Kommentar: Der Online-Handel tut den Innenstädten einen Gefallen

Veröffentlicht: 09.08.2017 | Geschrieben von: Julia Ptock | Letzte Aktualisierung: 09.08.2017

Als meine Großeltern noch in ihren 20ern waren, sahen Innenstädte anders aus, als ich sie zu meiner Teenager-Zeit kennen gelernt habe. Damals bestanden Innenstädte noch aus kleinen Läden. Die sogenannten Tante-Emma-Läden und andere kleine Läden wie Boutiquen beherrschten das Stadtbild. Und dann kamen die großen Ketten. Dann kamen die Shopping-Center, die außerhalb der Ballungsgebiete an Stadträndern errichtet wurden. Einkaufstempel nach US-amerikanischem Vorbild sogen die Leute aus den Innenstädten ab, kleine Läden und Fachhändler verschwanden immer mehr und machten großen Ketten Platz. Allein in meiner Wahlheimat Leipzig finden sich auf wenigen Metern mehrere H&Ms.

Leute sind shoppen vor Läden, Comic
© intararit – shutterstock.com

Kleine Läden bieten ein richtiges Einkaufserlebnis

Mit Aufkommen und stetiger Verbreitung des Online-Handels wird allerdings immer deutlicher, dass vor allem die Großen zu kämpfen haben. Damit meine ich nicht einmal die Ketten an sich – diese versuchen über Omnichannel-Strategien und eigene Web-Shops die Kunden zu halten. Doch Tatsache ist, dass immer mehr Menschen lieber von zuhause aus shoppen. Ein Riesenproblem für die oft weit außerhalb liegenden Shopping-Center. Dankwart Guratzsch schrieb erst vor Kurzem auf welt.de, dass die ersten Städte Mühe haben, überhaupt noch Investoren für ein Shopping-Center zu finden. Immer mehr Schaufenster in den Centern sind leer oder abgeklebt. Guratzsch verweist auf eine Studie des Forscherteams des Deutschen Seminars für Städtebau und Wirtschaft (DSSW) zum Thema „Langzeitwirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe“. Darin wird mehr als deutlich, dass die Marktstellung der Einkaufszentren bedroht ist und sie langsam aber sicher selbst Opfer der Konzentration im Einzelhandel werden.

Also doch der Untergang des stationären Einzelhandels? Mitnichten. Denn auch wenn die Shopping-Center und die großen Ketten wie H&M, C&A, Deichmann und sonstige unter dem Online-Handel „leiden“, scheinen kleine Tante-Emma-Läden eine Renaissance zu erleben. Warum? Nun, sie bieten das, was weder Online-Handel noch Shopping-Center haben: Ein richtiges Einkaufserlebnis und oft sehr kurze Wege. Was zu umständlich wäre, online zu bestellen, aber andererseits den Aufwand nicht lohnt, dafür eigens ein Einkaufs-Center anzufahren, kann Tante Emma um die Ecke anbieten – so resümiert Guratzsch in seinem Artikel. Und damit hat er Recht. Die kleinen Läden sind die perfekte Ergänzung zum Distanz-Handel. Sie bieten Nähe und Schnelligkeit.

Diversität und Differenzierung

Wenn sich der Trend zu kleinen Geschäften und Filialen weiter entwickelt, wird sich in der Zukunft das Bild der Stadt, so wie wir es heute kennen, wieder verändern. Zentralisierung in großen, außerhalb gelegenen Einkaufszentren wird abnehmen, große Marken werden zunehmend auf kleineren Flächen agieren oder zumindest auf mehrere Filialen direkt nebeneinander verzichten. Und das schafft wiederum Platz für weitere kleine Läden mit speziellen Angeboten und Sortimenten oder neue Shop-Typen. Damit würde wieder ein engmaschiges, kleinräumiges Strukturgeflecht entstehen, das die Innenstädte wieder aufwertet und als Lebens- sowie Aufenthaltsraum wieder attraktiver macht.

Dafür werden sich stationäre Geschäfte zukünftig stärker differenzieren (müssen): Showrooms als Image-Stores, Flagship-Stores, die die gesamte Produktpalette präsentieren, Multichannel-Stores, die sich auf Mega-Seller konzentrieren, klassische Ladengeschäfte, Abholstationen für online bestellte Ware. Der Wandel vom klassischen Point-of-Sale (reiner Abverkauf) hin zum Touchpoint (Vernetzung aller Verkaufskanäle) ist im vollen Gange und wird durch das langsame Sterben der großen Shopping-Centren weiter vorangetrieben. Dieser Trend, so Dipl.-Ing. Stefan Kreutz in seinem Paper „Handel in der Zukunftsstadt“, wird als „Unstoring“ bezeichnet. Das Geschäft von morgen entwickelt sich verstärkt zum Showroom, der weniger Ware exklusiv präsentiert. Und wenn dann auch die Fachgeschäfte wieder dazu kommen, verliert der Spruch „Es gibt von immer weniger immer mehr!“ endlich wieder an Bedeutung.

 

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