Masse statt Klasse

Bundesgerichtshof zu Abmahnmissbrauch

Veröffentlicht: 03.01.2019 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 06.07.2022
Person hält einen großen Stabel Papier, während sie neben einem mit Akten vollgepackten Schreibtisch steht.

Wer bei einem Mitbewerber einen Rechtsverstoß entdeckt, hat diesem gegenüber einen Anspruch auf Unterlassung, da sich der Mitbewerber durch den Verstoß einen Wettbewerbsvorteil erschleichen könnte. Bevor das ganze vor Gericht endet, wird gegen den Mitbewerber eine Abmahnung ausgesprochen. Abmahnungen haben den Zweck, Rechtsstreitigkeiten schnell und kostengünstig zu lösen, ohne dabei den Justizapparat zu belasten. So jedenfalls die Theorie. In der Praxis beklagen Händler oft die Abmahnpraxis mancher Konkurrenten und Verbände. „Geldmacherei” lautet ein häufiger Vorwurf. Vom Missbrauch der Abmahnindustrie wird oft gesprochen.

Solcherlei Missbräuche sind im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt:

„Die Geltendmachung [...] ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.” (§ 8 Absatz 4 UWG)

In der Rechtsprechung werden seit Jahren Indizien entwickelt, an denen festgemacht wird, ob in einem konkreten Einzelfall ein solcher Missbrauch vorliegt. So hat sich der Bundesgerichtshof in einem kürzlich veröffentlichten Urteil bereits im April 2018 (I ZR 248/16) mit einem Fall auseinandergesetzt.

Missbrauch durch Masse: Über 200 Abmahnungen

Geklagt hatte eine Händlerin, die Briefkästen als Aktionsware an Handelsketten vertreibt. Gegner war eine Baumarktkette, welche die Kästen der Klägerin zuletzt in den Jahren 2004 oder 2005 vertrieben hat. Im Frühjahr 2015 verkaufte der Baumarkt Briefkästen eines bestimmten Herstellers. Auf den Verpackungen dieser Briefkästen waren die Aufschriften „Umweltfreundlich produziert”, sowie „Geprüfte Qualität” (als Siegel) zu finden.

Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Zunächst beantragte sie eine einstweilige Verfügung gegen den Hersteller. Das Landgericht Hagen gab diesem Antrag im Juli 2015 statt. Die zunächst eingelegte Berufung gegen die einstweilige Verfügung wurde vom Hersteller zurückgezogen.

Noch während das Berufungsverfahren im Gange war, sprach die Klägerin eine Abmahnung gegen die Zentrale der Baumarktkette aus. Um Kosten zu sparen, bat die Klägerin die Zentrale, die Abmahnungen an die Franchise-Nehmer weiterzuleiten. Damit sollte alles in einer Abmahnung abgehandelt werden.

Die Zentrale der Baumarktkette bat darum, die Frist in der Abmahnung zu verlängern. Es erscheine sinnvoll, zunächst den Ausgang des Verfahrens gegen den Briefkastenhersteller abzuwarten.

Offensichtlich sah die Klägerin das anders: Als Reaktion verschickte diese nämlich insgesamt 203 Abmahnungen an die Filialen der Baumarktkette. Für jede Abmahnung verlangte sie Kosten in Höhe von 984,60 Euro zuzüglich Auslagen in Höhe von 20 Euro.

Die Baumarktkette sah in dieser Massenabmahnung einen eindeutigen Missbrauch – und bekam nun vor dem Bundesgerichtshof Recht.

Rechtsmissbrauch wegen wirtschaftlich unsinniger Abmahnpraxis

Abmahnungen sind insbesondere dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich verselbstständigt haben. Von Verselbstständigen wird gesprochen, wenn die Abmahntätigkeit in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.

Durch die über 200 ausgesprochenen Abmahnungen sind der Händlerin Anwaltskosten im sechsstelligen Bereich entstanden. Im Jahr 2013 konnte die Händlerin allerdings gerade mal einen Umsatz von 6.000 Euro verzeichnen. Solcherlei Kosten zu verursachen, ist aus unternehmerischer Sicht mehr als unvernünftig und steht in keinerlei Verhältnis zu dem Schaden, den die Händlerin durch das wettbewerbswidrige Verhalten erlitten hat. Auch der Einwand der Klägerin, dass zur Deckung der Anwaltskosten ein Kredit aufgenommen werde könne, überzeugte die Richter nicht.

Der BGH stellte fest, dass die Klägerin kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse durch die Abmahnungen verfolgt hat und ihre Interessen daher sachfremd waren:

„Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohender Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat.”, so das Gericht.

Da die als irreführend beanstandete Aufschrift den Absatz der Klägerin nicht behindert, stehen hier keine nennenswerten wirtschaftlichen Interessen im Raum. Vor allem eine Tatsache lies die Richter hier an einem möglichen Schaden zweifeln: Die Briefkästen der Klägerin werden gar nicht mehr von der Baumarktkette vermarktet. Steht ein Kunde nun in dem Baumarkt, so kann er sich aufgrund der Aufschrift also gar nicht gegen die Briefkästen der Klägerin entscheiden.

Auswirkung der Verfügung gegen den Hersteller

Ein weiteres Indiz für den Missbrauch stellt die schon fast voreilige Versendung der Abmahnungen dar: Wirtschaftlich wäre es sinnvoll gewesen, zunächst den Ausgang des Berufungsverfahren gegen den Hersteller abzuwarten. Die einstweilige Verfügung hat nämlich die gleiche Folge: Die Kästen hätten nicht mehr mit der wettbewerbswidrigen Aufschrift verkauft werden dürfen.

Dafür, dass die Händlerin durch die wettbewerbswidrige Aufschrift keinen nennenswerten „Schaden” erlitten hat, war die die massenhafte Abmahnung jedenfalls deutlich überzogen.

Im Ergebnis hat die Händlerin den Rechtsstreit verloren.

Kommentare  

#1 Redaktion 2019-01-15 08:54
Hallo Herr Bär,

da haben Sie leider etwas falsch verstanden: Im Fall des BGH ging es nicht darum, dass Abmahnungen in Fällen, wo kein bzw. nur ein geringer Schaden entstanden ist, missbräuchlich sind, sondern darum, dass das konkrete Ausmaß der Abmahnungen rechtsmissbräuc hlich war. Hier wurde ein Unternehmen mit über 200 Abmahnungen überrollt. Das stand in keinem Verhältnis zu dem Wettbewerbsvers toß. Wäre die abmahnende Händlerin bei der ersten Abmahnung gegenüber der Hauptfiliale geblieben, so hätte es sich sehr wahrscheinlich um keinen Missbrauch gehandelt.

Der Händlerbund könnte aber unabhängig davon auch nicht so vorgehen, dass alles entstandenen Kosten eingeklagt werden. Solcherlei Sammelklagen sind in Deutschland nicht möglich. Die seit November existierende Musterklage ist derzeit nur für Verbraucher zugänglich und dient auch nicht dem Zweck, Geld einzuklagen.

Als Interessenvertr etung behalten wir das Thema Abmahnmissbrauc h natürlich im Auge und werden die Interessen der Händler im derzeit möglichen Rahmen bestmöglich vertreten.

Beste Grüße
die Redaktion
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