Produktnachschub im Krisenmodus

Händler gehen bei der Warenbeschaffung weniger Risiken ein

Veröffentlicht: 20.04.2022 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 20.04.2022
Warenbeschaffung: Händlerin begutachtet Sortiment

Die Situation in den globalen Lieferketten ist angespannt wie selten zuvor: Grund dafür ist zum einen die Corona-Pandemie. So führen u. a. überlastete Häfen oder gänzlich geschlossene Hafenterminals sowie Lockdowns in China – aktuell etwa in Shanghai – zu Verzögerungen im Warenverkehr und bei der Containerabfertigung. Die Kapazitäten sind länger gebunden und damit knapp. Zum anderen wirkt sich der Krieg in der Ukraine deutlich auf die Versorgungssituation aus, da wichtige Transportrouten auf See und auf dem Land nicht länger bestehen und Lieferungen aufwendig und teuer umgeleitet werden müssen, Hunderttausende Lkw-Fahrer fehlen und Sanktionen gegen den Kriegstreiber Russland unter anderem zu Lieferengpässen führen. Gleichzeitig schießen die Preise für Energie und Transporte nach oben, die Inflationsrate ist bereits deutlich gestiegen.

Große Händler wie Ikea, Walmart oder Lidl greifen deshalb beispielsweise auf eigene Frachtschiffe oder gar Reedereigründungen zurück. Ein Modell, das sich für Unternehmen, die die nötige Finanzkraft und Risikobereitschaft mitbringen und deren Kerngeschäft besonders durch Lieferengpässe bedroht ist, durchaus lohne, so Lieferkettenexperte Michael Meyer von Accenture Strategy. Händler mit geringer Wertschöpfungstiefe im wettbewerbsintensiven Umfeld, deren Kunden nicht zwingend an die angebotenen Marken gebunden sind, seien da kurzfristig allerdings anderen Bedrohungen ausgesetzt, so Meyer. 

Dies spiegelt sich etwa beim Thema Warenbeschaffung wider: Vornehmlich in Reaktion auf die Coronakrise seien Händler vorsichtiger geworden – und hätten sich zunehmend spezialisiert, wie sich bei den Online-Großhandelsplattformen Faire Wholesale und Orderchamp zeigt. 

Händler setzen auf kleinere Bestellmengen

Gerade die Coronakrise habe beim Wareneinkauf merklich Spuren hinterlassen – so seien viele Händler vorsichtiger geworden: „Während der Pandemie mussten viele unabhängige Einzelhändler:innen extrem flexibel werden“, beobachtete etwa Maximilian Gassner, Deutschlandchef der Online-Großhandelsplattform Orderchamp. „Wir sehen deutlich, dass sich das Einkaufsverhalten in Richtung kleinerer Bestellungen verändert, die damit auch weniger finanziell riskant sind“.

Der Großhandelsmarktplatz Faire bemerkte in den letzten Jahren und Monaten vor allem eine stärkere Regionalisierung und Individualisierung. „Schon vor der Pandemie konnten wir beobachten, dass die Verbraucher:innen lieber bei unabhängigen Einzelhändler:innen einkaufen und Produkte bevorzugten, die ihren Werten besser entsprechen. Die Pandemie hat diese Vorliebe noch verstärkt und den Menschen vor Augen geführt, wie wichtig es ist, lokale Einzelhändler:innen zu unterstützen, denn so herausfordernd wie aktuell war es für stationäre Einzelhändler:innen noch nie“, führt Luca Beltrami, Head of Product for Retailers bei Faire, aus. Suchbegriffe wie „lokal“, „nicht auf Amazon erhältlich“, „vegan“ oder „fairer Handel“ seien auf der Plattform zunehmend beliebter geworden.

Auch bei Orderchamp zeigt sich diese Tendenz. Die Plattform ermittelte in einer hauseigenen Händlerumfrage, dass 90 Prozent der Befragten ein einzigartiges und gut zusammengestelltes Sortiment wichtig oder sogar äußerst wichtig für den Geschäftserfolg sei. „Wir sehen, dass einzigartige Konzeptläden und Boutiquen am erfolgreichsten sind, da sie sich besser differenzieren, also von der Konkurrenz abheben können. Für die Zusammenstellung ihrer Sortimente suchen unabhängige Einzelhändler:innen nach neuen Möglichkeiten, wirklich einzigartige Produkte einfach und mit weniger Risiko zu kaufen“, stellte Maximilian Gassner fest.

