Von blauen Walen und Clowns

Die Strafbarkeit von Internet-Challenges

Veröffentlicht: 18.03.2021 | Geschrieben von: Sandra May | Letzte Aktualisierung: 19.03.2021
Männer nehmen an Icebucket-Challenge teil

Im Internet gibt es Herausforderungen, sogenannte Challenges. Dabei geht es eigentlich immer darum, sich bei der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe zu filmen und das Ergebnis dann ins Netz zu stellen. 

Die Hintergründe dieser Challenges sind ganz unterschiedlich: Da gibt es zum Beispiel die Ice Bucket Challenge, bei der sich Personen einen Eimer eiskaltes Wasser selbst über den Kopf schütten, um so auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ASL) aufmerksam machen und Spendengelder für die Forschung zu sammeln. Aufgaben, bei denen die Teilnehmer beispielsweise einen Löffel Zimt essen sollen, sollten eher zur Belustigung dienen. Das gilt auch für sogenannte Pranks, zu deutsch: Streiche, bei denen andere Leute mit reingezogen werden. 

Neben solchen Aufgaben, gibt es auch welche, die zwar erst mal harmlos wirken, aber durchaus problematisch sind. Dazu zählt beispielsweise eine aktuelle Challenge auf Tiktok, bei der sich Nutzer als Auschwitz-Gefangene „verkleiden“ sollen. 

Im Groben lassen sich Internet-Challenges daher in drei Kategorien einteilen:

  • Eine Aufgabe, die sich gegen den Teilnehmer selbst richtet.
  • Eine Aufgabe, bei der jemand Drittes – meist ungewollt – Teil der Challenge wird.
  • Provokationen

Diese Challenges sind aus strafrechtlicher Sicht hoch interessant. Das gilt sowohl für die Aufgaben, bei denen Leute gezielt geschädigt werden sollen, als auch für weniger offensichtlich schädliche Verhaltensweisen. 

Triggerwarnung: In diesem Beitrag kommen auch die Themen Suzid, selbstverletzendes Verhalten, Mobbing, menschenverachtendes Verhalten und Gewaltverbrechen zur Sprache. Solltest du Probleme mit diesen Themen haben, so schließe dieses Fenster einfach. 

Jetzt schauen wir mal, wer sich am lustigsten selbst schädigen kann

Einen Löffel Zimt essen und sich dabei filmen. Was bei der Cinnamon Challenge zunächst harmlos klingt, kann schwerwiegende Konsequenzen haben. So wurde von einem Jugendlichen berichtet, der die Substanz ohne Flüssigkeit verschluckt hat und für fünf Tage ins Koma gefallen ist. Ein anderer Teilnehmer soll tatsächlich verstorben sein. 

Schuld ist die trockene, schon fast staubige Konsistenz des Würzmittels. Diese kann zu schweren Atemstörungen bis hin zum Ersticken führen. Hinzu kommt, dass in minderwertigen Produkten das giftige Cimarin enthalten sein kann.

Ärzte raten daher von der Teilnahme an dieser Challenge ab: Beim Versuch, das trockene Pulver zu verschlucken, atmet man es mit ein. Dies führt zum einen zu den „lustigen“ Videos, in denen die Teilnehmer hinter einer ausgehusteten Wolke Zimt verschwinden; kann aber auch zu Lungenentzündungen und schweren allergischen Reaktionen führen.

Die Teilnehmer der Challenge denken in diesem Moment sicherlich nicht daran, dass die Aktion im Krankenhaus enden kann. Allerdings werden diejenigen, die die Challenges initiieren auch nichts Böses im Sinne haben. Dies trifft vor allem auf solche Herausforderungen zu, die objektiv gesehen für die meisten Menschen eben keine schweren Folgen haben. 

Außerdem muss auch immer daran gedacht werden, dass die teilnehmenden Personen auch selbst über sich bestimmen. Zwar ist es durchaus riskant, wenn es plötzlich zum Trend wird, dass man Fotos auf Bahngleisen macht; dass das aber auch üble Konsequenzen haben kann, sollte eigentlich jedem bewusst sein. 

Blue Whale Challenge

Komplett anders sieht es bei der sogenannten Blue Whale Challenge aus: Erste Berichte der Challenge wurden 2016 aus Russland bekannt. Bei der Challange geht es um nichts anderes, als um 50 einzelne Aufgaben, die sich solange steigern, bis am Ende die letzte Challenge steht: der Suizid.

