Händlerporträt

Bergzeit: „Wir wollen als Marke menschlich, authentisch und kompetent auftreten“

Veröffentlicht: 11.08.2021 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 10.08.2021
Bergzeit-Zentrale Otterfing

Ob Gipfel erklimmen, Wandern und Klettern oder gar Radfahren, Rennen und Yoga – die Möglichkeiten, sich in den Bergen eine sportliche Auszeit zu gönnen, sind vielseitig. Abgeschiedenheit, Natur und Ruhe gepaart mit körperlicher Herausforderung und schöner Aussicht sind ideal für Fitness, Abwehrkräfte und den Geist. Nicht verwunderlich, dass Bergsport sehr beliebt ist.

Derartiger Individualsport unter freiem Himmel hat aufgrund der Corona-Pandemie zusätzlich an Attraktivität gewonnen – und führte bei Marken und Händlern aus dem Bergsport-Segment im vergangenen Jahr zu Umsatzwachstum: Outdoor-Marke Vaude beispielsweise steigerte die Erlöse um 8,7 Prozent auf etwa 110 Millionen Euro, das Online-Portal Bergfreunde erzielte 155 Millionen Euro und Patagonias Umsatz lag bei knapp über einer Milliarde Dollar. 

Und ebenso lief es bei Online-Händler Bergzeit gut: „2020 war auch für uns ein besonderes Jahr und wir können knapp 50 Prozent Wachstum auf über 120 Mio. Euro Umsatz verzeichnen“, resümiert Geschäftsführer Martin Stolzenberger. Aber der Erfolg des Unternehmens lässt sich nur in Teilen durch die generelle, coronabedingt hohe Nachfrage im E-Commerce und speziell nach Bergsport-Produkten begründen – wie ein genauerer Blick auf Vergangenheit und Strategien des Händlers zeigt.

Die Bergzeit der Kunden steht im Mittelpunkt  

Bereits in den letzten Jahren ist die Bergzeit GmbH konstant um 20 bis 30 Prozent pro Jahr gewachsen. Der Shop hat über 1,5 Millionen Kunden aus 23 Ländern, verfügt über 40.000 Bergsport-Produkte von 500 Marken und verzeichnet monatlich rund 15 Millionen Seitenaufrufe. 

Dass das eigene Angebot offensichtlich so gut zu den Kundenbedürfnissen passt, dürfte maßgeblich am eigenen Markenverständnis liegen: „Wir wollen als Marke menschlich, authentisch, kompetent auftreten und Bergsport für unsere Kunden konkret erlebbar machen“, erklärt der Bergzeit-Chef im Gespräch mit OnlinehändlerNews. Es gehe darum, „ein Partner für unsere Kunden zu sein, wenn es um deren ,Bergzeit‘ geht.“

So überzeugt Bergzeit seine Kunden

Trotz zwei stationärer Filialen versteht sich Bergzeit vorrangig als Online-Händler, der eine Premium-Zielgruppe bedient – also Kunden, die potenziell bereit sind, hochwertige Produkte zu erwerben. Zusätzlich wird ein Spezialsortiment verkauft, weshalb es wichtig sei, „dass wir unsere Kunden innerhalb dieser Nische auf verschiedene Arten ansprechen müssen“. Authentizität und Nahbarkeit seien dabei essenzielle Werte, getreu der Leitlinie „Wir sind da, wo unsere Kunden sind“. Deshalb fokussiert sich der Händler auf drei Angebote: den Ausrüstungsservice über den Shop, Beratung über ein eigenes Magazin sowie passende Bergsport-Erlebnisse. „Der Dreiklang aus Shop, Magazin, Erlebnis ist ein Alleinstellungsmerkmal – damit heben wir uns von Mitbewerbern ab“, so Stolzenberger.

Ausrüstung für eine mehrtägige Bergwanderung / Bild: Bergzeit 

Etwa 1.800 Magazinbeiträge hat Bergzeit aktuell veröffentlicht – viele der Millionen Seitenaufrufe werden über Content wie Tourentipps, Testberichte, Pflegeanleitungen für Equipment oder Beiträge zum richtigen Biwakieren in der Natur oder korrektem Verhalten bei Bergtouren generiert. Die Redakteure sind erfahrene Bergsportler, die mit ihren Beiträgen beraten und gleichzeitig inspirieren. „Einerseits schaffen wir so einen weiteren Touch-Point mit unseren Kunden, andererseits verlinken wir zwischen Shop und Magazin für mehr Reichweite.“ Durch das Angebot an Outdoor- und Bergtouren wird die Bergzeit erlebbar und ein Berührungspunkt mit der Zielgruppe geschaffen. 

