Trend Bürohunde

Stimmungskanonen mit wedelndem Schwanz erobern die Unternehmen

Veröffentlicht: 22.05.2020 | Geschrieben von: Markus Gärtner | Letzte Aktualisierung: 22.05.2020
Bürohund

Ich stehe Hunden meist wohlwollend gegenüber, wollte und will aber nie einen haben. Das weltentrückte Gesicht mancher Besitzer oder Streichler quittiere ich meist mit einem „Ach Gott ja“-Lächeln. Dann passierte etwas: Zu unserem Büro gesellte sich ein weiterer Mitarbeiter, der aber ganz offensichtlich wenig vom schnöden Alltag am Computer hielt, sondern nur eine (geheime?) Aufgabe verfolgte: Durch bloße Präsenz Freude verbreiten.  

Loki ist ein schwarzer Labrador, der die meiste Zeit in einer Art Körbchen in dem durch einen Zaun abgegrenzten Tischbereich seiner Besitzerin liegt. Nicht klar war mir, dass der Vierbeiner in seiner kurzen Zeit am Unternehmen bereits eine massive Gruppe an Anhängern rekrutiert hatte. So wurde ich staunender Zeuge, als mehrfach wöchentlich diverse männliche und weibliche Kollegen sich gemeinsam hinter verschlossener Tür mit dem Vierbeiner in eine Art tollenden Mensch-Tier-Tornado verwandelten – und danach von Pfoten beflügelt wieder das Zimmer verließen. Da wurde mir klar: Irgendwas ist dran am Phänomen Bürohunde. 

Das sind die Vorteile von Bürohunden in der Firma

Rund zehn Millionen Hunde gibt es laut Statista in Deutschland. Wie viele davon auch Bürohunde sind – das weiß niemand. Denn laut dem Bundesverband Bürohund e.V. (BVBH) gibt es keine genauen Zahlen dazu. Der Verband setzt sich seit 2014 dafür ein, dass immer mehr Unternehmen auf den Hund kommen. Dafür liefern die Vierbeiner in vielen Bereichen Argumente: Mitarbeiter seien gesünder und engagierter, das Betriebsklima werde verbessert. Das senke einerseits Kosten und steigere andererseits Produktivität und die Bindung ans Unternehmen. „Wir sind vom Erfolg unserer Initiative komplett überrollt worden“, sagt Markus Beyer, Gründer und Vorsitzender des BVBH, rückblickend. Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema habe sich in den vergangenen Jahren „deutlich erhöht“. 

2019 führte der BVBH eine Umfrage durch, deren Ergebnisse die positiven Wirkungen unterstreichen. Demnach fühlen über 90 Prozent der befragten Mitarbeiter in Bürohund-Firmen eine Verbesserung des Arbeitsklimas und eine bessere Work-Life-Balance. Auch bei Unternehmen, die noch keinen Vierbeiner haben, ist großes Interesse da: 85 Prozent dieser Mitarbeiter würden sich über einen wohlerzogenen Bürohund in ihrem Arbeitsumfeld freuen – und 49 Prozent dafür sogar auf eine Gehaltserhöhung verzichten! 

Streicheln baut Stress ab – und schüttet Oxytocin aus

Woher kommt die Begeisterung, dass Menschen das Wedeln eines Hundeschwanzes sogar gegen das mit Geldscheinen eintauschen? Gründe dafür liefern die beiden Studien von Randolph T. Barker und Dr. Linda Handlin. Barker hat 2012 nachgewiesen, dass Mitarbeiter mit Hund am Arbeitsplatz eine nachweislich geringere Stressbelastung hatten als die Referenzgruppen. Das liegt unter anderem daran, dass das Streicheln von Hunden das Bindungshormon Oxytocin freisetzt und Stresshormone wie Cortisol und Insulin reduziert – nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Hund. Das fand Handlin in einer 2010 veröffentlichten Studie heraus. 

