Interview mit Online-Händlerin

„Die Politik hat uns komplett alleine gelassen“

Veröffentlicht: 16.10.2020 | Geschrieben von: Corinna Flemming | Letzte Aktualisierung: 16.10.2020
Hand Menschen ertrinken im Meer

Sabine Müller (Name von der Redaktion geändert) betreibt seit zehn Jahren einen Online-Shop. In der Coronakrise erlebte sie einen massiven Umsatzeinbruch. Um das Geschäft trotzdem weiterhin am Laufen zu halten, hat sie die Soforthilfen der Bundesregierung in Anspruch genommen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sie die Krise erlebt und welche Erfahrungen sie mit den Coronahilfen des Staates gemacht hat.

OnlinehändlerNews: Was betreiben Sie für einen Shop und wie lange sind Sie schon im Online-Handel tätig? Wie groß ist Ihr Geschäft?

Ich betreibe seit zehn Jahren einen Echtlederwaren-Online-Handel bei Ebay und Amazon. Dazu habe ich eine eigene Homepage. Wir sind ein kleines Geschäft. Zusammen mit meinem Mann, der seit 20 Jahren Verkaufserfahrung hat, sind wir ein Zwei-Personen-Team.

Wie hat sich die Coronakrise auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Es war sehr dramatisch, wie bei vielen lieben Kollegen. Der Umsatz war auf einmal weg, Retouren türmten sich und die Politik hat uns kleine Händler, die doch zehntausende Euro Steuern zahlen, komplett alleine gelassen. Eine Existenzangst war und ist definitiv da. Von der Politik bin ich extrem enttäuscht.

Acht Wochen Wartezeit bis zur Auszahlung

Sie haben Soforthilfe beantragt. Können Sie den Prozess beschreiben? Was hat in Ihren Augen gut funktioniert und was weniger gut? Wie lange hat es gedauert, bis Sie das Geld erhalten haben?

Ja habe ich... und es war eine völlige Katastrophe! Es ist eine nie dagewesene Krise und wir sind alle Menschen, auch die Politiker, wir alle machen Fehler. Obwohl ich die Hilfen am ersten Tage beantragt habe, musste ich acht (!) Wochen bis zur Auszahlung warten. Ich habe mehrfach nachgefragt, gemailt, telefoniert... man hielt mich hin... ich hatte zeitweise kein Geld für Lebensmittel. Mein Geschäft lief stabil und von jetzt auf gleich war es ein reiner Überlebenskampf. Ohne die Hilfe meines Mannes (er arbeitete Vollzeit als Angestellter) hätte ich Insolvenz beantragen müssen!

Man hat meines Erachtens von Seiten der Politik riesige Fehler begangen, vor allem was die Kommunikation im Hinblick auf die Rückzahlung und das Führen von Belegen angeht. Noch immer ist nicht ganz klar, wer was zurückzahlen soll! Das ist in meinen Augen eine absolute Schande. Man hätte es vorher klar kommunizieren sollen, was genau mit dem Geld gemacht werden darf – bevor Millionen Kolleginnen und Kollegen das Geld beantragen. Stattdessen wurden Wochen später einfach die Regeln geändert. Ich fühle mich immer noch völlig alleine und komplett im Stich gelassen.

Gibt es Punkte, in denen die Politik die Händler hätte besser hätte unterstützen können? In NRW gab es lange Diskussionen darüber, ob Solo-Selbstständige Zuschüsse für den Lebensunterhalt erhalten dürfen. Wie haben Sie diese Diskussion erlebt? 

Wie gesagt, es war eine reine Katastrophe. Es ist doch eine Ausnahmesituation, da hilft man einander...alles andere finde ich unmenschlich. Man hat jahrelang gearbeitet, sich eine Existenz aufgebaut, zahlt viel Steuern. Ich bin gespannt, was alles bald kommt, wenn man dann die Gelder teilweise zurückfordert – die Leute, die noch nicht insolvent sind, haben das Geld (wie ich auch) ins Geschäft gesteckt, um zu überleben. Es ist ausgegeben worden.

Der Staat sollte eigentlich dankbar sein dafür, und jeden weiter unterstützen, der weiter kämpft.

Kritik an undurchsichtigem Rückzahlverfahren

Für was haben Sie die Soforthilfe verwendet? War der Betrag in Ihren Augen ausreichend?

Ich habe Rechnungen bedient, Mieten bezahlt, Retouren erstattet und vor allem fixe Kosten beglichen, die im Geschäftsbetrieb anfallen. Außerdem alles an betriebswirtschaftlichen Kosten, was nötig war, um zu überleben – alles in Absprache mit der Düsseldorfer IHK und meinem Steuerberater, um nichts falsch zu machen. Um ehrlich zu sein, hat der Betrag nicht gereicht, war aber dennoch eine große Hilfe. Ich finde es aber nicht gut, dass man es nun anteilig zurückfordern will. 

In NRW gab es ebenfalls große Unstimmigkeiten bei der Rückzahlung überschüssiger Soforthilfe, teilweise wurde das Rückzahlverfahren sogar gestoppt. Waren Sie von den Problemen betroffen und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Fanden Sie es von Beginn an übersichtlich und transparent, welches Geld am Ende zurückgezahlt werden musste?

Es war überhaupt nicht transparent, nichts erschien geplant und durchdacht, man hatte überhaupt keinen Plan, kein Konzept. Man hätte eine simple Excel-Tabelle im Antragsverfahren ergänzen können, in dem die Verwendung klar definiert wird. Dann hätte es weder so viel Betrug noch „zu viele“ Antragsteller gegeben.

Haben Sie nach Ablauf der Soforthilfen auch die Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen beantragt?

Nein, habe ich nicht. Warum auch?

Stand heute: Wie geht es Ihnen und Ihrem Geschäft?

Es hat sich etwas erholt, aber die Krise ist nach wie vor zu spüren. Man fühlt sich allein, hat Angst, fühlt sich im Stich gelassen. Aber wir werden weiter kämpfen, um eben nicht zum Jobcenter zu müssen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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