Ama-Zone

Amazons Weihnachtskampagne: Rührselig, aber am Zeitgeist vorbei

Veröffentlicht: 23.11.2022 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 23.11.2022
Weihnachtliche Schneekugel

In der Reihe „Ama-Zone“ grübelt Tina Plewinski über die vielfältige Welt von Amazon: über Vor- und Nachteile des Online-Riesen, neue Entwicklungen, trendige Hypes, die unablässigen Machtbestrebungen des Konzerns und – im aktuellen Teil dieser Reihe – über weihnachtliche Werbung, die ein Gefühl für die aktuelle Situation vermissen lässt.

Sind Sie schon in ausgelassener Weihnachtsstimmung? Dem einen oder anderen dürfte das sicher schwerfallen, denn es gibt weiterhin drängende und belastende Faktoren, die unser Leben beeinflussen: eine hohe Inflation und horrende Energiekosten, einschneidende Sparmaßnahmen, das Kriegsgeschehen in Europa und eine Pandemie, deren Nachwirkungen weiterhin deutlich spürbar sind. Hinzu kommen die Dunkelheit und Kälte der Jahreszeit, die ihr Übriges tun, um die Laune zu drücken.

Es fehlt an Freude

Es mag eine romantisierte Wunschvorstellung sein, aber selten schien es mir so relevant, sich an den Kern der Weihnachtszeit zu erinnern und sich auf die schönen, wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu besinnen: menschliches Miteinander, Dankbarkeit, Wertschätzung – und nicht zu vergessen – Freude und Zuversicht. Denn all dies kommt in schwierigen Zeiten allzu schnell abhanden.

Wohl auch deshalb habe ich in diesem Jahr wieder gespannt auf das alljährliche Weihnachtsvideo von Amazon gewartet. Wohl wissend, dass der Konzern mit seiner Armada an Marketing-Spezialisten und dem nötigen Kleingeld genügend Ressourcen hat, um wieder einen fabelhaften Spot auf die Beine zu stellen. Dass das geht, hat Amazon mit seinen Spots aus der Vergangenheit, den singenden Paketen und dem hervorragend inszenierten Wir-Gefühl hinlänglich bewiesen. 

Herzschmerz und Sentimentalität

Allerdings hat mich der neue Spot diesmal enttäuscht. Ja, das zweieinhalb minütige Video bietet eigentlich alles, was eine gute weihnachtlich-sentimentale Geschichte braucht. Halten Sie die Taschentücher bereit! Es geht um ein kleines, traurig anmutendes Mädchen mit einer Schneekugel, die es nie freiwillig aus der Hand legt: nicht Zuhause, nicht beim Schlafen und auch nicht unterwegs. Ganz klar wird es nicht, doch es lässt sich erahnen, dass die Schneekugel eine Erinnerung an das zweite, möglicherweise verstorbene, Elternteil ist. Der Vater sieht dieser fast zwanghaften Fokussierung auf die Schneekugel hilflos zu – und schafft es mithilfe von Amazon schließlich, dem Kind eine Herzensfreude zu bereiten.

Storytelling sehr gut, Feingefühl für die Zeit eher mangelhaft

Amazon schafft es, in ruhigen, heimeligen Bildern und sehr nahbaren Szenerien schnell eine Bindung zum Dargestellten zu erzeugen. Die Atmosphäre, die leise und zurückhaltende Trauer des Kindes, die stille Verzweiflung des Vaters – all das wird gut herausgearbeitet und dürfte bei vielen Betrachtern Emotionen wie Mitgefühl oder Rührseligkeit hervorrufen. Sentimentales Storytelling in Reinstform!

Doch ist es das, was die Amazon-Kunden, die Menschen in der aktuellen Zeit brauchen? Ich glaube nicht. Die Rührseligkeit, mit der Amazon hier spielt, wäre vielleicht vor Pandemiebeginn ein gelungenes Thema gewesen. Für Zeiten, in denen sich viele Menschen nicht um Krieg sorgten und nicht unter Zukunftsängsten litten. Doch gerade jetzt passt diese Rührseligkeit einfach nicht. Gefühlsbetonter Kitsch wirkt fehl am Platz. Insbesondere, da suggeriert wird, dass sich mit dem Kauf von Produkten Herzschmerzen, Trennungen und Verluste überwinden lassen – während man ohnehin jeden Euro umdreht.

Ein schmaler Grat

Ich glaube, dass die Schaffung eines Wir-Gefühls, das Spenden von Zuversicht heute wichtiger wären. Auf Hoffnung zu bauen und Tatendrang zu stärken. Nicht, Weinerlichkeit zu fördern und die emotionale Last zu vergrößern und sei es nur durch eine mickrige Werbung.

Einige dürften sich vom Amazon-Spot durchaus angesprochen fühlen. Das sei ihnen gegönnt. Doch ließe es sich Amazon auch vorwerfen, dass es Heuchelei ist, rührselige Weihnachtsgeschichten zu erzählen, während der Konzern hinter den Kulissen jüngst Tausende Entlassungen vorgenommen hat. Ein extrem schmaler Grat also, auf dem sich Amazon hier bewegt.

Ich persönlich hoffe, dass Amazon das nächste Mal ein besseres Händchen für die aktuelle Lage beweist und im Rahmen der jüngsten Kampagne nur eine temporäre Schwäche gezeigt hat. Eine Art marketing-technischer Schnupfen vielleicht, von dem sich der Konzern schnell wieder kuriert. Es wäre wünschenswert.

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