Interview mit Felix Beilharz

Social Media für Unternehmen: „Kritik muss man aushalten können“

Veröffentlicht: 24.07.2019 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 23.07.2019
Negative Emojis

73 Prozent der Unternehmen in Deutschland nutzen die sozialen Medien, zeigt die Social-Media-Nutzungsstudie von Statista. Vor allem Facebook, Youtube, Twitter und Instagram werden demnach im Content Marketing bzw. für das Corporate Publishing eingesetzt. Nicht verwunderlich, bietet Social Media doch eine ideale Plattform, um Aufmerksamkeit zu generieren. Durch die mehr oder minder öffentliche Präsenz der Unternehmen ist es zudem einfacher geworden, direktes Kunden-Feedback zu erhalten. 

Allerdings birgt dies auch Herausforderungen – gerade, weil es durch bestimmte Verhaltensweisen oder Äußerungen eben auch zu negativen Rückmeldungen und sogar zu Hasskommentaren oder einem Shitstorm kommen kann. Sollte man bestimmte Themen also lieber meiden, um dies nicht zu provozieren? Ist es eine gute Idee, einen Kommentar einfach zu löschen? Wir sprachen mit dem Social-Media-Experten Felix Beilharz darüber, wie Unternehmen am besten mit negativen Reaktionen umgehen können.

„Es kann sinnvoll sein, zu den eigenen Standpunkten zu stehen“

OnlinehändlerNews: Herr Beilharz, welche Risiken bzw. Gefahren bergen die sozialen Netzwerke für Online-Händler?

Felix Beilharz: Die Gefahr eines Shitstorms dürfte das Erste sein, an das die meisten Händler denken. Das reale Risiko ist aber gering – nicht jede drei negativen Kommentare sind schon ein Shitstorm. Einen wirklichen Shitstorm werden 99 Prozent der Unternehmen nie erleben. Aber viele davon verpassen aus der ständigen Angst davor viele Chancen. Eine viel realere „Gefahr“ ist es, sich nicht ausreichend mit den sozialen Medien auszukennen, sie falsch zu nutzen und so Geld völlig wirkungslos zu verbrennen. 

Gibt es bestimmte Themen oder auch Handlungen, die typischerweise bzw. auch aktuell besonders leicht negatives Feedback von Usern provozieren  – von klaren Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen oder die Netiquette abgesehen? 

Themen, die allgemein für intensive Diskussionen sorgen, bergen immer ein gewisses Risiko: Ernährung (vegan vs. Fleischverzehr zum Beispiel), Nachhaltigkeit, Medizin, Klima, Politik. Hier kochen die Emotionen schnell hoch und die Debatte wird unsachlich. 

Sollten Online-Händler solche Themen meiden? Oder gibt es Möglichkeiten, beispielsweise auch aktuelle „Aufregerthemen“ für die eigene Social-Media-Präsenz zu nutzen?

Ob man sich als Händler bewusst an solche Themen heranwagt (obwohl man es vermeiden könnte), sollte man sich gut überlegen. Die Chance liegt aber gleichzeitig darin, sich in so einem Thema gezielt zu positionieren. Ich hatte erst neulich ein Gespräch mit einem Geschäftsführer, der einen Kundenauftrag von einer mit eindeutig rechtsradikalen Anspielungen versehenen E-Mail-Adresse bekam. Die Frage war, ob er diesen Kundenauftrag annehmen sollte oder nicht – soll die Gesinnung eines Kunden Einfluss auf den Abschluss eines Vertrags haben? 

Diese Situation kann nur im Einzelfall entschieden werden. Sie birgt aber die Möglichkeit, sich öffentlich entsprechend zu positionieren – in die eine oder andere Richtung. Wenn das Unternehmen eine politische oder gesellschaftliche Position aktiv nach außen vertritt, hat sie eine gute Chance auf hohe Reichweite und positive Rückmeldung – muss aber den ebenfalls auftretenden Gegenwind aushalten können. 

