Wie sich Händler selbst ins Aus schießen

„Loch ist Loch“ oder: Sexismus in der Werbung

Veröffentlicht: 06.08.2020 | Geschrieben von: Redaktion | Letzte Aktualisierung: 07.08.2020
Schoko-Doughnut, der aufgegessen wird
 Werbung Sexismus Screenshot DeutscherWerberat gehaemmert genagelt

Hier eine halbnackte Frau, da ein anzüglicher Spruch und schon ist die sexistische Werbung fertig. Und weil es so einfach ist, mit ein paar markigen Sprüchen, knappen Höschen und gängigen Klischees für Aufmerksamkeit zu sorgen, scheinen immer noch zahlreiche Unternehmen auf diesen Gaul zu setzen. Um sexistische Werbung zu finden, muss man daher auch gar nicht weit gehen. Es reicht ein Blick auf die Straße, auf Autos mit Werbebannern, auf Plakatwände oder auf Flyer, die man jeden Tag im Briefkasten findet. Fast überall springen einem leicht bekleidete Damen oder vermeintlich lustige Darstellungen von Vorurteilen in den Blick, mit deren Hilfe Produkte oder Dienstleistungen beworben werden sollen.

In der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Sexismus in der Werbung ist natürlich keine Erfindung der letzten paar Jahre. Doch erst im Zuge der US-amerikanischen Frauenbewegung in den 1960er Jahren etablierte sich – in Anlehnung zum Begriff Rassismus – überhaupt erst die Bezeichnung Sexismus, um Diskriminierungen aufgrund des biologischen Geschlechts benennen und somit thematisieren zu können. Heute, in Zeiten, in denen uns spätestens die MeToo-Bewegung die tagtägliche Diskriminierung sowie psychische und physische Gewalt gegen Frauen und Minderheiten vor Augen führt, werden immer mehr Menschen für das Thema sensibilisiert und wollen sich als Kunden nicht mehr mit Werbung voller Vorurteile und Klischeekisten berieseln lassen.

Mit dem kürzlichen Projekt der beiden Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sowie Autorin Sophie Passmann scheint ein Bewusstsein für das Thema Sexismus die Mitte der Gesellschaft erreicht zu haben: Sie nutzten gewonnene Sendezeit beim Fernsehsender ProSieben, um mithilfe der eindrücklich inszenierten Ausstellung „Männerwelten“ auf die Diskriminierung, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen – und zwar zur Primetime. Rund zwei Millionen Menschen sahen es an ihren TV-Bildschirmen, und satte 20 Millionen im Anschluss auf YouTube oder Instagram. Die Aktion blieb nicht ohne Kritik, machte aber viele darauf aufmerksam, wie akut das Problem auch in unserer scheinbar so aufgeklärten Zeit noch immer ist. Und das erscheint angesichts der Tatsache, dass sich moderner Sexismus in einer weiteren Gestalt zeigt, noch wichtiger. Denn oft werden heutzutage diskriminierende Handlungen aufgrund des Geschlechts oder sexistische Erfahrungen zunehmend ironisiert und geleugnet, wie es in einer Abhandlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema heißt.

(Bitte beachten: Das Video wurde auf YouTube als Inhalt eingestuft, der eventuell für einige Nutzer unangemessen ist.)

Was ist eigentlich Sexismus?

Recht allgemein bezeichnet der Duden Sexismus als „Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei“. Diese Vorstellung führt dann dazu, dass Menschen (und insbesondere Frauen) diskriminiert, unterdrückt, zurückgesetzt und benachteiligt werden. Und da die Vormachtstellung der Männer nach dieser Vorstellung häufig als vermeintlich naturgegeben angesehen wird, wird damit auch die Diskriminierung begründet und gerechtfertigt. Kurzum: Frauen und Minderheiten werden diskriminiert, weil sie Frauen und Minderheiten sind.

Sexismus ist zudem ein Thema, das die Gemüter spaltet. Und zwar bei allen Geschlechtern. Das Bild von der empörten Feministin, die sich über sexistische Werbung und toxische Männlichkeit echauffiert, ist ähnlich vorurteilsbehaftet wie das Bild von laut lachenden Männern, die sich bei anstößigen Witzen auf die Schenkel klopfen. Willkommen in der Realität! 