Entsprechend wurden (und werden möglicherweise noch) Teilnehmer in Foren gesucht, die sich mit dem Thema Suizid auseinander setzen. Der „Administrator“ gibt den Teilnehmern des Spiels an 50 Tagen jeden Tag eine neue Aufgabe. Diese fangen zunächst harmlos an. So besteht eine Aufgabe einfach nur darin, 4:20 Uhr aufzustehen und einen Horrorfilm zu schauen. Stück für Stück schwenken die Handlungen aber zum selbstverletztenden Verhalten um, bis eben die letzte Aufgabe den Suizid fordert.

Am Anfang war man sich noch unsicher, ob es sich bei der Blue Whale Challenge um einen Hoax, also eine Falschmeldung haltet. Tatsächlich wurde im Juni 2017 in Russland ein Mann namens Ilya Sidorov festgenommen, der behauptete, 32 junge Leute angeleitet zu haben.

In Deutschland wurde ebenfalls im Sommer 2017 über ein Mädchen berichtet, welches sich einen Wal in den Arm geritzt hat. Im Oktober 2017 erhängte sich in Bangladesch ein Mädchen, welches das Spiel gespielt haben soll. 

Gerade bei den Angehörigen wird das Verlangen groß sein, den Administrator zur Verantwortung zu ziehen. Aber: Geht das rechtlich überhaupt?

Anstiftung zum Suizid

Die Anstiftung zum Suizid ist ein Thema, mit dem sich bereits Jurastudenten in den verschiedensten Fallkonstellationen auseinander setzen müssen. Zu den verrücktesten gehört sicherlich der auf wahren Tatsachen beruhende Siriusfall. Kurz gefasst geht es dabei um einen Täter, der sehr manipulativ vorgeht. Ihm gelingt es sein Opfer so sehr zu lenken, dass es glaubt, in einem anderen Körper wieder aufzuwachen und ein neues Leben zu beginnen. Um diesen Wandlungsprozess zu vollführen, begibt sich das Opfer in eine lebensgefährliche Situation: Es steigt gemeinsam mit einem Föhn in die Wanne.

Dabei handelt es sich allerdings um einen eher exotischen Fall, der nicht viel mit der Blue Whale Challenge gemein hat. Während das Opfer im Siriusfall laut eigenen Angaben Suizid ablehnt und in der – wenn auch schwer nachzuvollziehenden – Vorstellung handelte, durch den Stromstoß im Körper einer Künstlerin am Genfersee aufzuwachen, wollen die Teilnehmer der Challenge ihr Leben beenden. Die Frage nach der Verantwortlichkeit des Administrators ist daher keine leichte. 

Da der Administrator selbst keine Hand an die Opfer legt, kommt eigentlich nur eine Anstiftung in Betracht. Grundsätzlich wird der Anstifter gleich dem Täter bestraft. Das setzt aber voraus, dass es eine Straftat gibt, die begangen wurde. In Deutschland ist der Selbstmord schon lang nicht mehr strafbar. Entsprechend wird es hier schwer jemanden strafrechtlich zu belangen. Jedenfalls gibt es keine allgemeingültige Antwort. Es ist auch nicht bekannt, wie Russland strafrechtlich mit Ilya Sidorov verfahren wurde, der behauptete, der Kopf hinter der Challenge zu sein. 

Bis in den Selbstmord

Ein anderer Fall aus Deutschland könnte Gradmesser für die strafrechtliche Betrachtung des Initiators einer solchen Challenge sein: Es geht um den Gießener „Heimu”; dies war zumindest eines der vielen Synonyme, mit denen er sich im Netz bewegte. Der Familienvater wurde im Jahr 2016 auf frischer Tat mit Hilfe eines Fernsehteams ertappt. 

„Heimu“ suchte im Netz gezielt Kontakt zu psychisch labilen Frauen. Dafür trieb er sich unter anderem auch in Foren für Menschen mit Depressionen um. Er hatte allerdings nicht vor, den Betroffenen zu helfen. Das genaue Gegenteil war der Fall: Durch Manipulation wollte er sie gezielt in den Selbstmord treiben.

