Dr. Nils Ellenrieder im Interview

Preisabsprachen, Marktmacht & Co.: Änderungen im Kartellrecht für Online-Händler

Veröffentlicht: 26.01.2022 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 18.07.2022
Geschäftsleute schütteln Hände

Ein Hersteller will den Vertrieb seiner Produkte über das Internet verbieten oder gibt verbindliche Preise vor? Der Betreiber eines Marktplatzes verpflichtet seine Händler, auf anderen Verkaufskanälen keine niedrigeren Preise zu verwenden? Das sind Fälle, die sich erheblich auf den Wettbewerb auswirken können. Der freie Leistungswettbewerb aber wird geschützt – durch das Kartellrecht. Nachdem entsprechende Regelungen zuletzt in Deutschland auf den neuesten Stand gebracht wurden, stehen in diesem Jahr Anpassungen auf europäischer Ebene an. Im Fokus steht dabei besonders der Online-Vertrieb. Der frische Wind ist wichtig, um beispielsweise der gewachsenen Bedeutung von Handels- oder Vergleichsplattformen gerecht zu werden.

Wir sprachen über das Kartellrecht, dessen Entwicklungen und die Bedeutung für mittelständische Online-Händlerinnen und -Händler mit Dr. Nils Ellenrieder, Rechtsanwalt und Kartellrechtsspezialist aus Köln. 

Im Interview: Rechtsanwalt Dr. Nils Ellenrieder über anstehende Änderungen im Kartellrecht 

Kartellrecht – viele denken bei diesem Rechtsbereich zunächst an multinationale Konzerne und andere „große Fische“. Wie steht es um kleine und mittelständische Unternehmer, sind diese auch vom Kartellrecht betroffen?

Diesen Gedanken kann man angesichts der Rekordbußgelder mit nachfolgenden Schadensersatzklagen der letzten Jahre, die insbesondere gegen sehr große Unternehmen verhängt wurden, nachvollziehen. Mittelständische Unternehmen sind in den letzten Jahren auch von entsprechenden Verfahren der Behörden betroffen gewesen, verhältnismäßig hohe Bußgelder und Schadensersatzbegehren sind hier ebenfalls möglich. Die Aktivität mittelständischer Unternehmen bei dem Thema Kartellrechts-Compliance hat sich in der Folge auch deutlich erhöht. Dabei geht es nicht nur um „Preisabsprachen“ oder „Gebietsaufteilungen“, die verboten sind. Auch Praktiken, die nicht generell stets verboten sind und im Wirtschaftsleben grundsätzlich auch wünschenswert sind, wie etwa Informationsaustäusche mit Wettbewerbern, können bei Nichtbeachtung der Grenzen des zulässigen Austauschs durchaus sehr schnell zu einem schwerwiegenden Verstoß führen – mit entsprechenden Bußgeldrisiken.

Auch zum Zwecke der Wahrung und Geltendmachung der eigenen Rechte ist das Kartellrecht für den Mittelstand von großer Praxisrelevanz – Unternehmen können sich etwa mit Ansprüchen gegen Verstöße zur Wehr setzen. Das gilt für sog. wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen (auch Kartellverbot genannt), aber auch speziell für das sog. Missbrauchsverbot, wenn man mit Unternehmen interagiert, die über eine hohe Marktmacht verfügen. Die Kenntnis der kartellrechtlichen Grundregeln ist insofern auch für mittelständische Unternehmen von hoher Wichtigkeit.

„Aufgrund der hohen Risiken lohnt sich Compliance-Arbeit enorm“

Gibt es ein paar Beispiele dafür, wie sich das (europäische) Kartellrecht auf den Online-Handel, bzw. auf Online-Händlerinnen und Online-Händler auswirkt?

Auch für den Online-Handel gilt kartellrechtlich das sog. Selbständigkeitspostulat, das heißt, auch Onlinehändler müssen ihre Geschäftspolitik und Strategie unabhängig von ihren Wettbewerbern festlegen. Im Digitalbereich können denkbare Verstöße in etwas anderer Form als im stationären Handel auftreten, etwa aufgrund des abgestimmten Einsatzes von Algorithmen oder elektronischer Programme, die an die Stelle unmittelbarer Kommunikation treten. Aufgrund der hohen Risiken lohnt sich Compliance-Arbeit enorm. Kooperation im Digitalbereich und speziell auch im Mittelstand bieten sehr viel Innovationspotential, sodass hier grundsätzlich kartellrechtlich auch Gestaltungspotential gewährleistet werden sollte. Wichtig ist, dass man die kartellrechtliche Machbarkeit bei einer Zusammenarbeit mit Wettbewerbern vorab prüft. Im Verhältnis von Herstellern und Händlern oder auch zwischen Händlern und Plattformen (verschärft, wenn diese selbst Händler sind) bestehen vielfältige Konstellationen, die kartellrechtliche Fragen aufwerfen. So kann es etwa bei der Ausgestaltung des Onlinevertriebs durch Händler bei diversen Themen zur Diskussion um die Zulässigkeit von Einschränkungen kommen. Dies betrifft etwa die Thematik von Plattformverboten oder die Reglementierung der Nutzung von Preissuchmaschinen durch Hersteller gegenüber Händlern.