FIO Systems

Die positiven Folgen können auch viele Angestellte bestätigen, deren Unternehmen Bürohunde bereits eingeführt haben – wie etwa auch beim E-Commerce-Dienstleister Händlerbund, der im April 2019 mit dem Projekt startete. „Viele Mitarbeiter scheinen sich sehr über die Hunde zu freuen und nutzen Pausen, um sie zu besuchen und zu streicheln. Ich kenne auch Kollegen, die vorher Angst vor Hunden hatten und diese durch den regelmäßigen Kontakt etwas verlieren konnten“, berichtet Social-Media-Managerin Katarina Riedel, Besitzerin des besagten Loki. „Für mich persönlich macht es den Händlerbund als Arbeitgeber natürlich noch attraktiver, da ich Hund und Arbeitsalltag noch besser unter einen Hut bekomme.“ 

Bei FIO Systems, einem Anbieter für Immobilien-Software, sind Hunde bereits seit Jahren Teil des Teams. Mittlerweile kommen auf den Standort Leipzig mit rund 130 Mitarbeitern acht Hunde. „Ich nehme Milow seit sieben Jahren mit zur Arbeit und habe bisher nur positive Erfahrungen erleben dürfen“, sagt Key-Account-Managerin Julia Hickel. „Der Hund muss nur dann zu Hause bleiben, wenn er sich zu unruhig verhält oder wenn Kollegen eine Hundehaarallergie haben.“

„Es ist ein Riesenunterschied, ob bei einer Besprechung ein Hund dabei ist“

Auch Indra Kley kennt die Vorteile von Hunden in der Firma – allerdings ist sie als Mitarbeiterin der Tierschutzombudsstelle Wien auch einigermaßen befangen. „Es ist ein Riesenunterschied, ob man bei einer Besprechung einen Hund dabei hat, der sich erstmal in die Mitte des Raumes setzt, seufzt, schmatzt und ein Schläfchen hält, das lockert die ganze Stimmung und das ganze Geschäft auf“, sagt die PR-Expertin.

Apropos Stimmung: Nicht jeder wird als Hundefreund geboren – was ist mit den Mitarbeitern, die mit den vierpfötigen Freudequellen wenig anfangen können? Allergien, die Angst vor Hunden oder auch die Befürchtung, dass bald „ein Zoo im Büro anwesend ist, der das Arbeiten unmöglich macht“ – das sind laut BVBH die häufigsten Vorbehalte gegenüber einer Einführung. Jedoch seien alle diese Hindernisse „grundsätzlich lösbar“, sagt Markus Beyer. „Das eigentliche Hindernis vor der Zulassung von Hunden im Büro sind die Vorstellungen der einzelnen Entscheidungsträger.“ Bei einer geplanten Einführung von Bürohunden müsse als erstes die emotionale Lage jedes einzelnen Beteiligten verstanden und mit ihr umgegangen werden, so Beyer. Der Händlerbund hat vor dem Start des Projekts zum Beispiel eine Mitarbeiterumfrage gemacht, um die Stimmung und auch eventuelle Sorgen abzufragen. Außerdem gibt es eine Probezeit für die einzelnen Hunde.

Bürohund beim Händlerbund

Worauf müssen Unternehmen achten, wenn sie Bürohunde in die Firma holen? 

Sandra May, Rechtsexpertin des Händlerbundes, erklärt, auf was ein Unternehmen beim Start eines Bürohund-Projekts generell achten muss. „Entschließt sich ein Unternehmer, das Mitbringen von Hunden am Arbeitsplatz zu gestatten, müssen verschiedene Dinge beachtet werden. Rein rechtlich kann der Arbeitgeber die Erlaubnis nämlich wieder entziehen, wenn wichtige Gründe vorliegen.“ Dazu gehören unter anderem, wenn Kunden durch die Hunde belästigt werden oder es zu Ärger mit den Kollegen kommt. Mögliche Problemfelder sollte der Arbeitgeber also vorab klären und klare Regeln aufstellen.  

Regeln für Bürohunde: Nicht bellen oder stinken

Beim Händlerbund gelten einige Grundregeln für Bürohunde. So darf der Hund unter anderem weder den reibungslosen Büroalltag stören, noch bellen, stark riechen oder Menschen anspringen. Außerhalb des jeweiligen Hundebüros darf er nicht frei herumlaufen, der Aufenthalt in Meetingräumen, Küchen und Pausenräumen ist verboten.

Einen derartigen Verhaltenskodex gibt es auch bei der Tierschutzombudsstelle Wien. „Das sind Vorgaben, den Hund nicht von Menschengeschirr essen oder an den Kühlschrank zu lassen – aber das sind Sachen, an die sich eh jeder Hundebesitzer halten sollte“, meint Indra Kley.

Sollte es trotz aller Regeln Mal zu einem Problem kommen und jemand wird im Extremfall gebissen, hafte laut BGB grundsätzlich der Hundehalter für die durch seinen Hund verursachten Schäden – sowohl an Sachen als auch an Personen, sagt Sandra May. „Um die Regulierung des Schadens abzusichern, kann es sinnvoll sein, das Vorliegen einer Hundehaftpflichtversicherung zur Grundvoraussetzung für das Mitbringen von Hunden zu machen“, so ihr Rat.

