Bundesverfassungsgericht

Wie weit geht das Recht auf Vergessenwerden?

Veröffentlicht: 02.12.2019 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 02.12.2019
Ein Haufen Zeitungen

Das sogenannte Recht auf Vergessenwerden leitet es sich aus zwei Rechtsquellen ab: Zum einen wird das Recht auf Vergessenwerden in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hinein gelesen. Zum anderen ist in der Datenschutzgrundverordnung das Recht auf Löschung verankert. Beide Rechtsquellen führen zwangsläufig zu einer Abwägung: Es geht stets darum, ob das Interesse an der Löschung bestimmter Informationen des Einzelnen, das Informationsinteresse der Allgemeinheit übersteigt. Pauschale Aussagen, wann ein solches Übersteigen vorliegt, lassen sich kaum treffen. Daher sind Einzelfallentscheidungen als Gradmesser wichtig. Zwei solcher Einzelfallentscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht laut nun veröffentlichten Pressemitteilungen am 6. November gefällt.

Der Faktor Zeit: Über 30 Jahre alte Berichte über einen Mörder

In dem ersten Fall (Beschluss vom 6. November 2019, Aktenzeichen: 1 BvR 16/13, Recht auf Vergessen I) klagte ein Mann. Dieser wurde 1982 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und wurde 2002 frühzeitig aus der Haft entlassen.

Der Spiegel berichtete 1982 und 1983 umfangreich in drei gedruckten Ausgaben über den Mordfall. Seit 1999 finden sich die digitalisierten Berichte in dem frei zugänglichen Online-Archiv des Spiegels. Der Kläger störte sich speziell daran, dass beim googeln seines Namens die Berichte aus den 80er Jahren mit an erster Stelle erschienen. Er forderte den Spiegel zur Änderung auf. Nachdem der Bundesgerichtshof zuletzt den Anspruch auf Vergessenwerden abwehrte, blieb nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht. Dies entschied nun zu Gunsten des Klägers.

Die Richter mussten hier zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Presse- bzw. Meinungsfreiheit des Verlags abwägen. Entscheidend war hier der Faktor Zeit. So heißt es in der Pressemitteilung, dass „das berechtigte Interesse an einer identifizierbaren Berichterstattung mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Tat abnimmt.“ Das bedeutet freilich nicht, dass die Presse dazu verpflichtet werden kann, alte Berichte zu anonymisieren. Schließlich seien alte Berichte wichtige Quellen für journalistische und zeithistorische Recherchen. Durch das Verstreichen von Zeit werden Geschehnisse schließlich nicht ungeschehen gemacht. Allerdings kann sich ein Anspruch auf die Löschung aus Suchergebnissen ergeben. Schließlich habe jeder die Chance verdient, „Irrtümer und Fehler hinter sich zu lassen“.

Der Faktor Freiwilligkeit: Wer freiwillig vor die Kamera geht…

Anders stellte sich der zweite Fall (Beschluss vom 6. November 2019, Aktenzeichen, Aktenzeichen: 1 BvR 276/17, Recht auf Vergessen II) dar, in dem eine Frau Klage erhob. Am 21. Januar 2010 erschien in der Serie Panorama des Norddeutschen Rundfunkes ein Beitrag mit dem Titel „Kündigung: Die fiesen Tricks der Arbeitgeber“. Die Beschwerdeführerin gab im Rahmen dieses Berichtes ein Interview, in dem sie in ihrer Funktion als Geschäftsführerin über die Kündigung eines ehemaligen Mitarbeiters erzählte. Der Beitrag ist noch heute unter Nennung ihres Namens auf der Seite des Norddeutschen Rundfunks in Schriftform abrufbar und entsprechend auch bei Google unter Eingabe ihres Namens zu finden. Die Beschwerdeführerin fühlt sich dadurch geschmäht und klagte direkt gegen Google. Nachdem zuletzt das Oberlandesgericht ihre Klage abgewiesen hatte, entschied nun auch das Bundesverfassungsgericht zu ihren Ungunsten.

Anders als im ersten Fall, war hier aber nicht die verstrichene Zeit entscheidend. Viel mehr fiel der Beschwerdeführerin der Umstand auf die Füße, dass sie das Interview freiwillig gegeben hatte. Auch eine Schmähung konnten die Richter nicht sehen. Schließlich ging es in dem Bericht nicht um die Verunglimpfung der Beschwerdeführerin. Es wurde ein Sachbezug zwischen ihrer Person und dem Thema dargestellt.

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