Tipps zum Direktvertrieb

So profitieren Händler von Direct-to-Consumer-Strategien

Veröffentlicht: 19.08.2021 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 19.08.2021
D2C: Frau im Live-Streaming für Online-Shopping-Kampagne

Immer mehr Marken, vor allem junge StartUps, setzen auf den eigenen Direktvertrieb. Zu beobachten ist das beispielsweise bei Wäsche-Labels wie Erlich-Textil oder Snocks, dem Schmuckanbieter Purelei oder der Kosmetikmarke Banana Beauty. Immer häufiger nutzen diese Unternehmen Social-Media-Kanäle, um aus der eigenen Zielgruppe eine Community werden zu lassen. Dabei steht der Aufbau der eigenen Marke im Fokus.

Ebenso ist die Strategie, die eigenen Kundinnen und Kunden direkt zu erreichen, für große Marken zunehmend attraktiver. Darunter Adidas: Der Sportartikelhersteller will bis 2025 etwa die Hälfte der Umsätze mit dem eigenen Online-Geschäft und seinen eigenen Stores erzielen. Eine Vorgehensweise, die bei Händlern für Missmut sorgt, denn ein Großteil des Konzernumsatzes lief bislang über deren Geschäfte. 

Doch Online-Händler können die D2C-Strategien der Marken, deren Produkte sie verkaufen, für sich nutzen. Wie sie mit Direktmarketing außerdem ihren eigenen Vertrieb optimieren, darüber sprachen wir mit Chris Bartsch, Geschäftsführer der Digitalagentur Boom.

Live-Shopping ist der vielversprechendste Kanal für den Direktvertrieb

OnlinehändlerNews: Direktvertrieb von Produkten erfreut sich immer größerer Beliebtheit, erfolgt aber ohne Zwischenhandel. Inwieweit könnten Händlerinnen und Händler dennoch davon profitieren, wenn eine Marke, deren Produkt sie anbieten, zur D2C-Marke wird?  

Chris Bartsch: Abstrahleffekte bei Online-Kampagnen der Hersteller:innen abzuschöpfen, kann für Händler:innen sehr interessant sein. Der entscheidende Punkt beim Direktvertrieb von Produkten durch Hersteller:innen an Endkund:innen wird künftig vor allem die Informationstransparenz sein. Der Vorteil dabei liegt in der Nähe zu den Kund:innen. Daher sollten Händler:innen in Zukunft auch an gewonnenen Erkenntnissen zu Zielgruppen und deren Online-Einkaufsverhalten partizipieren.

Welche Kanäle eignen sich gut für eine D2C-Strategie?

Das ist eine Frage des Produkts, der Ressourcen und des Budgets. Generell wird zwischen First- und Second-Party-Kanälen unterschieden. Der eigene Online-Shop und die Social-Media-Kanäle sind First-Party-Kanäle. Marktplätze oder Retailer werden als Second Party bezeichnet. 

Sinnvoll ist, am Anfang einer D2C-Strategie ein Attributionsmodell aufzusetzen, das den zu erwartenden Erfolg den beteiligten Verkaufskanälen zuordnet. Für ein T-Shirt-Label kann es z. B. sinnvoll sein, den Verkauf erst nur über Instagram zu starten. Für eine Supplement-Brand (Nahrungsergänzungsmittelmarke) hingegen zahlt sich der Start auf Amazon inkl. FBA (Fulfillment by Amazon) mit späterem Upscaling auf den eigenen Online-Shop aus. Marken haben auch die Möglichkeit, sich direkt an einen Distributor wie etwa Heyconnect, zu wenden, der einen auf alle relevanten Marktplätze bringen kann.

Live-Shopping als Vertriebskanal zu nutzen, ist aus meiner Sicht einer der vielversprechendsten Direktvertriebskanäle, insbesondere für größere Multibrand Retailer. Plattformen wie Livebuy bieten hier in Kombination mit richtigen Influencer:innen und Storytelling Konversionsraten zwischen zehn bis 20 Prozent. 

Direktvertrieb mit dem Online-Shop: „Wenn meine Experience einzigartig ist, bin ich auch einzigartig“

Wie können Online-Händlerinnen und -Händler von D2C-Kommunikations- und Vertriebsstrategien profitieren?

Online-Händler:innen können durch D2C-Kommunikations- und Vertriebsstrategien vor allem dadurch profitieren, dass sie in erste Linie mehr über ihre Käuferschaft herausfinden.

Und mit welchen Mitteln können sie ihren eigenen Online-Shop zur Marke werden lassen? 

Marken haben Werte. Sie besitzen Assets, also Werte, die sie von anderen Marken differenzieren. Sie haben ihr eigenes visuelles Erscheinungsbild und ihre eigene Tonalität. Als Shop bin ich erstmal nur ein Outlet, ein Online-Shopping-Window. Wenn meine Experience aber einzigartig ist, bin ich auch einzigartig. Amazon ist das beste Beispiel dafür: Amazon Prime und das One-Click-Buy-Prinzip haben Amazon erfolgreich und zu einer Marke gemacht. Genau solche Erlebnisse und diese Einzigartigkeit bieten erfolgreiche D2C-Brands.

