Kommentar zu „freundlichem Betrug“

Rücksendungen als Raubzug: Betrug ist kein Kavaliersdelikt

Veröffentlicht: 30.04.2024 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 02.05.2024
Betrug im Online-Handel

Man kann es durchaus „alarmierend“ nennen, was Ravelin in seiner aktuellen Studie darlegt: 40 Prozent der Online-Shopper betrügen beim Kauf im Internet, 36 Prozent werden es auch in Zukunft tun. Eigentlich müssten diese Ergebnisse viel höhere Wellen schlagen. Denn was das im Umkehrschluss bedeutet, ist erschreckend. Nicht nur folgen daraus ein massiver volkswirtschaftlicher Schaden und unzählige unnötige Lieferfahrten (grünes Gewissen?), vor allem schadet man damit den Menschen, die hinter diesen Online-Shops stehen.

Noch einmal die Kurzfassung: Ravelin hat in seiner Studie den sogenannten „freundlichen Betrug“ – an sich schon ein äußerst euphemistischer Sammelbegriff – untersucht. Das beschreibt Betrugsarten, die ohne falsche Identitäten oder gehackte Kreditkartendaten durchgeführt werden. Betrug also, den Kund:innen eher „um die Ecke durchführen“. Betrug, der von Täter:innen dann gar nicht direkt als Betrug angesehen wird. Und ja, man sollte an dieser Stelle von „Täter:innen“ sprechen.

Betrug ist kein Kavaliersdelikt!

Wenn ich eine Geldrückzahlung einfordere, obwohl ein Paket tatsächlich angekommen ist, wenn ich etwas schon mit der Absicht kaufe, es sowieso nach einmaligem Gebrauch wieder zurückzuschicken, wenn ich Zweit- und Dritt-Accounts anlege, um mehrfach von Gutscheinen zu profitieren – dann ist das kein nettes Schlupfloch. Dann heißt das nicht, dass ich damit niemandem schade. Dann ist das kein Kavaliersdelikt, sondern ein Vergehen, bei dem ich bewusst in Kauf nehme, anderen Menschen zu schaden.

Ein ganz einfaches Beispiel: Ich brauche für eine Hochzeit einen Anzug, bestelle diesen beim Online-Shop, trage ihn einmal, retourniere ihn und möchte mein Geld zurück. Der Online-Händler hat für den Anzug bezahlt, für den Versand bezahlt, möglicherweise Gebühren beim Marktplatz bezahlt, vielleicht eine Google-Anzeige und eine Positionierung in der Buy-Box bezahlt. Auf all diesen Kosten bleibt der Händler komplett sitzen, weil ich es als dreister Kunde in Ordnung fand, unter falschem Vorwand zu bestellen, anstatt mir einfach einen Anzug auszuleihen.

Online-Händler:innen sind nicht gesichtslos und nicht Amazon

Als Argument für ein solches Vorgehen wird dann gern – mal wieder – herangezogen, dass es Amazon (oder einem anderen großen Anbieter) ja nicht schadet, das ist schließlich ein Milliardenkonzern. Und das ist richtig, Amazon schadet das nicht unbedingt. Aber die Chancen stehen ziemlich gut, dass ein Produkt nicht von Amazon selbst, sondern von einem kleinen oder mittleren Unternehmen auf dem Marktplatz angeboten wird. Und dem schadet so ein Vorgehen durchaus.

Das Internet ist weder ein rechtsfreier noch ein anonymer Raum. Hinter jedem Angebot bei Amazon, Ebay und Otto, hinter jedem Online-Shop stehen Menschen, die mit dem finanziellen Schaden durch Retourenbetrug, Rückbuchungsbetrug oder Gutscheinbetrug leben müssen. Und im Gegensatz zu Phishing-Maschen, zu geklauten Bankdaten und groß angelegten Hacks lässt sich so ein Vorgehen für Händler:innen enorm schwer nachweisen, was das Problem sogar noch akuter macht.

Wer denkt, dass Schlupflöcher da sind, um sie auszunutzen, wer davon ausgeht, dass es ja niemandem weh tut, wenn er sich online mit zweifelhaftem Verhalten Vorteile verschafft, der sollte sich überlegen, ob er so auch im kleinen Laden um die Ecke vorgehen würde. Der alte Laden mit dem netten Verkäufer, der immer für einen Plausch zu haben ist, der aber angesichts der wirtschaftlichen Situation in Deutschland und der Welt gerade ganz schön zu kämpfen hat. Der Händlerin bei Ebay, die in diesem Moment ohne Not schon wieder eine Rückerstattung herausgeben muss, geht es ganz genau so.

