Bundesverfassungsgericht

Keine Gerichtsentscheidung über den Kopf hinweg: Streit um Produktkennzeichnung

Veröffentlicht: 31.07.2020 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 03.08.2020
Bundesverfassungsgericht

Vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ging es kürzlich um eine Verfassungsbeschwerde im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang (Beschluss v. 27.7.2020, Az. 1 BvR 1379/20). Der Ausgangspunkt dafür war eine einstweilige Verfügung, die vom Landgericht München I gegen einen Unternehmer im Streit um eine Produktkennzeichnung erlassen worden war. Gegen diesen Unternehmer waren mit einer Abmahnung Unterlassungsansprüche geltend gemacht worden, eine entsprechende Unterlassungserklärung gab das Unternehmen aber nicht ab.

Der Abmahner beantragte dann die besagte einstweilige Verfügung. Dieser Antrag wich allerdings von den ursprünglich geltend gemachten Ansprüchen ab. In dem anschließenden gerichtlichen Verfahren und vor dem Erlass der Verfügung wurde das abgemahnte Unternehmen dabei nicht beteiligt, hatte also keine Gelegenheit, rechtliches Gehör für seine Ansicht zu erhalten. 

Wenngleich die Verfassungsbeschwerde vom BVerfG nicht angenommen wurde, äußerte sich das Gericht zur Situation und stellte klar, dass die Gegenseite hier durchaus hätte einbezogen werden müssen. 

Hintergrund zum Fall: Vorwurf der fehlerhaften Produktkennzeichnung 

Das zunächst abgemahnte Unternehmen bietet Dienstleistungen im Dentalbereich an. Kunden können sich ein Set nach Hause bestellen, um damit einen Abdruck und Fotos von ihrem Gebiss zu machen. Das Unternehmen stellt dann individuelle Schienen zur Zahnkorrektur her. Die Abmahnerin und zugleich Antragstellerin führte einen Testkauf durch und nahm das Unternehmen dann auf Unterlassung in Anspruch, unter anderem weil vorgeblich eine CE-Kennzeichnung fehle. Das abgemahnte Unternehmen gab keine Unterlassungserklärung ab, woraufhin die Abmahnerin den Erlass einer Unterlassungsverfügung bei Gericht beantragte.

Letzteres hatte Bedenken wegen der Fassung dieses Antrags und der Glaubhaftmachung der Ansprüche und teilte dies der Antragstellerin mit. Die ergänzte dann ihren Antrag und erwirkte schließlich die Verfügung. Das abgemahnte Unternehmen wurde vor Erlass dieser Verfügung nicht im gerichtlichen Verfahren beteiligt. Sein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde vom betreffenden Gericht zurückgewiesen. 

BVerfG: Grundsatz der Waffengleichheit gilt grundsätzlich auch im Wettbewerbsrecht

Das Bundesverfassungsgericht erkannte nun einen Verfahrensfehler, genauer einen Verstoß gegen den sog. Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit. Dieser umfasst das Recht auf Gehör: Heruntergebrochen bedeutet dies, dass eine Partei vom Gericht angehört werden muss, bevor dies eine Entscheidung trifft. Ganz im Sinne der Chancengleichheit. Hier hatte das abgemahnte Unternehmen zwar die Möglichkeit, sich mit dem Unterlassungsbegehren im Rahmen der Abmahnung auseinanderzusetzen und auch zu reagieren.

Der Verfügungsantrag war mit diesem dann allerdings nicht mehr identisch – es ging sozusagen nicht mehr um dasselbe wie noch bei der Unterlassungsaufforderung. Hier hätte dem abgemahnten Unternehmen nun die Gelegenheit gegeben werden müssen, auch zu dem Begehren im Verfügungsantrag angehört zu werden. Auch sei gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit verstoßen worden, in dem der Hinweis des Gerichts zu seinen Bedenken über den Antrag nur der Gegenseite erteilt wurde, das abgemahnte Unternehmen hiervon aber nicht in Kenntnis gesetzt worden war.

Beide hätten also in den gleichen Kenntnisstand versetzt werden müssen, bevor die Entscheidung erging. 

Verfassungsbeschwerde dennoch nicht angenommen

Angenommen wurde die Verfassungsbeschwerde allerdings trotzdem nicht. Die Verstöße würden kein hinreichend gewichtiges Feststellungsinteresse begründen. „Die Abweichungen zwischen dem außergerichtlich geltend gemachten Unterlassungsverlangen und dem ursprünglich gestellten Verfügungsantrag sowie der nachgebesserten Antragsfassung stellen sich als gering und nicht gravierend dar“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Überspitzt ausgedrückt kann also nicht jeder Verfahrensfehler im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Eine Grenze sei dort zu ziehen, wo mit dem Verfügungsantrag etwa ein neuer Streitgegenstand hätte eingeführt werden sollen. 

Auch fehlte es dem Gericht laut Pressemitteilung an der Darlegung eines schweren Nachteils. Zum Schutz des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren gibt es nämlich eine Ersatzpflicht für den Fall, dass es durch die Vollziehung zu Schäden kommt und die Verfügung von Anfang an ungerechtfertigt war. Dass ein nicht reparierbarer Schaden entstanden sei, wäre nicht ersichtlich. 

Waffengleichheit im wettbewerbsrechtlichen Prozess 

Zum Prinzip der prozessualen Waffengleichheit gibt es schon diverse Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Denn auch entsprechende Fälle gibt es immer wieder, besonders auch in anderen Rechtsgebieten. Manchmal muss eine Entscheidung schnell her, auch darum gibt es den Eilrechtsschutz. Je nach Gebiet ist es dann auch durchaus möglich, dass bestimmte Maßnahmen ohne Anhörung der Partei erfolgen können, wenngleich dies natürlich rechtlich begrenzt ist. Die europäische Richtlinie zum Schutz von Rechten am geistigen Eigentum lässt dies z. B. zu, wenn sonst durch die Verzögerung dem Inhaber der Rechte ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde.

Mit Blick auf das Lauterkeitsrecht (UWG) bestätigt das BVerfG aber, dass der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit auch in Fällen wie diesem berücksichtigt werden muss. In diesem konkreten Fall allerdings reichte das Feststellungsinteresse nicht aus, um die Verfassungsbeschwerde anzunehmen. 

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