Interview mit Joost Brugmans, CEO Orderchamp

Großhandel: So sollen Händler einfacher an einzigartige Produkte gelangen

Veröffentlicht: 30.06.2021 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 01.07.2021
Digitalisierung im Großhandelslager Mann mit Smartphone

Bestellungen per Fax, Telefon und E-Mail? Was im eigenen Online-Geschäft gar nicht mehr denkbar ist, ist für viele Händler aber bei der Beschaffung von Waren durchaus Realität. 

Allerdings dürfte es vor allem kleineren Online- und Einzelhändlern schwer fallen, auf diese Weise weiterhin Online-Giganten wie Amazon oder großen Handelsketten die Stirn zu bieten, glaubt Joost Brugmans – und witterte Veränderung und Potenzial. Vor etwa zwei Jahren begründete er die digitale Großhandelsplattform Orderchamp mit. Es gibt sie bereits für den niederländischen, den französischen, belgischen und luxemburgischen Markt – und seit März auch für deutsche Händler. Was genau die Plattform Händlern bietet und warum Brugmans es wichtig findet, den B2B-Sektor noch stärker zu digitalisieren, verrät der CEO und Co-Gründer im Interview. 

„Das Beschaffungsmodell des Großhandels war ineffizient und veraltet“

OnlinehändlerNews: Orderchamp ist im März in Deutschland gestartet mit dem Ziel, „den Großhandel zu digitalisieren“, ist aber auch in weiteren Ländern verfügbar. Wie wird die Plattform bisher genutzt?

Joost Brugmans: Vor zwei Jahren haben wir Orderchamp mit der Überzeugung gegründet, dass das Beschaffungsmodell des Großhandels ineffizient und veraltet ist. Für Marken ist es schwierig, die richtigen Vertriebskanäle zu finden, und für Einzelhändler, einzigartige Produkte zu entdecken, um lokale Gemeinschaften zu stärken. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Großhandel neu zu gestalten, indem wir unabhängige Einzelhändler und Marken auf einem digitalen Marktplatz zusammenbringen, um einzigartige Produkte für jedes Geschäft anzubieten.

Zu diesem Zeitpunkt nutzen tausende von Einzelhändlern täglich die Orderchamp-Plattform, um bei mehr als 2.000 europäischen Marken einzukaufen. Die Marken wiederum erhalten Zugang zu über 40.000 Händlern aus ganz Europa. Jede Woche fügen wir Hunderte neuer Marken hinzu. Fast 5.000 Einzelhändler haben sich im Mai der Plattform angeschlossen, allein in Deutschland haben wir bereits ebenfalls über 5.000 Einzelhändler und fast 400 Marken akquiriert – diese Zahlen wachsen seit unserem deutschen Markteintritt vor Kurzem rapide.

Kleine Unternehmen sollen mit E-Commerce-Giganten konkurrieren können

Joost Brugmans, CEO Orderchamp

Wie genau soll die Plattform Händlern die Arbeit erleichtern? Wie kommen Händler und Marken zusammen?

Wir vertrauen auf Kuration, Technologie, Daten und maschinelles Lernen, um eine Community von fast 45.000 unabhängigen Einzelhändlern und Marken in ganz Europa zu verbinden. Das bedeutet, dass wir täglich einzigartige Marken finden, die wir mit Hilfe von Algorithmen und Empfehlungen mit dem richtigen Einzelhändler in Kontakt bringen. Wir geben ihnen Einblicke, welche Produkte bei vergleichbaren Händlern gerade beliebt sind und machen Vorschläge auf Basis ihres eigenen Suchverhaltens oder ihrer Wünsche. All diese Daten sind für unabhängige Händler oft schwer zu beschaffen, geschweige denn auszuwerten. Das bedeutet, sie handeln nach Bauchgefühl.