Gefasst wurde er schließlich, als er sich mit einer labilen Frau traf, um diese „beim Suzid zu unterstützen“. Er hatte nichts anderes im Sinn, als eine Hinrichtung an ihr vorzunehmen. Das konnte allerdings noch verhindert werden. Vom Landgericht Gießen (Urt. vom 3. Januar 2017, Az. Ks 403 Js 16861/16) wurde „Heimu“ wegen Verabredung zum Mord zu sieben Jahren Freiheitsstrafe veruretilt.

Allerdings ist dies nicht das einzige Strafverfahren: Bevor „Heimu“ selbst den Tod einer Frau herbeiführen wollte, schaute er anderen Frauen via Webcam bei Suizidversuchen zu. Auch hier drängte er die labien Frauen bewusst in diese Situation, was in etwa dem nahe kommt, was auch bei der Bluewhale-Challenge geschicht. Allerdings kam es in diesen Fällen noch zu keinen abschließenden Urteilen, so dass eine endgültige strafrechtliche Bewertung kaum möglich ist.

Andere erschrecken: Horror-Clowns und Bubenstreiche 

Pranks sind im Grunde genommen älter als das Internet. Nur nannte man es früher versteckte Kamera und schaute es nicht selten in gemeinsamer Familienrunde beim Abendessen. Mit dem Internet hat sich das natürlicherweise verändert. Menschen können sehr einfach ein Video mit der Welt teilen, was lustig ist… oder zumindest sein soll. 

Bei Pranks überschreiten die Menschen nicht selten die Grenzen des guten Geschmacks und auch die des Gesetzes. Sei es, dass Teenager es irgendwie besonders amüsant finden, Aufnahmen von dem durch Mobbing gedemütigten Mitschüler auch noch ins Netz zu stellen oder auch Personen, die sich auf der Flucht vor Horrorclowns sogar verletzen. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist gewaltig; die Strafbarkeit des Verhaltens meist sehr eindeutig.

Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs

So stellt das Gesetz die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs unter Strafe. Klassischerweise ist der Straftatbestand dann erfüllt, wenn jemand eine andere Person in der persönliche Sphäre, also beispielsweise in den eigenen vier Wänden, gegen ihren Willen aufnimmt und dieses Material dann veröffentlicht. Wer also einer anderen Person in deren Wohnung einen Streich spielt, das aufnimmt und veröffentlicht, begeht eine Straftat. Nicht mit eingerechnet ist dabei natürlich der mögliche Hausfriedensbruch und Sachbeschädigungen.

Allerdings erfüllt auch derjenige den Tatbestand, wer „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt“. Es ist also auch strafbar, Videos von Mobbingattacken anzufertigen und zu veröffentlichen.

Im Übrigen ist in beiden Fällen bereits die Herstellung des Bildmaterials strafbar. Diese Taten werden mit bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. 

Vortäuschen einer Straftat

Besonders bei den Horrorclowns steht immer mal wieder die Frage im Raum, ob denn auch das Vortäuschen einer Straftat vorliegt. Zur Erinnerung: Bei den Horrorclown-Pranks geht es darum, dass sich Menschen in der Dunkelheit als Clowns verkleidet ahnungslosen Menschen nähern. Nicht selten tragen die Clowns dabei Kettensägen oder Vorschlaghammer, vermitteln also so gar keinen freundlichen Eindruck. Allerdings ist der Straftatbestand erst dann erfüllt, wenn jemand gegenüber einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle die Verwriklichung einer Srraftat vortäuscht. 

Ein Verfahren wegen dem Vortäuschen einer Straftat musste beispielsweise der YouTuber Leon Machère über sich ergehen lassen. Dieser täuschte Polizisten gegenüber vor, Graffitis zu sprühen; hielt in Wirklichkeit aber nur eine Flasche Kältespray in der Hand. 

Körperverletzung und Nötigung

Da bei den Horrorclowns eher selten bewusst gegenüber der Polizei eine Straftat vorgetäuscht wird, kommen allerdings Straftatbestände wie Nötigung oder Körperverletzung in Frage. Durch ihr Auftreten nötigen die Clowns ihre Opfer zur Flucht. Nicht selten wird dabei billigend in Kauf genommen, dass die erschrockenen, unfreiwilligen Protagonisten in Panik fliehen und sich dabei verletzen – ob sie nun stolpern, oder gegen Hindernisse laufen. Bei solchen Folgeverletzungen ist allerdings lediglich eine Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung üblich. Hintergrund der rechtlichen Einordnung ist das BGH-Urteil zur sogenannten Gubener Hetzjagd.