Obama, Bürohund von Indra Kley

Bürohunde bei Google und Amazon

Auch bei vielen großen Konzernen spielen Hunde schon eine Hauptrolle. Google etwa gibt sich explizit als „Hunde-Unternehmen“. „Googles Zuneigung für unsere tierischen Freunde ist eine integrale Facette unserer Unternehmenskultur. Wir mögen Katzen, aber wir sind ein Hunde-Unternehmen“, heißt es auf dem Firmenblog. Auch Amazon hat nach eigenen Angaben allein am Hauptsitz in Seattle über 7.000 Bürohunde. Nach Amazons erstem Bürohund, dem Corgi Rufus, hat das Unternehmen sogar ein Gebäude benannt. Laut einer Untersuchung von Rover, einer Hundesitter-Vermittlungsplattform, ist Amazon sogar das hundefreundlichste Unternehmen in den USA. Manche US-Unternehmen bieten ihren Hundehaltern sogar eine Art bezahlte Elternzeit, wenn sie einen neuen Vierbeiner bekommen, wie die Seattle Times berichtet.

Bürohunde als wichtiger Faktor bei der Stellensuche 

Das Thema Bürohund wird für die Arbeitswelt und Unternehmen künftig noch wichtiger werden, ist sich Markus Beyer vom BVBH sicher – vor allem bei der Suche nach hochqualifizierten Fachkräften. In Studien stand die Erlaubnis, seinen Hund zur Arbeit bringen zu können, demnach auf Platz Drei der Anforderungen der Arbeitssuchenden – nur hinter dem Wunsch nach Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten. Auch bei Software-Anbieter FIO wird der Faktor Bürohund für die Rekrutierung neuer Mitarbeiter genutzt. „Damit werben wir aktiv in unseren Stellenausschreibungen“, sagt Julia Hickel. „Die Zulassung von Hunden im Büro ist keine Frage des ‚Ob‘, sondern nur noch eine Frage des ‚Wann und Wie‘“, prognostiziert Beyer.

Auch kleine Rückschläge können den Vormarsch der Bürohunde wohl nicht aufhalten, weiß auch Indra Kley. Ihr Hund Obama hat es Mal geschafft, einen Strategie-Workshop in den österreichischen Bergen mit dem gesamten Management Board einer internationalen Organisation in Panik zu versetzen. Nach einem kleinen Ausflug nach draußen stürzte der Hund damals plötzlich wieder in den Seminarraum – roch aber „bestialisch“. „Die Leute sind aufgestanden und in den anderen Seminarraum geflüchtet, wir mussten abbrechen. Das Ende vom Lied: Obama hat sich wahrscheinlich in Kuhscheiße gewälzt, und später auch nach dreimaligem Duschen immer noch gestunken“, berichtet Kley. „Noch heute lachen alle darüber, dass es Obama geschafft hat, das ganze Meeting zu sprengen.“

Wahrscheinlich wird es künftig noch mehr Schwanzwedeln, Hormonduschen und Mensch-Tier-Knäuel in den Büros geben, wenn die Zahl der vierbeinigen Wellness-Experten ansteigt. Ich muss diesen Artikel jetzt beenden, Loki wartet schon.

Loki 1

Ratgeber zur Einführung von Bürohunden

Der Bürohund-Verband bietet eine umfassende Checkliste und Ratgeber zur Einführung eines solchen Projekts. Markus Beyer nennt einige wichtige Punkte, auf die Unternehmen dabei achten müssen:

  • Emotionalität verstehen: Man müsse alle Beteiligten auch emotional mitnehmen und deren Ängste vor Veränderung und einem möglichen Kontrollverlust aufgreifen

  • Gemeinsame Regeln: Alle beteiligten Akteure müssen zusammen Regeln aufstellen und diese festhalten. Beim Händlerbund werden diese auch regelmäßig überarbeitet, wie Katarina Riedel ergänzt. „Dafür holen wir uns natürlich auch das Feedback von kritischeren Kollegen ein.“

  • Pilotprojekt als Test: Je nach Firmengröße sollte das Unternehmen mit einem bzw. wenigen Hunden anfangen, so der Rat. „Je mehr Erfahrung man sammelt, desto näher kommt man dann dem Thema“, sagt Beyer.
Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.