Mit unseren Empfehlungsprogrammen ermöglichen wir beiden Seiten unserer Community, zu wachsen und sich gegenseitig zu unterstützen. Einzelhändler laden ihre Marken ein, und Marken laden ihre Einzelhändler ein, um von allen Großhandelskonditionen zu profitieren, die wir zu bieten haben – zum Beispiel niedrige Mindestbestellbeträge, kostenloser Versand und erweiterte Zahlungsbedingungen. Diese beiden Empfehlungsprogramme helfen unserer Gemeinschaft von Einzelhändlern und Marken, ihre Reichweite zu vergrößern und ihr Geschäft zu skalieren. 

Welche Vorteile und Services bietet Orderchamp als digitaler Großhändler den Händlern im Vergleich zum analogen Einkauf?

Wir unterstützen die Shops bei der Entdeckung neuer Bestseller für ihr Geschäft und helfen Marken, Zugang zu neuen Vertriebskanälen zu bekommen. Durch unsere vorteilhaften Einkaufskonditionen wie niedrige Mindestbestellmengen, erweiterte Zahlungsbedingungen und kostenlosen Versand, ebnen wir das Spielfeld, so dass kleine Unternehmen mit größeren Einzelhandels- und E-Commerce-Giganten konkurrieren können. Wir verhandeln also gewissermaßen im Namen unserer Einzelhändler, um gute Konditionen zu erhalten. 

Wir geben unseren Händlern die Möglichkeit, heute zu bestellen und 30 bis 60 Tage nach Lieferung zu bezahlen. Das gibt ihnen mehr finanziellen Spielraum bzw. Liquidität und Zeit, ihre Produkte innerhalb dieser Zeitspanne zu verkaufen. Wir garantieren den Marken auch die Zahlung, so dass sie kein Debitorenrisiko mehr haben.

Außerdem organisieren wir digitale Messen – insbesondere, da weniger physische Messen stattfinden konnten. Unsere digitale Alternative ermöglichte den Einzelhändlern und Marken, neue Geschäftsbeziehungen aufzubauen, auf eine effizientere und kostengünstigere Weise. Dies war ein Segen für die Gemeinschaft in Zeiten der Krise, als physischer Kontakt eingeschränkt war. Wir sind also eigentlich die Kombination aus Messe, Einkaufszentrale, Handelsvertreter und B2B-Portal und wir unterstützen unsere Nutzer mit einem hochklassigen Kundenbetreuungsteam.

„Wir wollen mit Marken arbeiten, die nicht auf massentauglichen Plattformen zu finden sind“

Gibt es bestimmte Kriterien für Marken, die diese erfüllen müssen, um auf Ihrer Plattform gelistet zu werden? 

Wir nehmen unseren Kuratierungsprozess sehr ernst; wir wollen nur mit den besten Marken zusammenarbeiten, die eine faszinierende Geschichte und ein einzigartiges Produktsortiment haben. Basierend auf allen Daten, die wir haben, verstehen wir das Sortiment, nach dem unsere Einzelhändler suchen, sehr gut. Unter Berücksichtigung dessen kuratieren wir Marken, die diese Nachfrage erfüllen, mit einem Fokus auf großartiges Design und Eigenschaften wie umweltfreundlich, ökologisch, handgefertigt und gesellschaftlich wertvoll. Unsere Vision lautet „einzigartige Ware in jedem Geschäft“. 

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf bemühen wir uns, mit Marken zu arbeiten, die nicht auf massentauglichen Drittanbieter-Plattformen wie Amazon und anderen zu finden sind. Wir arbeiten nur mit etablierten Marken zusammen, die dem Premium-Einkaufserlebnis, das wir unseren Händlern bieten, gerecht werden können. Wir haben die Such- und Filterfunktionen erweitert, die sowohl auf unserem Marktplatz für Einkäufe als auch in den individuellen Schaufenstern (Storefronts) der Marken eine wichtige Rolle bei der Navigation auf der Plattform spielen. Wir bieten Filter nach den bereits genannten Werten, Land, Neuheit, Bestsellern und Rabatten an – sowie danach, ob Produkte auf Drittanbieter-Marktplätzen verkauft werden. 

