren und ein paar elektrisch betriebenen Fahrzeugen fährt auf den paar Kilometern Insel nichts außer Fahrrädern und Kutschen.

Digitale Zugeständnisse macht die Insel kaum. Irgendwo soll es Wlan geben. Das kann aber genausogut eine Legende sein, die sich die Schüler bei Kerzenlicht zuraunen, denn gefunden habe ich es nicht. LTE auch nicht. Und die eigentlich gute alte Kartenzahlung konnte ich dreimal nutzen, und dann auch nur EC. Meine Kreditkarte war in etwa so nützlich wie das Autan, das bei den unzähligen Mücken auf totale Ignoranz stieß. Auf der ganzen Insel gibt es einen Geldautomaten (den ich gefunden habe) und auch ansonsten herrscht überall Tafel und Kreide anstelle digitaler Anzeigen. Geschmückt wird die digitale Trostlosigkeit von grumpigen Einheimischen, die das „keine Kartenzahlung“ nicht ohne nach oben abdrehende Augen hinbekommen.

Und wissen Sie was? Das gefiel mir ganz hervorragend! Ich bin der erste, der sich über die Digitalsteinzeit in Deutschland aufregt und zwar leidenschaftlich. Aber in einer Zeit, in der Datenvolumen harte Währung ist, in der „Du bist noch stummgeschaltet“ das neue „Guten Morgen“ ist, ist es wohltuend entschleunigend, das Smartphone einfach nur als Fotoapparat und Stranddeckenbeschwerer benutzen zu können. Ich bin in der tiefsten mecklenburgischen Provinz aufgewachsen. Es hat etwas von Nachhausekommen. Der nächste Gastwirt, der mir die Kartenzahlung verweigert, kriegt ein Like.

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