Hinzu kommt die absolute Service-Zentriertheit. Das zeigen auch bekannte D2C-Marken wie Warby Parker und Casper, die es mit dem Home-Try-On-Feature oder einer Spende für jedes verkaufte Produkt vorgemacht haben. „,Not just another Online-Shop‘ but ,The Online-Shop with …‘“ muss das Ziel sein. 

Direct Brands starten meistens nicht als Händler:in, sondern als Markenhersteller:in oder zumindest als Ideengeber:in, für die dann produziert wird. Umgekehrt werden Händler:innen nur zur Marke, wenn sie vertikalisieren. Es gibt Beispiele von Händler:innen (oder sogar Großhändler:innen), die haben nach Jahrzehnten des Händlerdaseins gemerkt: „Hoppla, wir könnten ja eigentlich vertikalisieren und Marken bauen (oder selbst zu einer echten Marke werden).“ Statt wie früher meist günstige Eigenmarken in das Regal zu stellen, wird der Handel nun deutlich selbstbewusster, die Produkte werden besser und die Marken rücken ins Mittelfeld oder sogar ins Premiumsegment vor.

Wer als Händler:in von den D2C-Marken lernen möchte, sollte sich das D2C-Radar von Direct Brands anschauen. Die Datenbank umfasst mittlerweile mehr als 2.000 D2C-Marken weltweit und ist eine erste gute Analyse- und Vergleichsquelle.

Welche Produkte bzw. Branchen eignen sich denn besonders gut für den Direktvertrieb? Und in welchen Bereichen lässt sich diese Strategie hingegen eher schwer umsetzen?

Es gibt durchaus Produkte, die sich besonders gut für den Direktvertrieb eignen – Fashion- und Beauty-Produkte sind dafür die besten Beispiele. 

Doch nicht jedes Produkt eignet sich per se für den Direktvertrieb. Generell gelten auch hier die klassischen Regeln des E-Commerce. Das Produkt muss eine gewisse Marge zum DB1 (Deckungsbeitrag 1) aufweisen, damit die Bezahl- und Fulfillment-Kosten gedeckt sind, und sollte darüber hinaus in einem Preisbereich jenseits von 15 Euro liegen, damit die Konsument:innen beim Kauf nicht mit der Sinnfrage konfrontiert werden. Eine Packung Wattestäbchen für 99 Cent online zu bestellen, ergibt wenig Sinn, wenn der Versand schon den Warenwert übersteigt. Gebindegröße, Lagerhaltungs- und Versandkosten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. 

Marktplätze und D2C – geht das zusammen? 

Über große Plattformen wie Amazon, Ebay, Zalando usw. generieren Händlerinnen und Händler oft hohe Umsätze. Wie passt das mit einer eigenen D2C-Strategie zusammen?

Das eine schließt das andere nicht aus. Vor allem die Preisstrategie ist bei der D2C-Strategie entscheidend. Exklusivität kann auch eine strategische Herangehensweise sein, indem man nur bestimmte Produkte direkt verkauft. Adidas z. B. nutzt den eigenen Online-Shop, um Sondereditionen oder limitierte Auflagen zu vertreiben. 

Zudem kann der eigene Shop auch die Möglichkeit zur Produkt-Personalisierung bieten, was auf den Marktplätzen ebenfalls nicht möglich ist. Wenn es um einen Mehrwert oder bestimmte Zusatzangebote geht, bietet der Direktvertrieb ebenfalls Vorteile. Das gilt auch, um die Produktstory zu vertiefen, insbesondere bei speziellen Funktionen oder z. B. einer nachhaltigen Herstellung. 

Der Hauptvorteil im Direktvertrieb liegt im Customer Journey Management. Als Marke kann ich vom Impuls, über das Shopping-, das Unboxing- bis hin zum After-Sales-Erlebnis jeden einzelnen Punkt steuern. Brand- und Customer-Experience verschmelzen sozusagen in einer holistischen Wahrnehmung.

Das sind erfolgreiche D2C-Marketingstrategien

Welche Kennzahlen sollten im Blick behalten werden, um den Erfolg der D2C-Strategie zu messen? 

CPO (Cost per Order, Durchschnittskosten pro Werbeaktion für eine gewünschte Bestellung/Reaktion), CPC (Kosten pro Klick auf Werbeanzeigen), CLV (Customer Lifetime Value, durchschnittlicher Wert, den ein:e Kund:in während der gesamten Kundenbeziehung für ein Unternehmen hat) und ROAS (Return on Advertising Spend, der tatsächliche Gewinn pro Werbeanzeige, sprich Umsatz geteilt durch Ausgaben) sind wichtige Kennzahlen. 

