Seller-Aufkäufer Razor und Berlin Brands Group

So kämpfen Unternehmen um das Erfolgsgeschäft von Amazon-Händlern

Veröffentlicht: 12.05.2021 | Geschrieben von: Markus Gärtner | Letzte Aktualisierung: 12.05.2021
Business-Menschen

„Sie widmen sich mit Leidenschaft Ihrem Unternehmen. Sie haben es mit allem, was Sie haben, aufgebaut. Ihrer Zeit, Ihrem Schweiß, Ihrer Energie und Liebe. Wir teilen die gleiche Leidenschaft (...)“ – Mit diesen emotionalen Worten sucht die Berlin Brands Group (BBG) auf ihrer Webseite nach interessierten Amazon-Händlern, die ihr Geschäft verkaufen möchten. Das Unternehmen vereint dann mehrere solcher Händler bzw. Marken unter einem gemeinsamen Dach und steigert im Idealfall über verschiedene Vertriebskanäle die Umsätze um ein Vielfaches.

Das Geschäftsmodell dahinter stammt aus den USA, ist noch relativ jung, bringt aber – vor allem in Sachen Investitionen – schon große Zahlen hervor: So konnten laut Marketplace Pulse solche Seller-Aggregatoren in den vergangenen zwölf Monaten mindestens 3,5 Milliarden US-Dollar an Fremdkapital einsammeln – und das sind nur die offziellen Zahlen. Weltweit soll es aktuell bereits rund 50 Amazon-Händler-Aufkäufer geben. Vorreiter ist das US-Unternehmen Thrasio. Der Wert des US-StartUps wird mittlerweile bereits mit einer Milliarde US-Dollar beziffert.

Und auch in Deutschland haben sich längst Unternehmen wie die Razor Group oder die Berlin Brands Group (BBG) aufgestellt, um aus kleineren Händlern ein noch größeres Geschäft zu machen. Dabei ist die Berlin Brands Group bereits seit 2005 mit 14 eigenen Marken im E-Commerce unterwegs, seit Dezember 2020 kauft die Firma auch internationale E-Commerce-Marken bzw. Amazon-Händler, erklärt Andreas Hoschke. Die BBG mit rund 900 Mitarbeitern hat unter anderem Dependancen in Berlin, San Francisco, der Türkei, der Slowakei und Hongkong.

Razor startete erst im Sommer 2020, die Gründer kennen sich unter anderem über das Netzwerk von Rocket Internet – dem StartUp-Inkubator der berühmt-berüchtigten Gebrüder Samwer. Das Unternehmen hat derzeit 107 Angestellte in den vier Niederlassungen Berlin, London, Neu-Delhi und Austin (Texas, USA).

So funktioniert der Aufkauf von Amazon-Sellern bei Razor Group und Berlin Brands Group 

Razor Group

Seit dem Start hat Razor über 30 Marken in seine Holdingstruktur übernommen, davon sind etwa zehn Amazon-Händler aus Deutschland. Die BBG hat bislang 20 Marken gekauft und die meisten davon ebenfalls bereits integriert. Ein Team aus 30 Leuten kümmere sich dort speziell um die Übernahmen. Der jeweilige Ablauf der Übernahme eines Amazon-Sellers ist bei beiden Unternehmen ähnlich und dauert zwischen vier bis sechs Wochen: Zuerst schätzen die Aufkäufer den jeweilige Wert des Unternehmens bzw. der Marke, dann werden Rahmenbedingungen eines möglichen Vertrages festgelegt und die Geschäftsdaten geprüft, bevor der Kauf über die Bühne geht und die Marke in die jeweilige Plattform eingebunden wird. Das Besondere: Die ehemaligen Besitzer können, je nach Vertrag, danach noch am Ausbau ihrer Marke auf den verschiedenen Kanälen mitwirken, etwa bei der Erweiterung des Sortiments.

Die große Frage: Der Online-Handel hat in vielen Segmenten von der Corona-Pandemie stark profitiert – warum also sollte ein erfolgreicher Amazon-Händler gerade jetzt sein Erfolgsgeschäft loswerden wollen? „Viele erfolgreiche Amazon-Unternehmen wollen oder können nicht die zusätzliche Liquidität aufbringen, um über eine gewisse Grenze hinweg zu skalieren. Und das bedeutete ehemals, dass Händler mit verlangsamtem Wachstum rechnen mussten
und den Spaß an ihrem Business verloren“, vermutet Alex Sporenberg von Razor.

Das sieht auch die Berlin Brands Group so: Für den nächsten Entwicklungsschritt müsse man als Händler viel investieren. „Das Risiko wollen viele gar nicht auf sich nehmen. Inzwischen sehen viele Seller auch, dass sie ihre Marke, die sie mit hohem Einsatz aufgebaut haben, auch für gutes Geld verkaufen und etwas Neues starten können“, sagt Andreas Hoschke. Zu möglichen Kaufsummen wollten die Unternehmen sich nicht äußern.

Übernahmen von Amazon-Händlern: Die Stärke der Marke entscheidet

Berlin Brands Group

Wer sein Amazon-Geschäft abgeben möchte, muss bestimmte Bedingungen erfüllen – bei Razor ist vor allem die Stärke der Marke entscheidend. „Dabei ist insbesondere die Positionierung innerhalb der Kategorie und die Kundenzufriedenheit wichtig“, so Sporenberg. Das Unternehmen sollte außerdem einen Mindest-Jahresumsatz von 800.000 Euro haben. Auch ein starkes Wachstum sowie eine geringe Produktvielfalt und wenige Lieferanten sind gut für eine hohe Bewertung.

