Grundkurs Politik

Wie entsteht ein Gesetz für den Online-Handel?

Veröffentlicht: 08.05.2020 | Geschrieben von: Patrick Schwalger | Letzte Aktualisierung: 08.05.2020
Mann in Labyrinth

Gesetze bilden den Rahmen für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Handeln. So weit, so gut, überraschen sollte das niemanden. Schon gar nicht im deutschen Online-Handel, wo selbst auf kleinste Gesetzesverstoß nicht selten eine kostspielige Abmahnung folgt. Für alle, die sich fragen, wie diese Gesetze eigentlich entstehen, wer alles Mitspracherecht hat und wo auch Interessengruppen den Prozess beeinflussen können, gibt es im folgenden Text Aufklärung. 

Es gibt einen klassischen Weg für ein Gesetz, der im Grunde immer gleich ist. Hier und da kann es mal Variationen und Sonderfälle geben, aber um diese soll es hier nicht gehen. Wie entstehen also die Gesetze, die den Online-Handel reglementieren?

Am Anfang steht eine Idee 

Zu Beginn muss jemand den Gedanken fassen, dass es ein neues Gesetz braucht. Dieser Jemand ist entweder die Bundesregierung, der Bundestag oder die Bundesländer über den Bundesrat. Niemand anders hat auf Bundesebene in Deutschland Initiativrecht, anders als beispielsweise in Österreich oder der Schweiz, wo auch Volksbegehren einen Gesetzesprozess auslösen können. 

Die ausschlaggebende Idee kann viele Ursprünge haben. Manchmal gibt es eine Petition, die so erfolgreich ist, dass sie die verantwortlichen Politiker zum Handeln inspiriert, wie es im Fall des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs der Fall war, mit dem der Abmahnmissbrauch eingedämmt werden soll. 

Manchmal sind es auch konkrete Ereignisse oder mediale Berichterstattung, die ein Gesetzesvorhaben nach sich ziehen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Vorhaben, eine Obhutspflicht für Händler zu verstärken, die dafür sorgen soll, dass weniger Retouren vernichtet werden. Dieses Thema kam auf die Agenda und in einen Gesetzentwurf, nachdem heimlich gedrehte Filmaufnahmen auftauchten, die zeigen sollen, wie bei Amazon offenbar im großen Stil Retouren geschreddert werden. 

Es kommt auch vor, dass sich in Verhandlungen an den Gerichten zeigt, dass die vorhandene Rechtsprechung bestimmte Streitfragen nicht eindeutig klären kann. So gab es widersprüchliche Urteile dazu, wie und wann Influencer auf Instagram Werbung kennzeichnen mussten. Als Reaktion darauf wurde eine Änderung des Telemediengesetzes angestoßen, um die bestehende Rechtsunsicherheit aus der Welt zu schaffen. 

Es sei denn: Brussels Calling

Oder aber ein Gesetz kommt direkt aus Brüssel. Hier sind die Mechanismen, die zu Gesetzesinitiativen führe,n ähnlich wie in Deutschland. Wenn neue EU-Vorgaben gemacht werden, dann müssen diese auch in Berlin umgesetzt werden. Das kann in Form einer Richtlinie oder einer Verordnung geschehen. Richtlinie geben die Minimalziele vor, die in allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Die Staaten können aber selbst entscheiden, mit welchen Mitteln sie die Ziele erreichen wollen. Daher müssen sie selbst Gesetze erlassen. Beispiele aus der jüngeren Zeit sind zum Beispiel die PSD2-Richtlinie im Bereich Payment (Stichwort: Starke Kundenauthentifizierung), die Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (Stichwort: Upload-Filter), die EU-Verbraucherrechterichtlinie (EU-VRRL) oder EU-Abfallrahmenrichtlinie.

An der EU-Abfallrahmenrichtlinie lässt sich gut zeigen, welche Spielräume den EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien bleibt. Deutschland hat nämlich vor, die strengere Obhutspflicht für Retouren im Zuge der Umsetzung dieser Richtlinie einzuführen. Damit gehen sie über die Ziele der EU hinaus, die so eine Obhutspflicht in diesem Kontext gar nicht vorsieht. So können sich deutsche Gesetzesvorhaben mit der Einführung Regelungen aus Brüssel verzahnen. 

Kein Spielraum für die nationale Gesetzgebung: EU-Verordnungen

Dann gibt es noch europäische Verordnungen, wie die überaus prominente Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie polarisiert seit Jahren wie kaum eine andere Regelung. Gefeiert von Datenschützern, stellt sie Online-Händler oftmals für große Schwierigkeiten. Die Besonderheit von Verordnungen: Sie sind unmittelbar mit Veröffentlichung in allen EU-Staaten gültig und müssen 1:1 angewendet werden. Spielraum oder Umsetzung in nationales Gesetz gibt es nicht. 