Wesentliche Merkmale, wie Sexismus im Alltag verstanden wird, erfasst eine Pilotstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Juli 2020. Demnach sehen Menschen unter dem Begriff Sexismus gemeinhin nicht etwas, womit sie sich identifizieren, sondern etwas, wovon sie sich distanzieren – „mit der Betonung, dass Sexismus moralisch zu verurteilen ist, kulturell eine niedrige Stufe sozialer Beziehungen darstellt und eigentlich in privaten und öffentlichen Räumen nichts zu suchen hat. Insofern erzielt das Wort spontan Abwehr und Missbilligung.“ 

Werbung Sexismus Screenshot Twitter Ulrikeinmainz

Allerdings gibt es auch die Auffassung, dass sich mit Sexismus Geld verdienen lasse und er als „eine bestimmte und dosierte, nonverbal mit Bildern arbeitende Form [...] der Verkaufsförderung“ diene. „Und hier seien auch Frauen aktiv Mitwirkende, wenn dieses ihren Interessen dient“, heißt es weiter. Aus sozialwissenschaftlichen Interviews ging hervor, dass sich ein Teil der Männer und Frauen die Welt langweilig vorstellt, wenn es keinen Seximus mehr gebe. Wird so Schönheit, Erotik und Spaß ein Riegel vorgeschoben?

Sexismus ist deshalb ein so schwieriges Thema, weil die Grenzen des Anzüglichen und Anstößigen, von Diskriminierung und Herabwürdigung, von jedem anders wahrgenommen werden. Während die einen noch lachen, sind andere bereits zutiefst getroffen und verstört. Wie auch in der Pilotstudie zu lesen, werden Handlungen unter anderem durch die Interpretation im Kopf der Betroffenen zu sexistischen Handlungen. Gerade die verschiedenen Auffassungen machen es schwer, zwischen Angemessenheit und Sexismus zu unterscheiden, etwa in der Werbung. 

Das sagt der Deutsche Werberat zu sexistischer Werbung

Wenn es darum geht, Sexismus in der Werbung zu identifizieren und anzumahnen, ist der Deutsche Werberat zuständig. Er ist die zentrale Selbstkontrollinstitution der Werbewirtschaft und greift ein, wenn problematische Marketing-Inhalte wie Nacktheit oder Diskriminierung zum Einsatz kommen. Um allen Beteiligten rund um Werbung eine Hilfe an die Hand zu geben, stellt der Deutsche Werberat eigens Verhaltensregeln zur Verfügung, die öffentlich eingesehen werden können. Darin heißt es: „Herabwürdigende, sexistische oder diskriminierende Werbung ist der häufigste Grund, warum sich die Bevölkerung mit ihrer Kritik an den Werberat wendet.“

Werbung Sexismus Screenshot Twitter Ankevoberg1

In dem gesamten 20-seitigen Leitfaden kommt das Wort „Sexismus“ lediglich zwei Mal vor. Das liegt daran, dass sich der Deutsche Werberat nicht auf den reinen Begriff festlegt, sondern den Fokus in seinen Richtlinien möglichst weit fasst, um dabei alle Arten von Diskriminierung auszuschließen. 

So heißt es weiter: „In der kommerziellen Werbung dürfen deshalb vor allem keine Aussagen oder Darstellungen verwendet werden, die Personen beispielsweise wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer politischen Anschauung, ihres Alters, einer Behinderung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe diskriminieren.“ Verboten sind außerdem Diskriminierungen aufgrund von Äußerlichkeiten oder der sexuellen Orientierung, Verharmlosung von Gewalt, die Gleichsetzung von Personen mit Objekten oder beispielsweise übertriebene Nacktheit.

So wird gegen sexistische Werbung vorgegangen

Seit 48 Jahren stellt sich der Deutsche Werberat der Verantwortung, „rechtlich einwandfreie, aber von der Branche selbst als unangemessen eingestufte Werbung zu verhindern oder nach dem Erscheinen zu korrigieren“. Wer also Werbung als anstößig empfindet, – seien es nun andere Unternehmen oder auch Endverbraucher – kann dies beim hiesigen Werberat im Rahmen einer Beschwerde melden. Die entsprechende Verfahrensordnung soll dabei sicherstellen, dass für alle Beteiligten (also Beschwerdeführer und werbetreibendes Unternehmen) ein einheitliches und faires Verfahren stattfindet. 