Auswirkungen des Krieges bisher wenig spürbar

Der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Sanktionen und Exportbeschränkungen werden künftig, ähnlich wie die Corona-Pandemie, voraussichtlich zu weiteren Engpässen in unterschiedlichen Industrien führen. „Das reicht vom Lebensmittelhandel über die Automobil- und Textilgewerbe bis zur Stahlindustrie und darüber hinaus. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt und welche weiteren Auswirkungen auf die Lieferketten damit einhergehen“, erklärt Supply Chain & Operations-Experte Michael Meyer.

Auf der Online-Großhandelsplattform würden Händler die Auswirkungen dieser Entwicklungen bei der Warenbeschaffung bisher aber kaum zu spüren bekommen. „Wir sehen beispielsweise bereits steigende Lebensmittelpreise in den Supermärkten und den Tankstellen“, so Maximilian Gassner. „Bislang sind die Einzelhändler:innen von Orderchamp jedoch nicht so sehr vom Krieg in der Ukraine betroffen, da auch die meisten Marken, die bei Orderchamp verkaufen, nicht so stark von der Situation in der Ukraine betroffen sind.“ Des Weiteren finden sich auf den Großhandelsplattformen vor allem Alternativen. „Durch den Zugang zu einer breiten Produktauswahl trägt Faire dazu bei, dass die Regale in lokalen Geschäften auf der ganzen Welt gefüllt bleiben. Und es ermöglicht kleinen Unternehmen, schneller auf Probleme in der Lieferkette zu reagieren als Einzelhandelsriesen, die sich auf Massenware und einige wenige große Bestellzeiträume verlassen. Wir glauben, dass die kleinen Unternehmen mit unseren Instrumenten besser in der Lage sind, sich an die aktuellen Veränderungen anzupassen und zu reagieren“, mutmaßt Luca Beltrami.

Krisensicherheit: Inflation macht sich bemerkbar

Im März erreichte die Inflationsrate hierzulande – mit einem Plus von 7,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – einen neuen Höchststand seit der deutschen Wiedervereinigung. Die Preissteigerungen zeigen sich auch in der Warenbeschaffung: Orderchamp konnte in Bezug bereits einen leichten Preisanstieg verzeichnen. Etwa 5 Prozent der Produkte hätten in den letzten drei Monaten im Preis zugelegt, in den Kategorien Küche & Wohnen sowie Lebensmittel & Getränke sind es 15 Prozent. Es gebe noch keinen signifikanten Trend, „aber wir sehen einige Anzeichen“, so Maximilian Gassner. 

Faire habe verschiedene Analysen durchgeführt, um die Auswirkungen verschiedener Inflationsniveaus auf das eigene Geschäft zu modellieren. Dabei kam man zu dem Schluss, dass das eigene Geschäftsmodell die Widerstandsfähigkeit von Händlern in dieser Zeit unterstütze. Eines der größten Schwierigkeiten bestehe letztlich darin, auf den bereits beschafften Beständen sitzen zu bleiben. Um in Krisen bestehen zu können, sei aber ein möglichst risikoarmer Einkauf wichtig, um das finanzielle Risiko unverkaufter Ware zu reduzieren. Dazu könnten den Plattformen zufolge Konditionen wie großzügige Zahlungsziele oder auch kostenlose Rückgaben beitragen. 

Mehr Krisensicherheit können Händler zudem generell durch die Digitalisierung im Einkauf erhalten. So sei, anders als auf Messen, bei Online-Plattformen die Suche nach passenden Artikeln weniger zeitraubend, erläutertet Faire. Orderchamp nutzt maschinelles Lernen im Backend der Plattform, um den Händlern Lieferpartner und Produkte vorzuschlagen. Einkaufsprozesse direkt in bestehende Shop- bzw. ERP-Systeme integriert werden. Der wichtigste Rat des Orderchamp-Chefs aktuell ist jedoch: „Seien Sie sich über Ihr Konzept sicher. Es geht darum, ein echtes Konzept für den Laden zu entwickeln, um sicherzustellen, dass er nicht nur ,einer von vielen‘ ist. Wirklich erfolgreich sind Geschäfte, die eine bestimmte Nische gefunden haben.“ Und in diesem Zusammenhang sei es auch immer wichtiger zu wissen, wo man einkauft.

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