True Fruits reagierte auf Vorwürfe, dass eine ihrer Werbekampagnen rassistisch sei, in sozialen Netzwerken selbst mit Beschimpfungen gegen die Nutzer, die dies behaupteten (nachzulesen beispielsweise bei W&V). Wie beurteilen Sie diese Reaktion? Was können andere Unternehmen aus der Aktion lernen?

True Fruits basiert mit der gesamten Unternehmensstrategie auf Provokation und Abgrenzung. Da wäre es seltsam gewesen, bei Gegenwind „einzuknicken“, vor allem wenn das Unternehmen selbst ehrlich überzeugt ist, nicht rassistisch zu handeln. Diese Strategie bzw. das so konsequent durchzuziehen, eignet sich aber längst nicht für alle Unternehmen. Einfach cool finden und nachmachen funktioniert nicht, wenn es nicht zur Unternehmensstruktur und -strategie passt. Trotzdem zeigt es, dass es sinnvoll sein kann, zu seinen Standpunkten zu stehen. Denn True Fruits will ja ganz bewusst nicht „everybody’s darling“ sein. Das Motto ist: Wer unsere Werbung nicht mag, ist eh nicht unser Wunschkunde. Und mindestens ebenso viele fühlen sich von dieser stringenten Haltung angesprochen. 

„Bei einem echten Shitstorm sind Überstunden angebracht“

Was könnten Unternehmen tun, um Shitstorms und Hate Speech bereits vorab gezielt aus dem Weg zu gehen?

Es lohnt sich, im Rahmen einer fundierten Analyse potenzielle Risikothemen und -bereiche zu identifizieren. Welche Kritik wird immer wieder geäußert? Welche negativen Assoziationen entstehen leicht? Und dann Pläne zu entwickeln, um diese Punkte abzumildern und im Ernstfall schnell und professionell darauf reagieren zu können. 

Viele Shitstorms entstehen auch aus groben Dummheiten heraus, zum Beispiel unverschämten oder unbedachten Äußerungen von Mitarbeitern. Hier hilft eine entsprechende Sensibilisierung und Schulung. Und manchmal entstehen Shitstorms auch völlig zu recht, weil im Unternehmen etwas fundamental schiefläuft. Da ist der Shitstorm dann als Chance zu begreifen. 

Wenn es eben doch einmal soweit kommt, dass einzelne Hater Kommentare posten – wie reagiert man richtig? 

Wegen einzelner Trolle sollte man sich erstmal nicht verrückt machen lassen. Je nach Situation und der generellen Kommunikationsstrategie können Ignorieren, sachlich Antworten oder in ähnlichem Tonfall Zurückschießen angemessene Reaktionen sein. 

Und was sollte in diesem Fall lieber gänzlich vermieden werden? 

Mit dem Löschen sollte man vorsichtig sein. Das wird als Zensur wahrgenommen und sorgt oft für weitere Eskalation. Hier sollten klare Maßstäbe gelten, z. B. Löschen bei Beleidigungen, Hetze etc. Aber eben nicht bei Kritik, auch nicht bei unsachlicher. Das muss man im Social Web aushalten können. 

Wie geht man als Unternehmen am besten mit gehäufter Kritik oder auch mit einem massiven Shitstorm um?

Eine komplette Kommunikationsstrategie würde hier den Rahmen sprengen. Aber: Bei einem echten Shitstorm sind Überstunden angebracht. Verunsicherte und verärgerte Kunden müssen beruhigt, Medienanfragen beantwortet, interne Anspruchsgruppen befriedigt werden. Idealerweise greifen jetzt die vorab erstellten Krisenpläne. Juristen, Kommunikationsexperten, Social-Media-Team und Support arbeiten zusammen, um der Lage schnell wieder Herr zu werden. 

In manchen Fällen besteht die einzige Lösung darin, die Social-Media-Seite (zumindest bei Facebook ist das problemlos möglich) vorrübergehend offline zu nehmen. Das ist zwar keine schöne, aber eine denkbare Lösung, wenn die Ressourcen nicht ausreichen und der Schaden sonst zu groß wäre. 