Wie genau ein solches Verfahren abläuft, hat der Deutsche Werberat in einer Grafik anschaulich zusammengefasst. Nach eigenen Aussagen kann ein Großteil der Fälle bereits innerhalb weniger Tage abgeschlossen werden: Die durchschnittliche Dauer eines solchen Verfahrens liege nämlich bei zehn Arbeitstagen. Und noch eine interessante Zahl: Die Erfolgsquote des Deutschen Werberats soll im Vier-Jahrzehnte-Schnitt bei ganzen 94 Prozent liegen. Heißt: Auf die meisten Beanstandungen reagieren die betroffenen Werbetreibenden direkt. „Lediglich in Ausnahmefällen muss das Gremium eine Öffentliche Rüge aussprechen, die über eine Pressemitteilung verbreitet und von den Medien aufgegriffen wird. Diese Maßnahme führt in den allermeisten Fällen dazu, dass das betroffene Unternehmen künftig auf gesellschaftlich akzeptierte Werbung setzt“, schreibt die Institution auf ihrer Website.

DeutscherWerberat Beschwerdeverfahren Screenshot

Auch andere Länder kämpfen gegen sexistisches Marketing

Der Kampf gegen Sexismus in der Werbung ist überdies kein deutsches Phänomen. In Großbritannien wurde beispielsweise erst vor einiger Zeit ein Gesetz verabschiedet, das Werbung verbietet, die mit stereotypen Geschlechterrollen arbeitet. Erst im vergangenen Sommer wurden in diesem Zuge erstmals zwei Spots verboten: einer vom Autohersteller VW und einer vom Frischkäse-Produzenten Philadelphia. Im VW-Spot waren beispielsweise Männer in tradierten Rollen zu sehen: Beim Campen in der Wildnis, als Hochleistungssportler – alles Szenerien, in denen sie als das starke, mächtige, unabhängige Geschlecht zu sehen sind. Dies alles steht umso eindrücklicher der Schlussszene entgegen, in der eine Frau auf einer Bank gezeigt wird, die einen Kinderwagen behütet. Ebenfalls eine typische klischeebehaftete, „schwache“ Rolle.

In der Philadelphia-Werbung wurden indes zwei Männer gezeigt, die vom Schnittchenessen so abgelenkt sind, dass sie ein Kind auf einem Teller-Fließband vergessen und dieses fast verloren geht. Als Begründung der Sperrung kommentierte die ASA, die nationale Werbebehörde Großbritanniens, dass der Spot auf dem Stereotyp beruhe, „dass Männer nicht so gut wie Frauen in der Lage sind, für Kinder zu sorgen, und implizierte, dass die Väter wegen ihres Geschlechts dabei versagten, sich um sie zu kümmern“, schrieb damals die Süddeutsche.

Ein Negativ-Preis für sexistische Werbung

Werbung Sexismus Screenshot DerZornigeKaktus

Neben dem Deutschen Werberat stemmt sich auch die Initiative Terres des Femmes gegen sexistische Werbung, allerdings in einer weniger kontrollierenden als vielmehr einer moralischen Funktion. Der Verein, der sich für die Rechte von Frauen einsetzt, vergibt jedes Jahr einen Negativ-Preis für anstößige, sexistische Werbung: den „Zornigen Kaktus“.

„‚Sex Sells‘ ist immer noch eine Werbestrategie, die vielen Unternehmen als attraktive Option erscheint. Oft wird dabei die Grenze zu Sexismus überschritten“, heißt es auf der Website. „Frauenfeindliche Werbung ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Missstands und trägt zur Fortführung von geschlechterbasierten Unterdrückungsstrukturen bei.“

Immer wieder rücken zum Beispiel Handwerksbetriebe wie Monteure, Schlüsseldienste oder Klempner etc. in den Fokus, die mit anzüglichen Sprüchen und halbnackten Frauen auf ihren Autos werben. Dass eine derart diskriminierende Werbung nicht nur abstoßend auf Kundinnen wirkt, sondern auch Frauen innerhalb des Handwerks abstößt und sich dementsprechend auch negativ auf den weiblichen Nachwuchs im Handwerk auswirken könnte, wird häufig wohl nicht bedacht.

 

Sexismus – ein reines „Frauenproblem“? 

