Kommentar

Die Doppelmoral von Jeff Bezos: Was macht die Macht mit dem Amazon-Chef?

Veröffentlicht: 05.12.2018 | Geschrieben von: Markus Gärtner | Letzte Aktualisierung: 11.12.2018
Jeff Bezos

Im Grunde ist jede neue Rekordmeldung von Amazon kaum noch ein Augenzucken wert – zu oft fliegen vielstellige Superlativ-Zahlen zu Klicks, Verkäufen, Marktanteilen und Co. an einem vorbei, dass man vom konstanten Aufstieg und dem immensen Wachstum des Unternehmens immer wieder neu fasziniert werden würde. Am Montag gab es wieder Mal die Möglichkeit, kurz innezuhalten und zu begreifen: Amazon war – wenn auch nur kurz – das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt, kurz vor Microsoft. Die Marktkapitalisierung von Jeff Bezos' Online-Unternehmen beträgt rund 865 Milliarden US-Dollar. 

Ein neuer Rekord, den der illustre Gründer gebrochen hat. Reichster Mensch der Welt war er ja eh schon seit Frühling dieses Jahres. Mit 150 Milliarden US-Dollar ist er reicher als Bill Gates, und einige Experten prognostizieren sogar, dass Bezos der allererste Billionär der Menschheitsgeschichte werden könnte. Bei all dieser Anhäufung von Macht auf verschiedenen Ebenen frage ich mich unweigerlich: Was macht das mit dem Menschen und Chef Jeff Bezos? 

So beeinflusst Macht die Persönlichkeit

„Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“, meinte der britische Historiker John Dalberg-Acton. Der britische Philosoph Bertrand Russell sah Macht als eine grundlegende Triebfeder des menschlichen Verhaltens an, jeder Mensch strebt also mehr oder weniger danach. Aus der Psychologie stammt eine Vielzahl von Versuchen und Theorien zu Macht und Persönlichkeit. Das wohl bekannteste Experiment, das auch mehrfach verfilmt wurde, stammt von 1971 aus dem US-amerikanischen Stanford-Gefängnis. Normale Versuchspersonen erhielten nach dem Zufallsprinzip jeweils eine Rolle als Wärter bzw. Gefangener. Das Ergebnis: Manche der Wärter misshandelten nach einiger Zeit die ihnen ausgelieferten Gefangenen. Der Versuch musste abgebrochen werden und ging als Paradebeispiel für den negativen Einfluss von Macht auf den Charakter in die Geschichte ein.

Natürlich ist das das drastischste Beispiel. Dennoch haben Psychologen viele bedenkliche Effekte auf die menschliche Persönlichkeit nachgewiesen: So kann es bei einem Machtzuwachs dazu kommen, dass eine Person durch ein solches Allmachtsgefühl weniger Empathie empfindet und etwa andere Menschen schärfer kritisiert. Außerdem kann es mit wachsendem Einfluss dazu kommen, dass der Machtinhaber egoistischer wird und sich mehr Freiheiten herausnimmt. Soziale Normen würden dann weniger beachtet, stattdessen würden die eigenen Bedürfnisse wichtiger. Außerdem sollen Führungspersonen offenbar verstärkt zur Doppelmoral neigen.

Die Doppelmoral von Jeff Bezos

Und damit wären wir wieder bei Jeff Bezos. Der Erfolg von Amazon ist natürlich nicht nur auf den sehr guten Geschäftssinn des Milliardärs gebaut, sondern unter anderem auch auf Steuervermeidungen, Lohn-Konflikte bei den Mitarbeitern und problematischen Umgang mit den Händlern. Letzteres führte diese Woche auch zu den Ermittlungen des Bundeskartellamtes. Ein Paradebeispiel für Doppelmoral, nach dem aber zugegebenermaßen auch andere Unternehmen verfahren, sind die jeweiligen Charity-Projekte, bei Amazon heißt es „Smile“. Amazon zahlte 100 Millionen US-Dollar für gute Zwecke. Aber nicht einfach so – natürlich bleibt auch etwas bei Amazon hängen, denn die Voraussetzung für die Spende ist ein Online-Einkauf bei Amazon, von dessen Teil der Online-Gigant dann 0,5 Prozent weitergibt. Besser als nichts, könnte man sagen.

Dass die Macht den Menschen verändert – darüber sind sich Psychologen in jedem Fall einig. Manche gehen auch davon aus, dass durch das neue Empfinden einfach nur bereits bestehende Persönlichkeitsmerkmale verstärkt werden. Wie dann der jeweilige Umgang mit Macht aussieht, hängt außerdem noch von weiteren situativen Faktoren ab. Macht kann also korrumpieren – muss aber nicht. Jeff Bezos äußerte sich kürzlich zum „Ende von Amazon“ und sagte, dass Amazon pleitegehen wird. Das könne man nur verhindern, in dem man sich „zwanghaft“ mit seinen Kunden beschäftige. „Wenn wir damit beginnen, uns mit uns selber, statt mit unseren Kunden zu befassen, wird das der Anfang vom Ende sein“, so Bezos. Zählt das als Empathie – oder ist es nicht eher ein weiteres Beispiel für Bezos' Geschäftssinn und Machtstreben?

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