Nationale Politiker tendieren teilweise zum Reflex, die Europäische Union als Sündenbock für alle ungeliebten Entwicklungen auszumachen. Dabei unterschlagen sie aber, dass sämtliche Richtlinien und Verordnungen von den Mitgliedstaaten explizit mitbeschlossen werden. Die Regierungen bestimmen also selbst mit, was aus Brüssel auf sie zukommt. Gerade Deutschland als besonders mächtiger Staat in der EU muss sich selten mit Gesetzen auseinandersetzen, die es fundamental ablehnt. Bestes Beispiel dafür, dass in der EU wenig gegen den Willen der Mitgliedstaaten geschieht, ist die E-Privacy-Verordnung, die auch für den Online-Handel weitere strenge Datenschutzregeln bringen würde. Eigentlich hätte sie 2018 schon in Kraft treten sollen, die nationalen Regierungen verhindern das aber seit nun seit Jahren. 

Zurück nach Deutschland: Der Referentenentwurf

Hat nun eine Idee gefruchtet oder es liegt eine umzusetzende EU-Richtlinie vor und es gibt Konsens in der Regierung darüber, dass ein neues Gesetz her muss, entsteht der Referentenentwurf. Das bedeutet, dass sich ein Ministerium dem Thema annimmt und einen ersten Vorschlag vorlegt. Den Online-Handel betreffen vor allem Entwürfe aus den Ressorts Wirtschaft (aktuell z. B.: die Novelle des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)), Recht und Verbraucherschutz (z. B.: Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs) und Umwelt (z. B.: Verpackungsgesetz). 

Liegt der Referentenentwurf vor, bekommen zunächst einmal Nicht-Politiker die Möglichkeit ihre Meinung dazu zu äußern. Der Referentenentwurf wird zur Konsultation gegeben, und damit an alle Interessensgruppen weitergeleitet, die von dem neuen Gesetz betroffen sind. Das sind meistens Branchenverbände, die daraufhin eine Stellungnahme abgeben können, in der Änderungsvorschläge am Gesetz gemacht werden. Auch Kammern, Gewerkschaften oder Einzelpersonen können Stellungnahmen abgeben, wenn sie vom jeweiligen Ministerium dazu aufgefordert werden.

Für Verbände sind Stellungnahmen ein wichtiges Instrument: Hier kann für die eigene Position Öffentlichkeit geschafft werden, laute Kritik geübt werden und konstruktive Vorschläge unterbreitet werden. Auch der Händlerbund vertritt mit diesem Instrument regelmäßig die Interessen kleiner und mittelständischer Online-Händler und veröffentlichte in der Vergangenheit beispielsweise Stellungnahmen zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, der Obhutspflicht für Retouren oder auch dem Gesetz für faire Verbraucherverträge. Wurden alle Stellungnahmen eingeholt geht es für das Gesetz weiter: Die Ressortabstimmung wartet. 

Jetzt müssen sich die Ministerien auf einen Regierungsentwurf einigen

Mit dem Referentenentwurf und den Stellungnahmen ausgestattet, müssen sich nun die Bundesministerien untereinander einig werden. Denn natürlich müssen sich alle Minister auf eine gemeinsame Linie verständigen, um ein Gesetz vorzuschlagen, hinter dem die gesamte Regierung steht. Schließlich berühren viele Gesetze nicht nur ein Ressort, sondern haben auch Auswirkungen auf ganz andere politische Themenfelder. Die Abstimmung geht mal schneller, mal dauert sie länger. 

Oftmals müssen Kompromisse gefunden werden, wenn sich Ministerien untereinander nicht einig sind. So gab es zum Beispiel bei der Umsetzung der EU-Abfallrahmenrichtlinie längere Diskussionen zwischen dem federführenden Bundesumweltministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium. Denn natürlich haben die Neuregelungen der Obhutspflicht für Händler in Bezug auf Retouren nicht nur Auswirkungen auf den Umweltschutz, sondern betreffen auch die Wirtschaft. Hat man sich dann auf einen gemeinsamen Text geeinigt, wird der Regierungsentwurf eines Gesetzes veröffentlicht und dann dem Bundesrat weitergeleitet, der dann eine Stellungnahme dazu abgeben kann. 

