Tobias Röbig von Fiege im Interview

„Erfolgreiche Firmen wissen, dass Logistik nicht zum Kern-Business gehört“

Veröffentlicht: 19.10.2020 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 19.10.2020
Mann mit vielen Kartons im Logistiklager

Viele Online-Händler nutzen neben einem eigenen Online-Shop die Möglichkeit, über Marktplätze Produkte zu verkaufen – vornehmlich, um mehr Kunden mit dem eigenen Angebot zu erreichen. Doch wer mehrere Verkaufskanäle bedient, dessen Logistik muss mithalten – so müssen neben der Bestandsübersicht auch das Handling von Verpackung, Lieferscheinen und Retouren funktionieren. Auch können Händler die Fulfillment-Angebote der Marktplätze oder Plattformen nutzen. 

Tobias Röbig, Head of Marktplace beim Logistik- und Omnichannel-Fulfillment-Dienstleister Fiege, ist Experte für den Vertrieb über verschiedene Kanäle und die Herausforderungen der E-Commerce-Logistik. Zusätzlich zu seiner Position bei Fiege ist er Geschäftsführer beim Unternehmen Heyconnect, das Marken den Zugang zu rund 30 Marktplätzen in Europa, darunter Amazon, Zalando, Otto und About You ermöglicht. Wir sprachen mit ihm unter anderem über die Eigenheiten der unterschiedlichen Plattform-Fulfillment-Angebote sowie die Hürden in der Omnichannel-Logistik. Auch erklärt er, woran Händler erkennen, wann ihnen die Abwicklung der Logistik in kompletter Eigenregie über den Kopf wachsen könnte.

„Plattform-Fulfillment gehört in einen optimalen Logistik-Mix“

OnlinehändlerNews: Viele Online-Händler verkaufen nicht (nur) über einen eigenen Online-Shop, sondern nutzen Marktplätze. Die Nutzung mehrerer Vertriebskanäle wirkt sich ja in der Regel positiv auf das Geschäft aus. Wie beurteilen Sie dies aus logistischer Perspektive? Welche Vorteile, aber auch welche Herausforderungen bringt dies mit sich?

Tobias Röbig / Bild: heyconnect

Tobias Röbig: Wer nicht mit seinen Kunden geht, verliert sie auf Dauer. Unternehmen sollten deshalb stets neue Abverkaufskanäle erschließen, um ihre Wertschöpfungskette zu erweitern und neue Zielgruppen zu gewinnen. Entscheidend ist, die zunehmende Komplexität handlen zu können. Schließlich hat jeder Kanal seine Eigenheiten, die in der Logistik abgebildet werden müssen. Dazu gehören beispielsweise die unterschiedlichen – oft sehr ambitionierten – Service-Level-Agreements (SLAs) der Plattformen. 

Wem es zusätzlich gelingt, Peak-Phasen kontrolliert zu steuern, der kann von mehreren Plattformen profitieren. Dabei gilt es, neben dem reinen Volumen zusätzliche Herausforderungen wie Kartonage, Lieferscheine, Retourenscheine und Carrier zu beherrschen. 

Was halten Sie von den Fulfilment-Angeboten großer Marktplätze, wie etwa Amazon und Ebay?

Aus meiner Sicht gehört das Plattform-Fulfillment in einen optimal ausgesteuerten Mix der Logistik. Der größte Nachteil besteht jedoch darin, dass die Logistik ausschließlich auf die Anforderungen der spezifischen Marktplätze zugeschnitten sind. Ist man als Marke auf mehreren Marktplätzen aktiv, verteilt man seine Ware so schnell in mehreren Lagern. Hier hilft eine eigens aufgestellte, externe Logistik, die die unterschiedlichen Ansprüche kennt und ideal miteinander verzahnt. 

Welche Unterschiede gibt es in der Logistikabwicklung, beispielsweise bei Amazon, Ebay, Otto und Zalando?

Amazon, Ebay und Zalando bieten grundsätzlich gute Konditionen, wenn das Fulfillment für Bestellungen auf der jeweiligen Plattform ausgesteuert wird. Es ist jedoch weniger attraktiv, wenn es darum geht, den eigenen Online-Shop oder andere Marktplätze zu bedienen. 

Das sogenannte Integrationsmodell bei Otto ist dagegen nur sehr selektiv für Marken zugänglich und damit kaum vergleichbar mit den anderen Marktplatz-Logistiken. Es werden ausschließlich Otto-Bestellungen ausgeliefert. Dies geschieht in zwei Modellen: Dabei werden täglich Kundenbestellungen gebündelt und in Bulk an das Otto-Lager geliefert. Sobald eine Verkaufshistorie verfügbar ist, legt sich Otto kleine Bestände von gut laufenden Artikeln proaktiv ins Lager. Am Ende einer Saison bekommt man die Reste zurückgeschickt. 

Für Unternehmen, die mehrere Marktplätze bespielen wollen, bieten sich reine Inhouse-Lösungen also nicht wirklich an. 

Alle Kanäle aus dem gleichen Bestands-Pool bedienen, aber individuell ausspielen 

Was können sich kleine und mittelständische Händler bei der Logistikabwicklung von großen Unternehmen abschauen, ohne das eigene Budget zu sprengen?

Die Kunst besteht nicht darin, ein Lager im Normalbetrieb zu managen. Die Kunst beginnt in dem Moment, wenn es darüber hinausläuft. Ab einer gewissen Größe macht es keinen Sinn mehr, eine eigene Logistik zu betreiben. Diesen Moment muss man erkennen und entsprechend reagieren. 