Von 10 Paketen und einem Dachboden zu moderner Logistik mit 25.000 Paketen pro Tag

Der Ursprung dieses erfolgreichen Zusammenspiels lässt sich auf die Anfänge des Unternehmens zurückführen: Gestartet ist bergzeit.de im Jahr 1999 als Tourenportal. Gegründet hat es der IT-affine und begeisterte Hobby-Bergsportler Klaus Lehner. Auf der Webseite veröffentlichte er zunächst Berichte über seine eigenen Bergtouren, dann gesellten sich schnell digitalisierte Karten und anschließend Ausrüstungsgegenstände hinzu – der Grundstein für den Online-Handel war gelegt. Das allererste Produkt sei im Übrigen ein Höhenmesser und Radcomputer namens HAC4 der Firma Ciclo gewesen.  

Als Lager musste fürs Erste ein Dachboden herhalten, bis es schließlich 2003 nach Großhartpenning verlagert wurde. „Im ersten Jahr des Online-Handels wurden rund 10 Pakete pro Woche versendet“, weiß Martin Stolzenberger über die Anfänge. Der Standort diente gleichzeitig als stationäre Filiale, in der auch ein erster Mitarbeiter beschäftigt wurde. Längst hat Bergzeit in diesem Punkt deutlich aufgeholt: Mittlerweile arbeiten rund 330 Beschäftigte für das Unternehmen, in den nächsten Monaten sollen sogar noch etwa 70 hinzukommen.

Und auch die Anzahl der verschickten Bestellungen hat Bergzeit inzwischen deutlich erhöht: Täglich verlassen bis zu 10.000 Sendungen das Lager. Die Logistik wurde 2017 ins Zentrallager in Otterfing umgesiedelt. An diesem Standort, südlich von München und nahe der Alpen, befindet sich seither auch der Unternehmenssitz. Das Lager hat etwa 8.000 Quadratmeter Nutzfläche und rund 56.000 Lagerplätze – und wird bereits zu klein. Deshalb gestaltet Bergzeit die eigene Logistik derzeit um und will im März 2022 bis zu 25.000 Pakete versenden.

Blick ins Lager in Otterfing / Bild: Bergzeit

Corona-Pandemie: „Ein unglaublich anstrengendes Jahr“ 

Am 1. Oktober 2015 zog sich Gründer Klaus Lehner als Geschäftsführer zurück, seit 2018 besteht die Leitung aus einer Doppelspitze: Derzeit führen Martin Stolzenberger und Markus Zabel das Unternehmen. Stolzenberger selbst ist seit 2010 im Unternehmen,war bis 2017 als Einkaufsleiter tätig und ist nun verantwortlich für Einkauf, Verkauf, Marketing und Web Operations. Zabel wiederum ist seit 2020 verantwortlich für Logistik, Customer Service, Administration, HR und IT. Und gerade in schwierigen Zeiten, wie es sie im letzten Jahr gab, galt es auch für die Bergzeitchefs, gute Führungsqualitäten zu beweisen. 

 Bergzeit-Geschäftsführer Martin Stolzenberger 

Geschäftlich lief es für Bergzeit aufgrund wachsender Nachfrage im vergangenen Jahr gut, aber einfach war das aber nicht: „Für uns persönlich war es ein unglaublich anstrengendes Jahr“, so Stolzenberger. Nachfrage und Bestellvolumen haben sich stark entwickelt, doch es sei eben ein ungeplantes Wachstum gewesen. Stemmen konnten sie dies in erster Linie dank der eigenen flexiblen Belegschaft, lobt Stolzenberger. „Während des Lockdowns wurden Kolleg*innen aus anderen Bereichen in der Logistik und im Customer Care eingesetzt. In den absoluten Peakzeiten wurde auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten darauf geachtet, dass wir nicht zu viele Aufträge erhalten, um die Logistikkapazitäten nicht zu überschreiten. Diese Flexibilität, diese Einstellung war eine super Teamleistung und hat den Zusammenhalt enorm gefördert.“ 

Auch sei die Zeit sehr lehrreich gewesen – denn wie so viele machte auch ein gestandener Online-Profi wie Bergzeit die Erfahrung, dass sich ein Unternehmen letztlich an stetig ändernde Bedingungen anpassen müsse. „Das ist einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, uns zu einem agileren Unternehmen zu entwickeln.“ Mithilfe externer Unterstützung lernt das Unternehmen, kürzere Planungszyklen zu realisieren und Entscheidungen bei den Spezialisten zu platzieren. „Wir arbeiten an Themen anstatt nur in Abteilungen und behandeln den Kundenmehrwert als Kernfokus. Wir sind als junges Unternehmen offen für Neues, arbeiten stets an unserer Unternehmenskultur und unserem Mindset.“

Nachhaltigkeit: Als Unternehmen haben wir Verantwortung und Vorbildfunktion

Bei so viel Naturverbundenheit wäre es mehr als verwunderlich, wenn nicht Umweltschutz und Nachhaltigkeit einen wichtigen Raum bei dem Online-Händler einnehmen. „Einerseits geht es uns darum, unseren Lebens- und Freizeitraum zu schützen. Andererseits möchten wir als wachsendes Unternehmen ein attraktiver, moderner Arbeitgeber sein und Verantwortung für nachfolgende Generationen übernehmen“, erklärt Bergzeit dazu. 