Exkurs: Gesetze auf Initiative von Bundestag und Bundesrat

Das eben Beschriebene trifft auf Gesetze zu, bei denen die Bundesregierung die Initiative ergriffen hat, was den größten Anteil aller Gesetze ausmacht. Wenn der Bundestag ein Gesetz initiiert und entwirft, dann muss es nicht dem Bundesrat vorgelegt werden, sondern wird direkt im Bundestag weiter bearbeitet. Regierungsparteien nutzen diesen Weg für Gesetzesvorhaben, die besonders dringend sind. 

Einigt sich der Mehrheit der Bundesratsmitglieder auf einen Gesetzentwurf, dann muss dieser Entwurf zuerst der Bundesregierung vorgelegt werden, die eine Stellungnahme abgeben muss, bevor der Entwurf in den Bundestag gelangt. 

Die Entscheidung wird im Bundestag getroffen

Der Prozess, bevor ein Gesetz im Bundestag landet, kann vom ersten Entwurf an schonmal ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen. Der Referentenentwurf für das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wurde beispielsweise bereits im September 2018 veröffentlicht. Im Bundestag wurde das Gesetz dann erstmals im Oktober 2019 in der ersten Lesung verhandelt. 

In dieser ersten Lesung werden die Ausschüsse bestimmt, die sich in der Folge federführend mit dem Gesetz befassen werden, um es für die zweite Lesung vorzubereiten. Im Fall des Gesetzes gegen den Abmahnmissbrauch ist der Rechtsausschuss verantwortlich. Dieses Gesetz war auch besonders umstritten: Alle Oppositionsfraktionen im Bundestag brachten eigene Anträge ein, um das Gesetz nach ihren Wünschen abzuändern. 

Auch deshalb berief der Rechtsausschuss eine Sachverständigenanhörung ein. Dies dient den Ausschüssen, externe Experten einzuladen und im Bundestag ihre Meinung zum Gesetzentwurf zu äußern. Im besten Fall kann das einen Gesetzentwurf wesentlich verbessern, weil Vertreter aus der Praxis die Chance haben, ihre Erwartungen und Bedürfnisse zu schildern. Oder aber die Meinungen sind so verschieden, dass ein Kompromiss schwer erarbeitet werden muss. 

Zweite und Dritte Lesung

Nur weil sich zum Beispiel die Bundesregierung auf einen Entwurf für ein neues Gesetz geeinigt hat, heißt das nicht, dass dieses Gesetz nur noch formal durch das Parlament gebracht werden muss. Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist hierfür erneut ein gutes Beispiel. Denn seit der ersten Lesung im Oktober 2019 und der anschließenden Sachverständigenanhörung ist das Gesetz wider Erwarten von der Bildfläche verschwunden. Wahrscheinlich war die Kritik zu stark und zu unterschiedlich, um den Entwurf schnell zu überarbeiten. 

Denn die Ausschüsse müssen ein Gesetz nach der ersten Lesung, wenn nötig, überarbeiten und anpassen, damit das Gesetz in einer zweiten Lesung verhandelt werden kann. Diese zweite Lesung dient vor allem den Oppositionsfraktionen dazu, laut und öffentlich ihre Kritik an einem Gesetz vorzubringen. Jedes Mitglied des Parlaments kann für die zweite Lesung einen Änderungsantrag stellen. 

Nachdem sich in der zweiten Lesung geeinigt wurde, ist es Zeit für die finale dritte Lesung. Häufig erfolgen beiden Abstimmung direkt hintereinander in einer Bundestagssitzung. Findet das Gesetz hier Zustimmung, sieht es gut dafür aus, und der Bundestag hat es abgesegnet. 

Die letzten Meter

Ganz zum Schluss des langen Gesetzesmarathon gibt es noch zwei finale Etappen. Zuerst ist erneut der Bundesrat gefragt. Betrifft das geplante Gesetz unmittelbar die Bundesländer, muss der Bundesrat zustimmen. Für andere Gesetze hat die Länderkammer nur die Möglichkeit, ein Vetorecht geltend zu machen. Dann müssen sich Bundestag und Bundesrat in einem Vermittlungsausschuss auf einen Kompromiss einigen. 

Nachdem das Gesetz aus dem Bundesrat hervorgeht, kommt es zur Bundeskanzlerin und den zuständigen Fachministern, die es gegenzeichnen müssen. 

Zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzentwurf schon einiges an Lebenszeit auf dem Buckel, es können Jahre vergehen. Dabei geht doch es erst dann richtig los. Ganz am Ende steht der Bundespräsident, der das fertige Gesetz unterschreibt und es damit in die Welt entlässt. Es erscheint dann im Bundesgesetzblatt. Und nach einem langen, komplizierten und oftmals steinigen Weg ist ein Entwurf geltendes Recht geworden.

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