Sentryc-Gründerin Nicole Hofmann im Interview

„Hersteller sollten offen mit Fälschungen umgehen.“

Veröffentlicht: 19.08.2020 | Geschrieben von: Michael Pohlgeers | Letzte Aktualisierung: 19.08.2020
Nicole Hofmann

Produktfälschungen sorgen für Schäden in Milliardenhöhe und gehören zu den größten Ärgernissen im Handel. Der Kampf gegen die Plagiate und die Fälscher dahinter wird schon seit Jahren mit verschiedenen Mitteln ausgetragen – und hat sich zu einem wahren Wettrüsten entwickelt. Das StartUp Sentryc will Marken mit einer automatisierten Produktüberwachung unterstützen – wir haben mit der Gründerin und Geschäftsführerin Nicole Hofmann über Plagiate und den Kampf dagegen gesprochen.

OnlinehändlerNews: Produktfälschungen sind ein enormes Ärgernis für den Handel. In den vergangenen Jahren wurden von verschiedenen Seiten immer stärkere Bestrebungen unternommen, den Verkauf von Plagiaten einzuschränken – wie groß ist das Problem mit Produktfälschungen heute?

Nicole Hofmann: Das Problem ist massiv und die Tendenz steigt! Tatsächlich ermittelte die Studie des VDMA zur Produktpiraterie 2020 allein im Umfeld des Maschinen- und Anlagenbaus aktuell einen Schaden von 7,6 Milliarden Euro durch Plagiate. Im Vergleich zur vorherigen Studie von 2018 erhöht sich der Umsatzschaden damit um 300 Millionen Euro. Durchschnittlich beträgt der Schaden pro Unternehmen 4,9 Prozent des Jahresumsatzes. Dabei geht es hier nicht einmal um den Consumer-Sektor. 71 Prozent aller deutschen Unternehmen sind branchenunabhängig von Fälschungen betroffen. Und gerade Firmen, die nicht global agieren, bieten Fälschern ein leichtes Ziel mit ihren hochwertigen Produkten ohne ganzheitliche Überwachung. 

Vor allem hochwertige und teure Produkte betroffen

Welche Produktsegmente sind Ihrer Erfahrung nach besonders von Fälschungen betroffen?

Im Trend liegende Consumer Brands sind von einer regelrechten Flut an illegalen Fälschungen betroffen. Von einem Tag auf den anderen tauchen sie im Internet auf – die Kehrseite des Erfolgs. Doch grundsätzlich trifft es qualitativ hochwertige und entsprechend teure Produkte aus jedem Wirtschaftszweig. Brands mit einer hohen Nachfrage stellen ein besonders lukratives Ziel für Fälscher dar. Von Schuhen und Kinderspielzeug über Autoteile und Badewannen bis hin zu Industrierobotern fälschen Plagiatoren alles, was ihnen Geld einbringt.

Welche Möglichkeiten haben Händler und Hersteller, gegen Fälschungen ihrer Produkte vorzugehen?

Um die Nachahmer überhaupt zur Rechenschaft ziehen zu können, muss die Eintragung gewerblicher Schutzrechte erfolgen, und das am besten weltweit. Denn nur in Ländern mit Markeneintragung ist es möglich, rechtlich gegen Missbrauch vorzugehen. Eine sorgfältige Marktbeobachtung im Handel, auf Messen und im Internet ist ebenfalls unerlässlich. Offene Kommunikation mit der Kundschaft über mögliche Plagiate und wo sie zu finden sind, schützt beide Seiten gleichermaßen. Und die sofortige Löschung aller illegalen Angebote verhindert schnell und effektiv deren Vertrieb und so die weitere Verbreitung von illegalen Replikaten. 

Transparenz ist gefragt

Sie bieten mit Sentryc eine automatisierte Produktüberwachung an, um Plagiate einzudämmen. Wie genau funktioniert diese automatisierte Prüfung?

Zuerst scannt unsere Software Marktplätze, Webseiten und Social Media-Plattformen, beispielsweise über eine Schnittstelle. Sie sucht nach Angeboten in Verbindung mit der Marke oder dem Produkt – und zwar 24/7. Diesen Vorgang nennen wir Screening. Im zweiten Schritt erfolgt die transparente Aufbereitung der Funde anhand des Ratings unserer Software. Sie gleicht objektive Kriterien nach bestimmten Attributen, wie Bilder oder Beschreibungen, ab und untersucht Auffälligkeiten. Aus der so entstandenen Auswahl löscht der Kunde potenzielle Fälschungen oder Markenrechtverletzungen mit einem Klick auf den „Take Down“-Button. Innerhalb von 24 Stunden verschwindet das Angebot aus dem Internet. All diese Informationen fließen wieder in den Machine-Learning-Prozess, optimieren ihn und führen zu neuen Findings. Den Fortschritt verfolgen Sentryc-User über ihr Dashboard und diverse Reportings, in denen Nutzer beispielsweise nähere Verkäuferinformationen finden.

Es gibt auch Anbieter auf dem Markt, die sich für mehr Transparenz der Hersteller aussprechen. Anstatt das Thema Plagiate auszublenden, sollten sie die Kunden eher proaktiv auf das Problem hinweisen und für Fälschungen sensibilisieren. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Ich unterstütze den Ansatz. Hersteller sollten offen mit Fälschungen umgehen. Wenn Kunden wissen, dass es auf Online-Shops zu unabsichtlichen Plagiatskäufen kommt, agieren sie vorsichtiger bei ihrer nächsten Bestellung. Sie dauerhaft auf Stand zu halten, welche Marktplätze von illegalen Kopien betroffen sind, schützt die Kunden und das Markenimage. Schließlich entsprechen Fälschungen nicht dem erwarteten Qualitätsstandard des Originals. Glaubt der Käufer, sein enttäuschendes Produkt sei echt, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit kein weiteres Produkt der Marke kaufen. 

Hersteller müssen selbst aktiv werden

Wie lässt sich das Problem der Plagiate aus der Welt schaffen?

Hersteller dürfen nicht allein auf Hilfe seitens der Politik oder auf Selbstregulation der Webshop- und Plattformbetreiber hoffen. Sie müssen selbst mit verschiedenen Maßnahmen aktiv werden. Eindämmung von Fälschungen ist das Gebot der Stunde: Zeigen Unternehmen, dass sie Ideen- und Markenklau nicht hinnehmen, sondern dagegen vorgehen, erschweren sie Produktpiraten ihren Vertrieb. Diese bleiben zwar zumeist im Geschäft, eröffnen neue Shops und finden andere Vertriebswege, doch bei stetiger Beobachtung und Verfolgung rechnet sich ab einem bestimmten Zeitpunkt der Aufwand für die illegalen Kopierer nicht mehr und sie wechseln zu anderen Produkten. Wichtig ist das kontinuierliche Dranbleiben, auch bei sinkenden Plagiatszahlen. Sobald die Fälschungsjagd stoppt, steigen die verbotenen Angebote wieder.

Vielen Dank für das Gespräch!

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