Meinung

25-Prozent-Steuer: Darum liegt Precht falsch

Veröffentlicht: 16.10.2019 | Geschrieben von: Markus Gärtner | Letzte Aktualisierung: 16.10.2019
Frau hält Hand vor Kopf

Ich mag Richard David Precht und habe einige seiner Bücher gelesen. Dieses eigentlich sperrige und komplexe Gebiet Philosophie schafft er in knackige Worte und leicht verdauliche Erkenntnisse zu gießen. Und er äußert sich in seinen Werken und Auftritten zu so ziemlich allem, was der Zeitgeist hergibt: Der Philosophie an sich, Liebe, Bildung, Digitalisierung, Moral, Tiere etc. Aber diese beiden Aspekte – Oberflächlichkeit gepaart mit ausuferndem Sendungsbewusstsein – führen dazu, dass diese intellektuelle Allzweckwaffe jüngst ihr Ziel verfehlte: Seine Forderung, Online-Käufe mit 25 Prozent zu besteuern, ist Humbug.

Ohne Innovation bleibt eine Gesellschaft stehen

Nimmt man seine einzelnen Aussagen im Interview genauer unter die Lupe, kann man zu fast jedem Punkt eine Argumente-Gegenoffensive starten. Seine Hauptforderung einer (weiteren) Steuer auf Online-Einkäufe geht völlig an der Realität vorbei und zeigt ein rückwärtsgewandtes, fast schon technologiefeindliches Denken. Die alte Leier vom E-Commerce, der die Innenstädte kaputt macht, ist ein viel zu einfaches Klagelied. Innovationen und Weiterentwicklung sind außerdem ein natürlicher – und zwingender Bestandteil – der Menschheitsgeschichte. Mit der Sanktionierung oder gar Blockade fortschrittlicher Technologien verhaftet eine Gesellschaft im Status Quo.

Das Sterben der Innenstadt hat viele Ursachen

Natürlich muss man Randbedingungen und Gefahren eines Wandels kritisch und im Detail ins Auge fassen – genau das tut Precht aber nicht. Denn der Online-Handel ist sicher nicht die einzige Ursache für den Einheitsbrei und die fehlende Anziehungskraft der Innenstädte, wo man fast von einer H&M- oder Starbucks-Filiale zur nächsten spucken kann. Drastische Mieten in den Fußgängerzonen, unpassende Verkehrskonzepte für (auswärtige) Besucher, die Trägheit mancher stationärer Händler, die Konkurrenz der großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese etc. bilden ein kausales Geflecht für das Siechen der City.

Zusammenhalt in der vollgerammelten Fußgängerzone

Dass Precht daraus „ein fehlendes Gemeinschaftsgefühl“ ableitet, ist dann nur noch die Spitze der Gedankenpirouette. Gesellschaftlicher Zusammenhalt kann auch an anderen Orten entstehen als in der Innenstadt – in der Nachbarschaft, in Vereinen, im Fußballstadion... Und das bei rammelvollen verkaufsoffenen Sonntagen alle City-Shopper im Vollkontakt über die Präsenz ihrer Mitmenschen frohlocken, sei mal dahingestellt.

Alles nur Marketing?

Witzigerweise übt Precht im Interview – unbewusst oder nicht – sogar Selbstkritik an seinem Stand: „Die Ökonomen haben heute das gleiche Problem wie die Philosophen. Die meisten sind hochgradige Spezialisten, was fürs 'Welterklären' oft nicht weiterhilft“. Derartiges Understatement kann natürlich – wie auch die provokante Steuer-Forderung – einfach nur ein Marketing-Schachzug sein, denn Prechts nächstes Buch steht bevor. „Wer überall eine Marketingstrategie wittert, der lebt in einer traurigen Welt“, hat der Philosoph in einer lesenswerten FAZ-Analyse ähnliche Vorwürfe einfach abperlen lassen.

Vielleicht sollte Precht sich einfach an den berühmten Ausspruch seines antiken Kollegen, des römischen Gelehrten Anicius Manlius Severinus Boethius, halten: „Hättest Du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.“ Wie alle Bücher Prechts wird auch das nächste übrigens nicht nur im stationären Buchhandel, sondern auch bei Amazon und Co. erhältlich sein.

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