Große Firmen sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil sie gelernt haben, dass Logistik nicht zum Kern-Business gehört und professioneller durch Spezialisten betrieben wird.

Wann ist ein Händler denn zu groß dafür, um selbst seine Logistik zu stemmen? Woran erkennt er, dass er auf eine externe Lösung umstellen sollte?

Darauf lässt sich leider keine pauschale Antwort geben. Die Größe des Geschäfts drückt sich nicht nur in der Anzahl der versendeten Stücke aus, sondern auch in der Komplexität des Vertriebsnetzes.

Wenn man permanent dabei ist, Probleme mit mehr Personal zu lösen, vereinbarte SLAs immer nur sehr knapp einhält und der Management-Aufwand überproportional zum Wachstum des Geschäfts steigt, dann sind das gute Indikatoren. 

Sollten Bestandsverwaltung, Versand, Retouren etc. eher in einer ganzheitlichen Logistik-Lösung betrachtet werden oder einzeln? 

Ich favorisiere ein modulares System, in dem die Diversifizierung erst nach vorne raus stattfindet. Alle Kanäle sollten aus meiner Sicht aus dem gleichen Bestands-Pool bedient, dann aber individuell ausgespielt werden. Jeder Kanal hat seine eigenen Anforderungen an Verpackung, Dokumente und Value Added Services. Dies muss abbildbar sein. Um diesen Prozess zu automatisieren und Schnittstellen zu erstellen, benötigt man jedoch eine dedizierte Abteilung mit spezialisierten Mitarbeitern, die das Thema über Jahre aufbauen.

Zusammenarbeit mit Marktplätzen ist weniger berechenbar

Haben es bestimmte Branchen schwerer, die Logistik beim Handel auf mehreren Marktplätzen im Blick zu behalten?

Das hängt vom Setup der Logistik ab. Wenn wir über eine Logistik mit standardisierten Prozessen sprechen, die sich aus einem Bestand schöpft, ist diese sortimentsunabhängig. Um dies zu erreichen, muss allerdings schon initial bedacht werden, welche Aufgaben die Logistik zukünftig abbilden soll und über welche Quellen von Aufträgen wir sprechen.

Auf welche Strategien sollten Händler setzen, um in der eigenen Logistik nicht den Überblick zu verlieren, wenn sie auf mehreren Marktplätzen handeln?  

Wir arbeiten mit Koordinatoren, die aus Richtung der Marktplätze auf die Logistik schauen und anders herum. Es ist entscheidend, an dieser Position jemanden zu haben, der die Anforderungen der Marktplätze kennt, sich mit diesen direkt oder indirekt abstimmt und entsprechend reagiert. Die Zusammenarbeit mit Marktplätzen ist weniger berechenbar als der Verkauf über einen eigenen, selbst gesteuerten Shop. Daher ist es hier noch wichtiger, seine Zahlen im Griff zu haben und spontan reagieren zu können.

Im Online-Shop individuelle logistische Möglichkeiten nutzen

Was empfehlen Sie Händlern, die zusätzlich zum Handel auf Marktplätzen auch einen eigenen Online-Shop betreiben?

Der eigene Online-Shop ist aus meiner Sicht nur ein weiterer Kanal, der wiederum spezielle Anforderungen hat. So sollte er auch behandelt werden. Für den eigenen Shop hat man wesentlich mehr Optionen für die Abwicklung der Aufträge, kann hier wesentlich individueller werden. Solche Möglichkeiten sind zum Beispiel der Einsatz von Kartonage mit Marken-Branding, individuelle Lieferscheine und Beileger/Werbung. Auf Marktplätzen gibt es diese Möglichkeiten zumeist nicht, sie werden von den meisten Plattformen kategorisch untersagt.

Die Coronakrise hat bei vielen Online-Händlern bereits zu deutlich mehr Bestellungen geführt, jetzt stehen zusätzlich bestell-intensive Events wie Black Friday und Cyber Week und das Weihnachtsgeschäft bevor: Haben Sie Tipps für Händler, wie sie sich jetzt noch auf die logistischen Herausforderungen der Peak-Season vorbereiten bzw. diese gut stemmen können? 

Unternehmen sollten die Professionalisierung der Logistik sowie die Erweiterung der Vertriebskanäle – zumindest auf höherer Ebene – gut aufstellen. Unternehmensspezifische Maßnahmen bleiben jedoch nicht aus. Die Black-Friday-Vorbereitungen laufen schon mehrere Wochen bei uns. Neben größeren Servern werden wir Maßnahmen wie ein Mehrschichtsystem, Samstags- und Sonntagsarbeit, Leihpersonal und ein dediziertes 24/7 Peak-Monitoring für diese Tage aufsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Tobias Röbig ist Wirtschaftswissenschaftler und seit über zehn Jahren in der Branche tätig. Er startete seine Karriere bei Arvato Logistic Services. Ersten Kontakt mit der Marktplatz-Branche erwartete ihn dann bei Otto, wo er schließlich das Marktplatzgeschäft von About You aufbaute. Seit 2019 arbeitet Röbig bei dem Logistik- und Omnichannel-Fulfillment-Dienstleister Fiege als Head of Marketplace sowie begleitend als Geschäftsführer des Plattform-Service-Providers Heyconnect, an dem Fiege beteiligt ist. Über den Servcie können Marken Zugang zu rund 30 Marktplätzen in Europa erhalten, dazu zählen etwa Amazon, Zalando, Otto und About You; große Namen wie Lloyd, Cox, Cinque, Colmar, Mephisto und Hugo Boss Home nutzen den Integrationsservice. 

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