Sexismus ist nicht nur auf die Diskriminierung von Frauen beschränkt. Auch Männer werden nicht selten durch Klischees und Vorurteile in vorgefertigte Schubladen gesteckt und herabgewürdigt, wenn sie eben nicht den stereotypen Bildern eines muskelbepackten Halbgottes entsprechen, die zum Teil immer wieder gepredigt werden. 

Werbung Sexismus Screenshot Twitter iwanitoo

Dass Sexismus gegen Männer oft nicht als solcher wahrgenommen wird, zeigt auch die Häufigkeit und Kontinuität, in der er im Werbebereich bei vermeintlichen Männer-Themen zu finden ist. Sei es nun bei Werbung für Bier (wie im Fall der österreichischen Brauerei Ottakringer) oder im Bereich des Bauens und Heimwerkens (wie im Fall der Baumarktkette Hornbach) – zu finden sind solche Klischeekisten leider immer wieder: Dabei wird Männern etwa ihre Männlichkeit abgesprochen, wenn sie Gefühle zeigen oder keine handwerklichen Meisterleistungen vollbringen können, um nur einige der typischen Rollendarstellungen zu nennen.

Doch gibt es der schon angeführten Rosa-Luxemburg-Stiftung zufolge Unterschiede in der Diskriminierungserfahrung der verschiedenen Geschlechter: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Macht ungleich auf die Geschlechter verteilt ist. Noch immer sind Frauen in Führungspositionen nicht genauso häufig vertreten wie Männer, noch immer sind nicht alle Gehälter (Stichwort Gender Pay Gap) und Strukturen angepasst. „Auch wenn Männer so wie Frauen Vorurteilen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind, die auch sie einschränken, sind Frauen in der Regel stärker von Sexismus betroffen, weil sie weniger (gesellschaftliche) Macht besitzen als Männer“, schreibt die Stiftung in einer umfassenden Publikation zum Sexismus. Und darüber hinaus sind noch häufiger Transfrauen und -männer sowie intersexuelle Menschen von Sexismus betroffen sowie vermehrt verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt, „weil wir sie nur schwer in unsere etablierte, zweigeschlechtliche Geschlechtervorstellung einordnen können.“

Beispiele über Beispiele: So geht Werbung nicht!

Die Suche nach sexistischer Werbung ist weder lang noch beschwerlich. Im Gegenteil: Ein Blick in die Gefilde von Twitter lässt die Vielfalt, Häufigkeit und Penetranz diskriminierender Marketing-Strategien schnell zutage treten. Hier zur Veranschaulichung einige Beispiele:

 Werbung Sexismus Screenshot Twitter euroweld svenseele ProseccoPrinz meertext

Tweets: links oben: @euroweld | rechts oben: @ProseccoPrinz | links unten: @svenseele | rechts unten: @meertext

Neben diesen sexistischen Darstellungen, die sich kleinere, weniger bekannte Unternehmen immer mal wieder leisten, gibt es allerdings auch Fälle, die aufgrund der Reichweite einer Werbung, der Bekanntheit des werbetreibenden Unternehmens oder etwa auch der Häufigkeit sexistischer Entgleisungen in der Vergangenheit eine größere Resonanz erfahren haben. Einige dieser Fälle sollen hier noch einmal aufgezeigt werden.

Lidl: „Loch ist Loch“

Ein Beispiel, das besonders großes Aufsehen erregt hat, war eine Kampagne des Discounters Lidl mit dem zugehörigen Spruch „Loch ist Loch“. Darunter die Abbildung eines Bagels und eines Doughnuts.

Diese Aussage ist derart frauenverachtend und wenig zweideutig, dass sich innerhalb kürzester Zeit zahlreiche User über die sozialen Netzwerke meldeten und ihre Abscheu und Fassungslosigkeit über die Werbung kundtaten. Sie warfen dem Unternehmen respektloses Verhalten vor und dass es Lidl mit einer solchen Kampagne unterstütze, wenn Frauen zu Objekten gemacht werden.

Werbung Sexismus Screenshot Twitter AlmutSchnerring

Lidl hat sich kurze Zeit später dazu entschlossen, den Facebook-Post zu löschen, „da es zu sehr kontroversen Diskussionen gekommen“ sei. Man würde künftig versuchen, „den Ton besser zu treffen“ – übrigens ebenfalls eine Formulierung, die bei den kritischen Nutzern nicht unbedingt gut ankam, da Lidl nicht den Eindruck hinterließ, die Tragweite des verbreiteten Sexismus erkannt zu haben.