In der Praxis zeigt sich das an einer ganzen Reihe von Maßnahmen: Seit 2020 verfügt Bergzeit über das sogenannte EMAS-Zertifikat, ein von der Europäischen Union entwickeltes Gemeinschaftssystem aus Umweltmanagement und -betriebsprüfung. Das Sortiment wird stetig mit nachhaltigen Produkten erweitert. Dabei reagiert der Bergsport-Ausrüster auch auf den notwendigen Erklärungsbedarf, den es bei diesem Thema gibt – seit 2020 können Kunden Produkte nach den drei Kerneigenschaften wie Umweltverträglichkeit, faire Arbeitsbedingungen oder Tierwohl filtern. Hinter den Kategorien stecken z. B. Siegel oder Eigenschaften wie Bio-Baumwolle, Zertifikate wie Fair Wear Foundation oder Global Organic Textile Standard sowie Recycling-Informationen, die auf der Produktdetailseite dann noch konkreter erläutert werden. Die Anreise der Angestellten – einer der größten Emissionstreiber – ist ebenfalls im Blickpunkt. Bergzeit schafft aktuell Anreize für die Anreise mit dem Rad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Fahrgemeinschaften.

Auch Retourenvermeidung gehört klar in die Nachhaltigkeitsstrategie. Helfen sollen selbst entwickelte Online-Produktberater, das Magazin mit Testberichten und detaillierten Infos. Retournierte Ware wird zum Großteil wiederverkauft, Ware ggf. aufbereitet, wie der Geschäftsführer auch in einem YouTube-Video erklärt:  

Ein Punkt liegt dem Unternehmen in diesem Zusammenhang sehr am Herzen: „Wir gehen gegen die Vernichtung von intakter, retournierter Ausrüstung vor und bereiten Retouren- und Musterware auf, um sie über Sonderverkäufe einer zweiten Nutzung zuzuführen. Die Erlöse werden größtenteils gespendet.“ 

Ein selbstkritischer Verhaltenskodex

Die Corona-Pandemie führte auch dazu, dass zeitweise sehr viele Menschen in die Natur strömten – denn im Lockdown war dies oft die einzige Möglichkeit, etwas Urlaub und Erholung zu genießen. Hier findet sich der Bergsport-Ausrüster, Ratgeber und Anbieter von Erlebnissen nach eigener Aussage in einer Vorbildfunktion wieder. „Der Druck auf unsere Freizeit- und Naturräume steigt mit zunehmendem Drang in die Berge. Mit Blick auf diesen wachsenden Freizeitdruck in den Alpen haben wir einen vierseitigen Verhaltenskodex zu Bergaktivitäten erstellt.“ Geltung soll er für das Unternehmen und seine Beschäftigten, aber auch für externe Partner haben. Vorrangig geht es um besonders umweltkritische Aktivitäten, wie Wintertouren und Übernachtungen im Freien, sowie um naturverträgliche Tourenplanung, die Einhaltung von Schutz- und Schongebieten sowie eine möglichst umweltverträgliche Anreise. 

Dieses Ansinnen wird auch in Produkt- und Erklärvideos deutlich.

Titelbild zum Bergzeit-Verhaltenskodex für Naturräume / Bild: Bergzeit 

„Für uns als Online-Händler bedeutet das Anpassungen im Sortiment, da wir kritische Produkte aus dem Sortiment nehmen werden. Zudem passen wir unsere Sponsoring-Aktivitäten, Bildsprache, die Durchführung unserer Produkttests und Online-Kampagnen an die Leitlinien an“, so Martin Stolzenberger über die Konsequenzen dieses Kodex. 

Für die Zukunft gibt es Wachstumspläne: Bergzeit ist zwar international aufgestellt, agiert derzeit aber hauptsächlich in der DACH-Region. In den nächsten Jahren sollen gezielt auch andere Märkte angesprochen werden. Ob das Unternehmen diese mit seinen Kernthemen Authentizität und Nachhaltigkeit ebenfalls erobern kann, wird sich zeigen. 

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