Auch bei BBG steht die Marke im Fokus: „Wir beurteilen die Marken nach dem Potenzial, das wir mit unserer Skalierungstechnologie in derzeit 28 Märkten heben können“, sagt Hoschke. Das Unternehmen sucht vor allem in den Bereichen Küchengeräte, Heimelektronik, Musikgeräte, Heimfitness, aber auch in der Kategorie Möbel und Innendesign. Dabei habe man bisher die Gründer der Marken, die man „unbedingt haben wollte“, auch überzeugen können. So hat BBG unter anderem den Sportartikelanbieter Boarderking, den Bade-Ausstatter Dombach und den Haushaltswarenhersteller Glaswerk übernommen. „In einigen Fällen wollten die Gründer es vorerst einmal allein weiter versuchen“, sagt Hoschke. Bei Razor seien rund 80 Prozent der Verhandlungen erfolgreich gewesen und hätten zu einem Aufkauf geführt. Die Gründe für ein Scheitern seien unterschiedlich und reichen von persönlichen Gründen bis zu rechtlichen oder steuerlichen Themen.

Darauf müssen Amazon-Händler beim Verkauf an Aggregatoren achten

Verkaufswillige Händler sollten sich gut auf die Verhandlungen vorbereiten und den Unternehmen vor allem Sicherheit und Vertrauen vermitteln, rät der E-Commerce-Experte Peter Höschl, der unter shopanbieter.de auch eine Verkaufsbörse für Online-Shops betreibt. „Die wichtigste Vorbereitung ist, dass der Händler seine Zahlen transparent und nachvollziehbar vorbereitet. Nur dann ist er für das Gespräch gut gewappnet und kann Gegenargumenten stichhaltig entgegen treten“, rät Höschl. Die verkaufenden Händler sollten alle Fragezeichen, die beim Interessenten entstehen könnten, vermeiden und sich gegebenenfalls beraten lassen. Auf Höschls Webseite können Amazon-Händler auch den Wert ihres Geschäfts schätzen lassen. 

Der Unternehmenswert der Seller-Aggregatoren dürfte derzeit auf jeden Fall steigen. Die Razor Group rechnet in den nächsten zwölf bis 15 Monaten mit einem Umsatz von rund 400 Millionen Euro. Razor will mit dem bisher eingesammelten Kapital unter anderem das Markenportfolio diversifizieren und in weitere Märkte expandieren.

Die BBG kam im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben auf einen Umsatz von rund 334 Millionen Euro, für das neue Aufkauf-Geschäftsmodell sei ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag eingeplant. Das Unternehmen konnte sich zuletzt eine Finanzierung eines europäisches Bankenkonsortiums (u.a. Unicredit, Deutsche Bank, Commerzbank) von 200 Millionen Euro sichern. „Das Ziel: Mit einem ‚Global house of digital brands‘ wollen wir weltweit eines der führenden E-Commerce-Unternehmen zu werden. Dafür sprechen wir derzeit auch mit Verkäufern in den USA und Asien“, sagt Andreas Hoschke. 

Die Zukunftschancen des Aufkauf-Modells

Peter Höschl

Dabei könnte es in dem heiß umkämpften Markt vor allem auf die beste Amazon-Expertise ankommen, analysiert Peter Höschl die Zukunftschancen des Aufkauf-Modells. „Bessere Voraussetzungen haben dabei die Unternehmen, die schon wissen, wie Amazon funktioniert, weil sie selbst auf Amazon erfolgreich waren oder sind. Daher kann ich mir mittelfristig eine Marktbereinigung unter den FBA-Aufkäufern vorstellen, bei der sich zeigt, dass Geld nicht immer Tore schießt. Am Ende werden jedoch einige Unternehmen übrigbleiben, die sich im Markt etablieren und ein einträgliches Geschäftsmodell generieren konnten.“ 

Gerade bei der geplanten Expansion der Unternehmen könnten jedoch auch andere Faktoren wichtig werden, denn Amazon ist trotz seiner Eroberung neuer Märkte ja nicht überall der wichtigste Marktplatz, wie auch Henrik Haenecke, Chief Financial Officer von BBG, in einer aktuellen Pressemitteilung anmerkt: „Der globale E-Commerce-Markt ist fragmentiert. Zum Beispiel hat Amazon in Europa einen Marktanteil von etwa zehn Prozent. In Ländern wie Frankreich oder Polen dominieren viele andere Plattformen die Landschaft. In den verschiedenen Ländern müssen sich die Marken jeweils unterschiedliche Online-Kanäle erschließen, um erfolgreich zu sein.“

Apropos andere Länder und Erfolg: Auf ihrer Webseite beschreibt die BBG auch blumig, wie das Händler-Leben nach dem erfolgreichen Verkauf aussehen könnte: „Das ist Ihr Geld, und niemand kann es Ihnen wieder wegnehmen. Es kann Ihre Rente sein und das Geld, mit dem Sie die Ausbildung Ihrer Kinder bezahlen. Oder Sie kaufen sich das Haus Ihrer Träume und machen den Urlaub, den Sie sich schon lange verdient haben. Das Geld gehört Ihnen.“

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