Die Gubener Hetzjagd

Der Fall machte 1999 Schlagzeilen. Eine Gruppe rechtsradikaler Jugendlicher verfolgten drei Asylbewerber. Der 28-jährige algerische Asylbewerber Farid Guendoul war so in Panik, dass er eine gläserne Haustür eintrat und bei der Flucht durch eben diese seine Beinarterie so verletzte, dass er noch im Hausflur verblutete. Für Entsetzen sorgte das Urteil, wonach die Täter lediglich wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt wurden. Hintergrund ist die rechtliche Beurteilung der sogenannten objektiven Zurechnung. Vereinfacht gesagt muss der Taterfolg der Handlung des Täters zurechenbar sein. Es reicht eben nicht aus, wenn der Taterfolg aus naturwissenschaftlicher Sicht kausal mit dem Verhalten des Täters zusammenhängt. Der Taterfolg muss dem Täter darüber hinaus als „sein Werk“ zurechenbar sein. Die Täter erschufen zwar ein gewisses Verletzungsrisiko, die konkrete Realisierung der Verletzung – hier der tragische Tod des Verfolgten – hängt zwar kausal mit der geschaffenen Paniksituation zusammen; ist den Tätern objektiv aber nicht zurechenbar. Zurechenbar wäre gewiss beispielsweise ein Sturz und damit verbundene Schürfverletzungen, Platzwunden und vielleicht sogar Knochenbrüche. Dass eine Person auf der Flucht durch eine Glastür rennt und sich dabei tödlich verletzt, ist sehr wahrscheinlich keine Folge, mit der die wenigsten Täter rechnen. Daher lautete die Verurteilung „nur“ auf Versuch. 

Fragwürdige Challenge: Wir spielen Auschwitz

Genauso unwitzig wie Horrorclowns, ist die Holocaust-Challenge, die im Jahr 2020 Schlagzeilen machte. Bei der Challenge ging es darum, dass sich junge Menschen auf Tiktok als Auschwitz-Gefangene verkleiden. Sie schminkten sich, zogen sich Häftlingskleidung an und hefteten sich den Judenstern an. In einige Videos gaben sie sich als Verstorbene aus, die aus dem Jenseits sagten, dass sie in den Gaskammern gestorben seien. Die Hintergründe dieser Challenge sind kaum bekannt. Der eine mag es als unbedachte Tat von Kindern abtun; andere sehen eine bewusste Provokation und Verharmlosung der menschenverachteten Taten des NS-Regimes. Strafrechtlich betrachtet ist die Sache auch alles andere als glasklar. Grundsätzlich wird die Verleugnung des Holocausts zwar bestraft; die Verharmlosung allerdings ist. Diese fällt nämlich unter die Meinungsfreiheit. 

Das hat 2018 auch noch einmal das Bundesverfassungsgericht festgestellt, als es sich in zwei Fällen mit der Verurteilung von Personen auseinandergesetzt hat, die sich zum Holocaust geäußert haben. In dem einen Fall ging es um die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck, die mit ihrer Verfassungsbeschwerde scheiterte. Das Leugnen der Verbrechen des NS-Regimes ist nun einmal keine freie Meinungsäußerung, sondern das Verbreiten unwahrer Tatsachen. Erfolg hatte aber ein Mann, der den Holocaust auf seiner Intenetseite und auf YouTube verharmloste. Hier stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine Verharmlosung nicht unbedingt strafbar ist. Vielmehr komme es darauf an, ob die Verharmlosung dazu geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu gefährden.

Fazit: Ein strafrechtlicher Blumenstrauß

Dieser Artikel stellt nur einen kleinen Einblick in die strafrechtliche Beurteilung von Internet-Challenges dar. Wie man sieht, können sich solche Challenges quer durch das Strafgesetzbuch ziehen und unterschiedlichste Tatbestände erfüllen. Das macht sie natürlich aus strafrechtlicher Sicht sehr spannend. Abschließend bleibt nur zu sagen, dass das Internet eben kein rechtsfreier Raum ist und man es sich definitiv zweimal überlegen sollte, ob man aus Gedankenlosigkeit irgendwelche vermeintlichen Blödeleien aus dem Internet mit macht. 

Interesse am Strafrecht?

Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.