Ama-Zone

Zu wehrlos für die Welt? – Zum Aus von Amazons Lieferroboter

Veröffentlicht: 21.10.2022 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 21.10.2022
Grabstein

In der Reihe „Ama-Zone“ grübelt Tina Plewinski über die vielfältige Welt von Amazon: über Vor- und Nachteile des Online-Riesen, neue Entwicklungen, trendige Hypes, die unablässigen Machtbestrebungen des Konzerns und – im aktuellen Teil dieser Reihe – über den Tod eines kleinen Roboters.

Scout heißt der Lieferroboter, den Amazon in den vergangenen Jahren in verschiedenen Regionen der USA testete. Der rund kniehohe, selbstfahrende Logistikhelfer auf sechs Rädern sollte eine kontaktlose Zustellung von Bestellungen ermöglichen – gerade in Zeiten von Corona eine gute Idee, sollte man meinen. Dennoch hat Amazon jüngst die Einstampfung des Projekts bekannt gegeben.

Scout: weder schnell noch stark

Amazon Scout dürfte ein eindrückliches Beispiel dafür sein, dass nur die Starken überleben: Zwar war das Konzept des autonomen Lieferroboters wirklich cool – er besaß beispielsweise Sensoren und Kameras und konnte auf diesem Wege selbstständig Hindernisse umfahren –, doch wirklich stark war der Scout bei Weitem nicht. Mit Schrittgeschwindigkeit schlich er arglos über Gehwege und durch Universitäten, stets mit dem Ziel, seine Ladung still und leise bei den Empfängern abzuliefern.

Erst kürzlich hatte Amazon selbst verlauten lassen, dass man in den vergangenen drei Jahren mehr als 400 Millionen Euro in neue Technologien und speziell auch in Logistikroboter gesteckt habe. Schaut man sich die entsprechenden Roboter jedoch genauer an, wird schnell klar, dass diese nichts mit dem kleinen, drolligen Scout gemeinsam haben und sie eine ganz andere Sorte von Helfern darstellen: Amazon nennt etwa Sortier- und Transportsysteme, Palettierroboter oder Hebevorrichtungen. Dies alles sind große Maschinen, die entweder mit ihrer Geschwindigkeit, ihrer Kraft oder einer Kombination aus beidem beeindrucken und den menschlichen Logistik-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern den Arbeitsalltag deutlich erleichtern.

Würde man einen Vergleich aus dem Tierreich heranziehen, wären die großen, starken, schnellen Robotiksysteme in Amazons Logistikzentren quasi die Spitzenprädatoren und der kleine, langsame, schüchtern anmutende Scout nur das Futter. Futter, das keine Schutzmechanismen vor Fressfeinden – oder ohne Tier-Vergleich eben vor Vandalismus – vorzuweisen hat.

Ein Futter-Beispiel aus der Praxis

Dass die potenzielle Schutzlosigkeit des Roboters durchaus zum Scheitern des Projekts beigetragen haben könnte, zeigt auch ein trauriges Beispiel, zu dem sich Parallelen ziehen lassen und an das sich der ein oder andere vielleicht noch erinnern mag: 2014 schickten Wissenschaftler der Universitäten in Toronto und Hamilton einen autonomen Roboter namens Hitchbot in die Welt hinaus. Sein Ziel war es ursprünglich, innerhalb Kanadas per Anhalter eine Strecke von 6.000 Kilometern zurückzulegen.

Der Hitchbot war technisch so ausgestattet, dass er über ein Display Unterhaltungen führen und einen seiner zwei Arme bewegen konnte. Über ein Funkmodul war er zudem in der Lage, sich mit dem Internet zu verknüpfen. Anders als Scout konnte er sich allerdings nicht selbstständig fortbewegen und war daher auf nette Menschen angewiesen, die ihn transportierten. 

Nachdem die erste Reise durch Kanada glückte, legten die Wissenschaftler noch eine große Schippe drauf: Eine zweite Hitchbot-Version wurde 2015 nach Deutschland geschickt und sollte von dort aus auch durch die Niederlande reisen. Später waren dann auch die USA sein Ziel, wo er von der Ost- an die Westkünste tingeln sollte. Überlebt hat er seinen Trip durch die Vereinigten Staaten allerdings nicht: In Philadelphia wurde er von Unbekannten irreparabel zerstört. „Oh je, mein Körper wurde zerstört“, schrieben die Macher beim Kurznachrichtendienst Twitter. „Manchmal passieren guten Robotern schlimme Dinge!“

Seine Brüder leben weiter

Von solchen Vandalismus-Vorfällen hat man zwar in Bezug auf den Amazon Scout noch nicht gehört, allerdings wäre ein ähnlicher Vorfall mit Blick auf seine wenig wehrhafte Konstitution durchaus denkbar gewesen. Vielleicht wäre ein fokussierterer Einsatz in grundsätzlich geschützteren Gefilden wie etwa Universitäten, Krankenhäusern, innerhalb abgeschlossener Wohnkomplexe etc. weniger risikobehaftet gewesen. Doch hätte es für Amazon auch wirtschaftlich ein vielversprechendes Projekt werden können? Mit einem solch eingeschränkten Fokus darf man es bezweifeln.

Wie dem auch sei. Der Scout ist tot. Und seine muskelbepackten Prädatoren-Brüder leben und gedeihen in den weltweiten Logistikzentren des Konzerns. Und sie übernehmen eine wichtige Rolle, denn sie tragen, heben und transportieren Lasten, die sonst von den Rücken der Lagerarbeiter gestemmt werden müssten. – Entlastung, die der Scout schon von der Konzeption her nicht in der Lage war, den Menschen zu bringen. 

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