Es kann auch um weniger offensichtlich kartellrechtsrelevante Themen gehen, wie etwa das Verbot der Nutzung des Markennamens des Herstellers auf der Website des Händlers. Hersteller und Händler sind aber auch Wettbewerber, wenn der Hersteller auch im Direktvertrieb tätig ist. Dies führt kartellrechtlich zu weiteren Sensibilitäten, etwa bei den Grenzen des zulässigen Austauschs von Informationen zwischen Hersteller und Distributor. Neben dem Kartellverbot gibt es auch noch das besagte Missbrauchsverbot, was im Fall des Vorliegens marktbeherrschender Stellungen einschlägig ist und den Unternehmen in einer solchen Stellung besondere Verhaltenspflichten auferlegt und die Märkte offen halten soll.

Mächtige Internet-Plattformen im Fokus: Reformvorhaben Digital Markets Act

Der E-Commerce ist eine Branche, die sich rasant entwickelt und auch der Wettbewerbsdruck ist hoch. Ein gutes Beispiel ist die steigende Bedeutung von Marktplätzen. Wie sieht das im Kartellrecht aus? Hat man bislang Schritt gehalten?

Der deutsche Gesetzgeber und auch das Bundeskartellamt sind offensichtlich sehr bemüht, den digitalen Wandel durch gesetzgeberische und Priorisierung in der Rechtsdurchsetzung Rechnung zu tragen. Zuletzt hat man das im letzten Jahr bei der letzten Novelle des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sehen können, in der sich der Gesetzgeber gerade dem Digitalbereich gewidmet hat. Das gilt auch für die Europäische Kommission, die gerade insbesondere mit dem Digital Markets Act ein zentrales Reformvorhaben anstrebt. Bei dem Vorhaben der Kommission stehen im Mittelpunkt sog. Gatekeeper, also Internet-Plattformen, die besonders mächtig geworden sind und daher wettbewerbliche Verpflichtungen tragen sollen.  Es ist aber absolut richtig, dass die rasante Entwicklung eine große Herausforderung darstellt, damit die Kartellrechtsregeln den jeweils aktuellen Gegebenheiten gerecht werden.

Spätestens im Juni 2022 ändern sich einige Spielregeln im Kartellrecht. Welche Eckpunkte betrifft das?

Es ändert sich das gesamte maßgebliche sog. Vertriebskartellrecht, also die Regelungen, die für Hersteller und Händler im Kartellrecht gelten. Die sog. Gruppenfreistellungsverordnung nebst erklärender Leitlinien sind für alle Liefer-, Bezugs- und Distributionsverträge relevant. Das Grundkonzept bleibt zwar bestehen, aber es gibt sehr wichtige Änderungen mit Blick auf Plattformen, dualen Vertrieb, Alleinvertrieb, selektiven Vertrieb, Handelsvertreter mit Doppelprägung, Wettbewerbsverbote und auch zum Verbot der vertikalen Preisbindung. Zudem werden viele Einzelheiten zur Zulässigkeit von Regelungen im Onlinevertrieb neu justiert. Die Kenntnis ist wichtig, um Rechtsverstöße zu vermeiden und auch, um seine eigenen Rechte effektiv wahrnehmen zu können.

„Hier sind möglichst klare Regeln notwendig, damit man im Einzelfall Rechtssicherheit hat“

Würden Sie sagen, dass sich diese Entwicklungen positiv auf den Online-Handel auswirken? Gibt es Kritik?

Grundsätzlich ist die Reform absolut notwendig, da die Entwicklungen des Online-Handels nicht hinreichend in den aktuellen Regelungen widergespiegelt werden. Aber zweifellos gibt es in Einzelfragen auch viele Punkte, die man kritisch betrachten kann. Ein Beispiel ist sicherlich der aktuelle Vorschlag der Neuregelung der Freistellung im Bereich des dualen Vertriebs, das heißt auch des Informationsaustauschs zwischen Hersteller und Händlern, wenn es Konkurrenz im Vertrieb zum Endkunden gibt. Hier sind möglichst klare Regeln notwendig, damit man im Einzelfall Rechtssicherheit hat. Die vorgeschlagenen, zusätzlichen Marktanteilsbewertungen werden diesem Erfordernis nur schwer gerecht. Es gilt insgesamt die richtige Balance zu finden.

Müssen sich Online-Händlerinnen und Online-Händler vorbereiten? Oder erwachsen aus den Änderungen gar Optimierungsmöglichkeiten?

Die neuen Vorschriften werden spätestens ab Juni dieses Jahres gelten, insofern muss man sich definitiv mit den neuen Regeln kurzfristig vertraut machen, um Anpassungsnotwendigkeiten herauszuarbeiten. Für Altverträge gilt eine Übergangsfrist von einem Jahr, das ist auch ein sehr überschaubarer Zeitraum, sodass man sich mit dem Thema schon jetzt beschäftigen sollte. Die Neuregelungen enthalten definitiv auch Optimierungspotential für Onlinehändler für ihren Vertrieb, welches es im Einzelfall im Lichte des Geschäftsmodells und den laufenden Verträgen jetzt auszuloten gilt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Tipp: Weitere Informationen und Details erhalten Interessierte im Webinar „Elementare Änderungen der Kartellrechtsspielregeln im Onlinehandel 2022“ mit Dr. Nils Ellenrieder am 27.01.20211 um 16 Uhr. Mehr Informationen.

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