Und wie erfahren Händlerinnen und Händler am besten etwas über Ihre Zielgruppe?

Wer mehr über die Konsument:innen erfahren will, muss nachfragen. Fakedoor- oder A/B-Kampagnen-Tests, Surveys (Umfragen) oder unterschiedliche Newsletter-Angebote sind Möglichkeiten, die eigenen Kund:innen besser zu dechiffrieren.

Haben Sie Beispiele für gelungene D2C-Vermarktung im Online-Geschäft? Welche Strategien funktionieren dabei aus Ihrer Sicht?

Neben dem bereits erwähnten D2C-Urgestein Warby Parker gibt es einige Beispiele für D2C-Vermarktungen im Online-Geschäft, beispielsweise Polestar, One Peloton, I-Clip, Snocks, Stellar Equipmet, Vetsak oder Tylko. 

Ein weiteres Beispiel ist MyBacs. Das Unternehmen bietet Nahrungsergänzungsmittel an – und das auf Grundlage medizinischer Erkenntnisse und entwickelt mit Mediziner:innen und Ernährungsexpert:innen. Der wissenschaftliche Beirat ist Teil des Teams und bringt natürlich Glaubwürdigkeit und Vertrauen mit sich. Nicht nur der Rat liefert viele Informationen und Hintergründe, auch Artikel im Glossar und Journal bringen Informationen mit. Sie sind die ein echter Traffic-Boost, liefern aber auch echten Mehrwert für die Kund:innen. Außerdem: Von Paypal über Klarna bis hin zu Apple Pay und Kreditkarte – und Bitcoin – bei MyBacs gibt es eigentlich keine Zahlweise, die es nicht gibt. Hiermit erreicht der Shop natürlich super viele Menschen und gibt jedem die Möglichkeit, seine bevorzugte Zahlweise zu nutzen.

Der Beauty-Shop Hello Body nutzt Personalisierung: Im Set-Konfigurator haben Kund:innen die Möglichkeit, sich genau das passende Set für ihren Hauttyp zusammenzustellen. Unter „Unser Engagement“ sieht man, dass es eigentlich kein Thema gibt, für das sich die Marke nicht einsetzt: Die Verpackungen sind nachhaltig, man kann den Tierschutz unterstützen oder das Rote Kreuz. Man kann als Kund:in zudem genau nachvollziehen, welche Werte hinter den Produkten stehen.

Whoop ist ein „State of the Art“-Fitness-Armband. Anders als bei den anderen Armbändern, die sich auf dem Markt tummeln, bezahlt man hier nichts für die Hardware, sondern nur für die App. Mit seinem Abo-Modell ähnelt Whoop Anbieter:innen wie Netflix, Spotify und Co. Zudem gibt es eine guter UX sowie Motivations- und Gamification-Komponenten in der App. In der App „spielt“ man sich praktisch fit – und das immer mit einer gehörigen Portion Achtsamkeit. Es geht nicht ums reine Optimieren, um Leistung und ums Schneller, Höher, Weiter um jeden Preis, sondern darum, auch seine Recovery-Phasen bestmöglich einschätzen zu können und zu nutzen. Für genug Schlaf, angemessenes Training und viel Bewegung bekommt man kleine Belohnungen, kann Level erklimmen und spielt sich so zu einem fitteren, gesünderen Körper. Wer Whoop joint, bekommt automatisch ein schwarzes Armband zum Abo dazu. Es ist aber natürlich möglich, rosa, grüne, bunte oder andere Armbänder nachzukaufen. Außerdem gibt es jede Menge Gimmicks, die man zusätzlich erwerben kann. Auch dieser Anbietet punktet mit Personalisierung.

Das Online-Shopping-Erlebnis setzt Banana Beauty schon gut um. Live Shopping wie bei QVC – nur in modern und für die Gen Z. Es gibt Filter, mit denen direkt Lippenstift online ausprobiert werden kann. Das ist Shopping wie in der Zukunft! Es wird viel mit Limited Editions gearbeitet und beispielsweise auch mit Rabattcodes, die nur an einem Tag gelten. So wird ein Hype konstruiert, der super funktioniert. Die Kooperationen mit Influencer:innen sind super gewählt, die Community ist interessant und passt gut zusammen und zur Marke.

Vielen Dank für das Gespräch!


 

Chris Bartsch, Geschäftsführer Boom

Chris Bartsch

ist einer der Geschäftsführer der Digitalagentur Boom, einer Agentur für die BrandNowWorld®. Als digitale Kreativagentur hilft sie Marken dabei, nachhaltige Wege in der Markenbildung und Kundenbindung zu beschreiten. Gegründet 2008, betreuen +30 Talente an den Standorten Hamburg und München die Marken 8X4, Labello, Hidrofugal, Skin Stories, Glück, hella, Kalkhoff Bikes und Montblanc. 

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