Interview mit Marcos Raiser do Ó von Stripe

„Der digitale Binnenmarkt hat unglaubliches Potenzial - aber von seiner kompletten Umsetzung sind wir noch weit entfernt“

Veröffentlicht: 25.02.2021 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 25.02.2021
Stripe

Seit Beginn der Corona-Pandemie kann sich Payment-Anbieter Stripe vor Neukunden kaum retten. Mehr Händler als sonst wag(t)en den Weg ins Online-Geschäft. Das treibt die Branche, zeigt aber auch, welche Probleme noch zu beheben sind. Der digitale Binnenmarkt in der EU ist noch längst nicht da, wo er sein müsste, sagt Marcos Raiser do Ó im OHN-Interview. Er ist Head of DACH and CEE (Central and Eastern European Countries) bei Stripe. Auch Betrüger wittern vermehrt ihre Chance. „Das ist sicher ein Trend, der sich fortsetzen wird – wo mehr Geld fließt, nehmen auch die Betrugsversuche zu“, so Raiser do Ó.

Stripe: Neuausrichtung auf Enterprise-Kunden

OHN: Seit März 2020, seit dem ersten Lockdown, hat Stripe allein in Europa über 200.000 Unternehmen angebunden. Das klingt nach einer ganzen Menge Arbeit. Wie stemmen Sie diesen Aufwand?

Marcos Raiser do Ó: Wir haben ein starkes und erfahrenes Team, das Wachstum schon gewohnt ist. Ein derart großer Zuwachs war aber natürlich nicht vorhersehbar. Zum Glück konnten wir im letzten Jahr viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazugewinnen, und wir stellen auch weiterhin verstärkt ein. Wir freuen uns immer über interessante Bewerbungen.

Interessanter als die reine Anzahl an Unternehmen, die auf Stripe setzen, ist aber vor allem eine Veränderung in unserem Kundenstamm, die wir beobachten: Die Zahl der Großunternehmen, die Stripe nutzen, hat stark zugenommen und sich in Europa in den letzten zwei Jahren verdreifacht. Die Betreuung von Hunderten solcher Enterprise-Kunden sieht natürlich anders aus als die von Millionen von kleinen Unternehmen. Darauf haben wir uns zuletzt stark konzentriert, und diese Neuausrichtung trägt Früchte. Dazu gehört unter anderem auch, dass wir stärker in den Ausbau unseres regionalen Partnernetzwerkes investieren.

Ist der große Run vorbei? 

Das glaube ich nicht. Die Pandemie hat die Verlagerung der Wirtschaft in den Online-Bereich zwar beschleunigt, aber diese Entwicklung ist ja noch immer alles andere als abgeschlossen. Noch immer werden nur etwa zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung online erbracht. Warum sollte dieser Prozentsatz nicht viel höher klettern? Warum nicht auf 50, 60 oder sogar 70 Prozent? Wir erwarten auch in den kommenden Jahren weiter starkes Wachstum.

Ganz neue Anforderungen in der Coronakrise

Was bedeutet die Coronakrise für Payment-Anbieter allgemein und für Stripe im Besonderen?

Die Vielfalt der Anforderungen im Bereich der Zahlungsabwicklung hat ganz klar zugenommen. Unternehmen, die ihr Geschäft bisher offline gemacht haben, haben andere Anforderungen als reine Online-Unternehmen. Da hilft es, dass unsere Produkte vielfältig sind und über die reine Zahlungsabwicklung hinausgehen – wir können zum Beispiel auch bei der Betrugserkennung und -prävention helfen und haben maßgeschneiderte Lösungen für Marktplätze und Plattformen oder zum Beispiel auch für die Abwicklung von Abodiensten im Angebot. Das macht Stripe relevant für viele Arten von Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen und deren spezifische Anforderungen.

Digitaler Binnenmarkt: Ein Flickenteppich

Eine Stripe-Studie verdeutlichte im vergangenen Sommer, dass ein digitaler Binnenmarkt in Europa vor allem am gesetzlichen Flickenteppich in den einzelnen Ländern scheitert. Das kritisieren auch Sie persönlich. Wie sehr erschwert das Ihre Arbeit in Europa?

Stimmt, die weitere Harmonisierung nationaler Vorschriften innerhalb der EU ist in der Tat ein wichtiger Schlüssel zum weiteren Wachstum der europäischen Digitalwirtschaft. In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass Digitalunternehmen ihre Umsätze nach eigener Einschätzung um beeindruckende 30 Prozent steigern könnten, wenn die Unterschiedlichkeit der Gesetze, Regulierungen und Steuersysteme in den einzelnen EU-Ländern es ihnen nicht zusätzlich schwer machen würde. Der digitale Binnenmarkt hat unglaubliches Potenzial - aber von seiner kompletten Umsetzung sind wir noch weit entfernt.