Call a Pizza lernt’s einfach nicht

Was haben sich räkelnde, leicht bekleidete Frauen mit Pizza zu tun? Sie kommen nicht drauf? Wir auch nicht. Doch das scheint dem Pizzalieferanten Call a Pizza egal zu sein. Denn seit vielen Jahren greift das Unternehmen immer wieder auf halbnackte Frauen zurück, um für seine italienischen Teigfladen und andere Fast-Food-Lebensmittel zu werben. Auf der Website, in den sozialen Medien oder auf Flyern – die Damen werden schonungslos zum Einsatz gebracht, um Verkäufe anzukurbeln.

Werbung Sexismus Screenshots Facebook CallaPizza

Bildquellen: Call a Pizza bei Facebook (links oben | rechts oben | links unten | rechts unten)

Redcoon: So viel billig gab’s noch nie

Vielleicht mag sich der ein oder andere noch an den Elektronikanbieter Redcoon erinnern, dessen Sortiment 2018 vollständig in das Angebot des Schwesterunternehmens MediaMarkt integriert wurde. Die Werbung allerdings dürfte vielen noch im Gedächtnis geblieben sein. Denn Redcoon schnappte sich verschiedene Erotikmodels und warb mit dem Slogan „So viel billig gab’s noch nie“, der sich augenscheinlich sowohl auf die Preise des Anbieters als auch auf die engagierten Models beziehen sollte.

True Fruits: Wie Gewalt an Frauen verharmlost wird

(Triggerwarnung: Der folgende Abschnitt enthält Schilderungen von sexualisierten Gewalthandlungen, die belastend und retraumatisierend wirken können.) 

Der Smoothie-Hersteller True Fruits, der sich provokante Marketingmaßnahmen auf die Fahne geschrieben hat, ging in Bezug auf sexistische Werbung mit dem Slogan „Abgefüllt & mitgenommen“ für einen To-Go-Trinkaufsatz der eigenen Getränkeflaschen noch deutlich weiter. 

Der Spruch steht für eine typische Masche, in der meist Männer Frauen mit Alkohol oder K.O.-Tropfen in Drinks „gefügig“ machen und sie zu sexuellen Handlungen zwingen. Um für diese Deutung wohl alle Zweifel zu zerstreuen, kommentierte True-Fruits-Mitgründer und Marketing-Chef Nicolas Lecloux die Werbung sogar mit „this is how i like my hoes“. So verherrlicht True Fruits nicht nur die beschriebene Vorgehensweise, sondern verharmlost gleichzeitig sexualisierte Gewalt, was weiter dazu führt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Vergewaltigungen zunehmend toleriert, ja salonfähig sein sollen.

Auf die Kritik reagierte das Social Media Team damals auf Instagram mit einem Video, in dem Schauspieler Jamie Foxx „Fuck you“ in die Kamera sagt. Zudem erklärte das Unternehmen gegenüber Vice, man sei weder rassistisch noch sexistisch, fühlt sich aber offenbar Kritikern überlegen, denn, wie das Unternehmen weiter zitiert wird: „Wir senden ihnen ein kräftiges ‚Fuck you‘, denn Intelligenz lässt sich nun mal schwer versenden.“ Auf diese, aber auch weitere Aktionen der Firma folgten nicht nur Empörungen in sozialen Netzwerken. Die Autorin und Medienmacherin Charlotte Roche warb für einen Boykott der Produkte und so nahm etwa die Schweizer Migros-Tochter Globus die Marke aus dem Sortiment, wie bei Noizz zu lesen ist. Das Image, nicht nur provokant, sondern eindeutig diskriminierend zu sein, hat True Fruits inzwischen eindeutig weg. 

Sexismus im Kontext von Unterdrückung und Gewalt

Sexismus HumanRightsChannel Screenshot

Man darf nicht jedem Unternehmen, das einmal sexistische Werbung publiziert hat, auch tatsächlich gezielten Sexismus unterstellen. Nicht zwingend sind sich Unternehmen mit ihren anzüglichen Slogans oder Bildern im Klaren, dass sie damit Gefühle verletzen oder Menschen diskriminieren. Oft ist eine fehlende Sensibilisierung oder Awareness für das Thema der Grund für solche Fehltritte. Manchmal sitzt ein vermeintlicher Scherzbold an der richtigen (oder besser gesagt falschen) Stelle, um seinen kruden Humor verbreiten zu können. 