Haben Sie Beispiele dafür, wann aus Ihrer Sicht einmal besonders gut mit negativem Feedback umgegangen wurde? Warum wurde in der jeweiligen Situation richtig reagiert?

Manche Publikationen und Unternehmen (z. B. die „Welt“) reagieren auf Angriffe und unsachliche Kritik mit so ziemlich dem gleichen Ton. Das zeigt eine gewisse Wehrhaftigkeit, nimmt dem Troll den Wind aus den Segeln und trägt zudem noch zur Unterhaltung der friedlicheren Leser bei.

Der WWF sah sich vor einigen Jahren mal einem Shitstorm ausgesetzt, als ihm in einer TV-Dokumentation Greenwashing vorgeworfen wurde. Hier wurde aber vorbildlich reagiert. Schon vorab wurde von Seiten des WWF auf die Reportage aufmerksam gemacht (obwohl klar war, dass die Reportage kritisch ausfallen würde). So konnte nicht der Eindruck entstehen, man würde sich drücken oder hätte Angst vor der Konfrontation. Zum Zeitpunkt der Sendung wurden dann für Social Media geeignete Antworten auf allen Kanälen veröffentlicht, ein FAQ auf der Website publiziert und so viele Fragen und Kommentare wie möglich individuell beantwortet. Dieses proaktive, schnelle und dialogorientierte Vorgehen hat sich ausgezahlt. Der Shitstorm blieb verhältnismäßig klein und viele hatten nachher sogar eine bessere Meinung vom WWF als vorher. 

Anonymität im Netz als wesentlicher Bestandteil der Demokratie

Was halten Sie von Initiativen der Plattformen, wie jüngst etwa von Instagram, dass bei verletzenden Kommentaren vor der Veröffentlichung nachfragt: „Bist du sicher, dass du das posten möchstest?“ Welche Effekte könnten sich daraus für die Nutzung sozialer Medien ergeben? 

Ich kann mir schon vorstellen, dass solche Verzögerungen bei vielen Nutzern dazu führen, dass sie den Post noch einmal überdenken. Jeder kennt die Situation, dass man einen Kommentar schreibt und ihn dann aber vor dem Absenden doch wieder löscht. Manchmal ist es ja nur der Affekt, der einen zum Post verführt. 

Seitens des bayerischen Justizministeriums gibt es aktuell Bestrebungen, Autoren von Hasskommentaren einfacher zu identifizieren. Wie bewerten Sie das? 

Ich bin sehr skeptisch, wenn z. B. Klarnamen gefordert werden. Die Anonymität im Netz mag in manchen Situationen störend sein, ist aber ein wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Kultur. Wenn wir das aufgeben unter dem Deckmantel der besseren Strafverfolgung von Hate Speech, ist der Schritt zu noch mehr Überwachung und Zensur nicht weit. Das zeigt sich ja jetzt schon, wo manche Politiker gerne Zugriff auf verschlüsselte Chat-Kommunikation hätten. Wo das hinführt, sieht man in Ländern wie China. 

Ein gewisses Maß an Hetze und Hate Speech muss man wohl einfach aushalten, fürchte ich. Der Hebel liegt eher darin, daran zu arbeiten, dass unsere Gesellschaft besser funktioniert als darin, Freiheiten für jeden Bürger einzuschränken, um einige wenige belangen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Felix Beilharz

Felix Beilharz gilt als Experte für Online-Marketing und Social Media. Der Diplom-Wirtschaftsjurist und Autor ist Dozent an drei Universitäten bzw. Hochschulen und hält sowohl Gastvorlesungen als auch zahlreiche Vorträge rund um das Thema Digitales Marketing. Außerdem ist Beilharz ausgebildeter Coach und arbeitet als Social-Media-Trainer. In diesem Rahmen hat er bisher über 100 Beratungsprojekte durchgeführt.

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