Kolumne „Pech gehabt“

Digitalstandort Europa: Wir sind das Schalke 04 der Technologiemeisterschaft

Veröffentlicht: 03.03.2021 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 03.03.2021
Europäische Union Flagge

Die großen Dystopien in Film und Fernsehen haben oft eines gemeinsam: Megakonzerne haben Staaten und Staatenbünde als federführende Gesellschaftsverwalter abgelöst. Ob nun im legendären „Blade Runner“ oder ganz aktuell im Game-Blockbuster „Cyberpunk 2077“, riesengroße Konzerne leiten die Geschicke der heruntergekommenen futuristischen Welt, in der Regel sind es Giganten aus den USA oder aus Asien. Europa? Nö. Selbst in der aktuellen Netflix-Serie „Tribes of Europa“ – eine der neuen deutschen Produktionen des Streaming-Anbieters – liegt die Hoffnung auf Aufklärung nicht in Europa selbst, sondern im Westen.

Von hier nun auf den digitalen Status Quo überzuleiten, ist zugegebenermaßen eine Herausforderung, aber im Grunde geht es darum: Denken wir an Technologisierung, denken wir an Weltkonzerne mit Macht, denken wir an Relevanz über die eigenen Grenzen hinweg, dann denken wir an die USA, an China. Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft dominieren das digitale Leben, samt und sonders Big-Tech-Konzerne aus den USA. Alibaba oder Huawei streben dorthin. Aus Europa strebt hier gar nichts, darum fühlen sich Angela Merkel und die Regierungschefinnen aus Dänemark, Estland und Finnland auch bemüßigt, an Ursula von der Leyen zu appellieren, digital aufzuholen.

Realität vs. Selbstwahrnehmung

Merkel und Kolleginnen sehen Handlungsbedarf in quasi allen Bereichen, von künstlicher Intelligenz bis zu Cloud-Angeboten. Die von von der Leyen ausgerufene „digitale Dekade“ soll Europa nach vorn bringen, es gelte, die „digitale Souveränität“ Europas zu stärken und große US-Konzerne zu regulieren. Ein Ansatz, um Europa stärker zu positionieren und Innovationen zu fördern, ist es also, mit Gesetzen und Zwängen die Marktführer aus Übersee an die Kandare zu nehmen.

Oder anders: Wir sind ein starkes Europa und wir müssen den Anspruch haben, die Marktführerschaft anzugreifen, egal, worum es geht. Mit diesem Anspruch geht Schalke 04 in jede Bundesliga-Saison. Das Schalke 04, das derzeit in einem desolaten Zustand sehr abgeschlagen am Ende der Tabelle steht und sehr wahrscheinlich absteigen wird, weil es sich lange Zeit gar nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Realität längst eine andere ist.

Reden vs. Machen

Mit Appellen und mit Lippenbekenntnissen wird man es nicht schaffen, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Mit Verboten und Restriktionen von anderen wird man es nicht schaffen, eigene Entwicklungen nach vorn zu bringen. Es ist ehrenwert, dass die mächtigsten Frauen des Kontinents den Status Quo ändern wollen und es ist unbedingt zu begrüßen, Konzerne nicht schalten und walten zu lassen, wie sie es für richtig halten. Daraus aber ableiten zu wollen, man könne Jahrzehnte verlorener Entwicklungen aufholen, weil man das jetzt eben mal so sagt, wirkt doch etwas kurzsichtig. Eher holt Schalke 04 die deutsche Meisterschaft, bevor Europa Digitalisierungsweltmeister wird. Falls in 50 Jahren tatsächlich Konzerne die Welt regieren, werden es wohl keine europäischen sein.

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