Umso wichtiger ist es für (werbetreibende) Firmen, die eigenen Mitarbeiter für dieses wichtige und sensible Thema zu schulen und auch auf alltägliche Äußerungen zu reagieren. Ein Kommentar wie „Habt euch doch mal nicht so, das ist doch lustig!“ zeugt vom nicht vorhandenen Verständnis für die Sache an sich. Es muss jedoch ganz deutlich vermittelt werden: Sexismus ist immer persönlich, denn es werden immer Menschen angegriffen. Und: Sexismus ist gefährlich. Ein einzelner abfälliger Witz gegen Frauen mag vielleicht dem einen lustig erscheinen. Aber dieser Witz kann bei der betroffenen Frau ein Gefühl der Wertlosigkeit erzeugen und in der Masse festigt Sexismus Strukturen, die zu Gewalt führen können. Der Human Rights Channel schreibt dazu: „Einzelne Vorfälle von Sexismus mögen harmlos erscheinen, aber sie erschaffen eine Atmosphäre der Einschüchterung, Angst und Unsicherheit. Dies führt zur Akzeptanz von Gewalt, meist gegen Frauen und Mädchen.“ 

Frauenfeindliche Werbung? Lieber vorher nochmal checken!

PinkStinks pressefoto

Sehr anschaulich stellt ein Kampagnenbild der Protest- und Bildungsorganisation gegen Sexismus und Homofeindlichkeit, Pinkstinks Germany e.V., dar, wo der schmale Grat zwischen sexy und sexistisch in der Werbung verläuft.  

Eine Hilfestellung für Unternehmen, um gar nicht erst sexistische Werbung zu produzieren, gibt der Menschenrechte für die Frau e. V. an die Hand. Er stellt beispielsweise eine öffentliche Checkliste zur Verfügung, mit deren Hilfe Werbung auf Frauenfeindlichkeit geprüft werden kann. Die Institution empfiehlt, Werbung auf folgende Sachverhalte zu untersuchen:

 

  • Frauen werden in der dargestellten Werbung (Bild oder Text) auf bestimmte Rollen reduziert (z. B. auf die Rolle der Hausfrau oder Verführerin).

  • Die Werbung (in Bild oder Text) beleidigt Frauen als gesamte Gruppe und stellt sie in abwertender Art und Weise dar.

  • Die Werbung bewirbt gesundheitsschädigende Schlankheitsnormen oder Schönheitsstandards, die Frauen beeinflussen können (z. B. Bewerben von Abnehm-Produkten mithilfe einer schlanken Frau).

  • Die Werbung stellt Frauen als Objekte ohne Persönlichkeit dar. Der Fokus liegt auf dem sexuellen Körper, der zur Verfügung steht und damit auch Käuflichkeit impliziert.

  • Die sexualisierte Darstellung der Frau oder auch die Reduzierung der Frau auf bestimmte Körperteile steht in keinerlei Zusammenhang mit dem beworbenen Produkt. Die Frau bzw. der Körper dient nur als Blickfang.

  • Frauen und Männer werden in einem von Abhängigkeit und Unterwürfigkeit geprägten Verhältnis dargestellt.

Ist einer dieser Punkte gegeben, sollten Unternehmen ihre Kampagne dringend überarbeiten. Ratsam ist es in der Praxis sowieso, ein Marketing-Projekt spätestens in der Endphase einer möglichst diversen Personengruppe zu zeigen – Menschen in verschiedenen Alters- und Geschlechtergruppen, mit verschiedenen sozialen oder kulturellen Backgrounds. Denn genau in dieser Prüfungsschleife können Diskriminierungen aller Art, die vorher vielleicht gar nicht bedacht wurden, aufgedeckt werden.

Voraussetzung hierfür ist in diesem Fall eine offene und wertschätzende Feedback-Atmosphäre, damit auch Stimmen, die sonst eher leise sind, hierzu tatsächlich gehört werden. Und da Diskriminierung und Sexismus immer auch dem Image schaden, dürfte es im Interesse jeder Firma selbst liegen, solche schädlichen Missgriffe zu vermeiden.

Autorinnen: Hanna Behn und Tina Plewinski

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