Neben der Politik kann aber auch die Technologie einen Beitrag zur Vereinfachung des grenzüberschreitenden Online-Handels in Europa leisten. Technische Lösungen für den Umgang mit nationalen Regulierungen und Steuervorschriften könnten Unternehmen die Einhaltung dieser Vorschriften stark erleichtern. Wir sind bereit, unseren Beitrag hierzu zu leisten, und arbeiten an neuen Produkten dazu.

Für Einzelhändler, die expandieren wollen, sind es nicht nur die gesetzlichen Regelungen. Eine von Ihnen in Auftrag gegebene Studie von Forrester Consulting zeigt, dass auch lokale Eigenheiten, unterschiedliche Zahlungsmethoden und nicht zuletzt Sprachbarrieren Probleme bei der Expansion bereiten. An welchen Hebeln können hier Anbieter wie Stripe ansetzen, um die Expansion zu unterstützen?

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit (57 Prozent) der europäischen Einzelhändler trotz Coronakrise in neue Länder expandieren möchte – das sind ja erst einmal sehr gute Nachrichten. Sprachliche Hürden stellen dabei in der Tat eine Hürde dar, und hinzu kommen unterschiedliche Zahlungsgewohnheiten, lokale Eigenheiten und regulatorische Hürden.

Alle diese Probleme können wir natürlich nicht lösen, aber mit einem Partner wie Stripe an der Seite wird der Markteintritt in andere Länder zumindest leichter und oft auch kostengünstiger. Händler können sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: ihre Kunden bestmöglich zu bedienen und zufriedenzustellen, egal wo sie sind.

Online-Trend wird sich nicht umkehren

Was erwarten Sie für 2021? Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Branche, aber auch auf das Bezahlverhalten der Kunden?

Klar ist, dass Konsumentinnen und Konsumenten mehr online einkaufen, und dieser Trend wird sich auch nach der Pandemie nicht wieder völlig umkehren. Immer mehr Einzelhändler werden auf online als Absatzkanal setzen, egal wie offline ihr Geschäft bisher geprägt gewesen sein mag. Partner wie Stripe können bei dieser Umstellung helfen.

Gleichzeitig berichten Händler in Deutschland von einer Zunahme der Betrugsversuche in den letzten zwölf Monaten. Das ist sicher ein Trend, der sich fortsetzen wird - wo mehr Geld fließt, nehmen auch die Betrugsversuche zu. Mit unserem Produkt Stripe Radar können wir auf der Grundlage maschinellen Lernens den Risikowert von Transaktionen unmittelbar bestimmen. Ganz unterschiedliche Informationen wie die IP-Adresse, die Verweildauer auf der Webseite oder die Bildschirmgröße werden dabei mitberücksichtigt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dieses Produkt im Jahr 2021 noch gefragter wird.

Ist das New Normal nicht nur ein vorübergehender Zustand? Was wird die Krise, die ja seit Monaten ein Dauerzustand ist, langfristig ändern?

Genau weiß es natürlich zu diesem Zeitpunkt niemand, aber generell glaube ich, dass sich vieles nicht mehr zurückentwickeln wird. Besonders gespannt bin ich auf die Veränderung im stationären Handel. Die Akzeptanz von Karten hat sich in den vergangenen zwölf Monaten stark erhöht; es wird spannend zu sehen, ob die deutschen Käuferinnen und Käufer wieder zu dem hierzulande klassischerweise hohen Anteil an Barzahlungen zurückkehren, wenn die Pandemie besiegt ist.

Online wird ein starker Absatzkanal bleiben, denn viele werden sich an den neuen Komfort gewöhnt haben. Gleichzeitig bringt der verstärkte Online-Handel auch ganz neue Herausforderungen mit sich, zum Beispiel die Möglichkeit, mit einem kleinen Teil ihres generierten Umsatzes Projekte zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu unterstützen. Gerade haben wir Climate weltweit gelauncht, es ist nun also auch für deutsche Händler verfügbar.

OHN: Vielen Dank für das Gespräch!


Marcos Raiser do Ó

Über Marcos Raiser do Ó, Head of DACH and CEE, Stripe:

Marcos Raiser do Ó leitet die Geschäfte von Stripe in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in der Region Zentral- und Osteuropa. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main folgten Anstellungen bei Sun Microsystems, IBM und Salesforce. Hiernach verantwortete er bei Microsoft das gesamte Geschäft mit Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern in Deutschland. Nach einer weiteren Station bei IPsoft wechselte Marcos Raiser do Ó im Februar 2020 zu Stripe.

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