Startseite des Orderchamp-Marktplatzes / © Orderchamp

Vor ein paar Monaten haben wir außerdem das produktbasierte Einkaufen eingeführt, Händler können nun einzelne Marken-Storefronts besuchen, aber auch Produkte von verschiedenen Marken In der produktbasierten Shopping-Ansicht entdecken – wie Instagram für Händler! 

Abgesehen davon bieten wir eine strukturierte und saubere Navigation über unsere Kategorien hinweg und generieren auch datengestützt inspirierende Inhalte, die sich auf die neuesten Trends konzentrieren, um Einzelhändlern zu helfen, neue Marken, Produkte und Must-Haves zu finden, um ein differenziertes Sortiment aufzubauen, das ihre Kunden lieben werden. Das wiederum spart ihnen eine Menge Zeit.

Darum braucht es digitale Beschaffungsmodelle im Großhandel 

Der B2B-Handel galt im Vergleich zum B2C-Online-Handel lange Zeit als verstaubt. Wie schätzen Sie die momentane Lage am Markt ein? Warum braucht Ihrer Meinung nach der deutsche Markt mehr Digitalisierung im Großhandel?

Wie gesagt, es gibt viele Ineffizienzen im aktuellen Großhandelsbeschaffungsmodell. Gerade in Deutschland werden Geschäfte teilweise noch per Fax und meist per E-Mail oder über Offline-Kanäle abgewickelt. Um mit Handelsketten und den Amazons dieser Welt konkurrieren zu können, ist das einfach nicht mehr möglich. 

Einige unserer Gedanken:

  • Es kostet viel Zeit, neue Produkte zu finden und ein spezielles Sortiment zusammenzustellen: Einzelhändler durchforsten oft physisch Messen und Cash & Carry Center, um mit neuen Marken in Kontakt zu kommen order durchstöbern Portale und dann wird der Kauf nicht einfach gemacht, denn viele dieser Portale entsprechen nicht den E-Commerce-Standards (B2C).
  • Wie finden Händler ihren nächsten Bestseller – ohne Zugriff auf alle Daten? Sie haben nicht immer die Möglichkeiten oder die Zeit ausgiebig zu recherchieren, wenn sie denn überhaupt Daten verfügbar haben.
  • Unabhängige Händler erhalten nicht immer sofort den besten Großhandelspreis oder die besten Konditionen, sie scheitern an kurzen Verhandlungen. Viele Marken sind immer noch auf Massenverkäufe eingestellt – dafür müssen Händler ein großes Budget haben und verlieren an Flexibilität. Außerdem sind die Zahlungsbedingungen als kleines Unternehmen nicht sehr umfangreich – sie haben also keinen zusätzlichen Cashflow zur Verfügung, um andere Dinge zu tun, etwa ihr Geschäft zu erneuern, Marketing zu betreiben, etc.
  • Auf der Markenseite haben die kleineren Spieler oft nicht die Möglichkeiten, sich auf Messen oder durch Vertreter zu präsentieren, und so werden sie unbemerkt bleiben. Und das, obwohl sie doch so eine inspirierende Geschichte und eine einzigartige Produktpalette haben. Das ist natürlich eine Schande.
  • Wenn Händler die Produkte in ihren Softwaresystemen (E-Commerce oder POS) bearbeiten wollen, muss dies oft manuell geschehen. Das ist eine teure Tätigkeit und oft eine Zeitverschwendung.
  • Und nicht zuletzt: die Internationalität des Geschäfts. Sie können leicht jemanden in Ihrer Nachbarschaft treffen und gute Referenzen bekommen, aber international ist das immer noch ziemlich schwierig und es kann teuer werden. Dabei können Händler lokal etwas bewirken, indem sie global einkaufen!

Die Digitalisierung ist also keine Wahl, sie ist ein Muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

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