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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Kommentare  

#13 Ricardo Amazonas 2024-05-04 09:44
Als ehemaliger Kundenservicemi tarbeiter bei Amazon habe ich auch offensichtliche Betrügereien erlebt. Da wird schonmal ein Fernseher bestellt, und der kam angeblich nicht an (gestern zugestellt laut Tracking). Der Kunde sagt, er habe jetzt wegen Dringlichkeit inzwischen im stationären Handel einen anderen Fernseher gekauft und verlangt statt einer kostenlosen Ersatzlieferung lieber sein Geld zurück. Auf Meike Frage "Sind Sie sicher, daß der Fernseher nicht ankam? Vielleicht hat ein Haushaltsmitgli ed den Fernseher bereits aufgestellt." Antwort nur "Nein, er kam nicht an". Ich schaue im System nach. Prime Video wurde bereits auf dem Fernseher installiert (TV-Seriennumme r und Login Historie mit seinem Account liegen vor). Ich muss dann leider das Geld trotz klarem Betrug erstatten und um Entschuldigung für die Unannehmlichkei ten bitten und auf Nachfrage noch einen 5 Euro Gutschein raushauen, weil ja die Prime Lieferung nicht klappte (angeblich). Amazon selbst sammelt solche Fälle ubd gibt sie erst zur Polizei, wenn die Retouren- und Betrugsquote hoch henug ist bei dem jeweiligen Kunden.
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#12 Tom 2024-05-04 09:34
Das ist bei uns leider Alltag. Kunden kaufen Bekleidung, tragen diese zu einem Event und senden sie dann oft mit Flecken und stark riechend zurück. Vor allem über die Faschingszeit wird dies ausgenutzt, da haben wir bis zu 30% solcher Rücksendungen. Anfangs haben wir per Warenpost ohne Tracking-Id versendet, dies konnten wir uns aber irgendwann nicht mehr leisten, da fast 20% der Lieferungen „anscheinend“ nicht angekommen sind. Einfach nur traurig und ein Armutszeugnis für dieses Land.
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#11 Liberealistic 2024-05-04 08:43
Toller Artikel. Es ist genau so aber keiner schreibt darüber. Was noch fehlt ist der Hinweis darauf, dass aus dem Lot geratener Verbraucherschu tz, der ein gerechtes Verteilen der Kosten gesetzlich verbietet all dem erst den Vorschub geleistet hat, dass es so kommen konnte. Ich denke auch, dass da die moralische Rechtfertigung für manchen liegt. Es ist ja schließlich ihr oder sein “gutes Recht”. Ich würde es begrüßen wenn da wenigstens für den Vorsatz ein Passus im Gesetz zu finden ist, so dass man den in die AGBs übernehmen kann und so den einen oder anderen Betrug vermeidet. Aktuell wäre wohl selbst das abmahnfähig….
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#10 Hanse 2024-05-03 10:55
Ich finde man sollte Kunden generell mit in die Verantwortung ziehen, mit einer Art gesetzlichen Retouren Abschlag. Amazon hat die Kunden leider so erzogen das man alles bekommt für nichts.
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#9 Michaela 2024-05-02 17:02
Ist mir leider im kleineren Maßstab auch schon passiert :-( Das ist so ärgerlich und kann für manche Händler wirklich empfindliche Einbußen bedeuten.
So eine Blacklist wäre klasse, wird aber aufgrund unserer Gesetzgebung sicher nie verwirklicht werden.

Damit so ein Beitrag in den großen Tageszeitungen erscheint, müsste er (oder ein selbst verfasster) via Pressemitteilun g an alle großen Zeitungen und evtl. die DPA gesendet werden und dann hoffen, dass das Thema aufgegriffen wird....
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#8 Wehmeier, Ralf 2024-05-02 16:37
3Karl Ranseier 2024-05-02 09:12 entlich mal ein guter Vorschlag leider würde der Betreiber dieser liste nicht all zu lange überleben. Gesetze usw…

Ralf
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#7 MiRa 2024-05-02 14:53
Vielleicht aus einem anderen Blickwinkel: Kunde hat ein defektes Gerät und bestellt bei uns ein Ersatzteil, um mal zu schauen ob es daran liegt. Anstatt eine richtige Diagnose durchzuführen, wird also irgendwas gekauft, irgendwie eingebaut / dran gehangen, evtl. durch andere defekte Teile beshcädigt und zurückgesendet. Wir stellen also kostenloses Testequipment zur Verfügung und müssen die Sachen dann nochmal testen. Das haben auch einige Firmen versucht, die durch ebay ein WIderufsrecht durchgedrückt haben. Bis dann die Rechnung und Mahnungen kamen.
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#6 Varth Dader 2024-05-02 11:26
Der Beitrag ist wirklich auf den Punkt und leider die Wahrheit.

Allerdings wird sich das in einer kapitalistische n Konsumgesellsch aft mit einer freien Marktwirtschaft , wo der Druck teilweise enorm ist und es für jedes kleinste Produkt etliche Konkurrenten gibt, und mit der - da muss ich widersprechen - durchaus gegebenen Online-Anonymit ät (zumindest Scheinanonymitä t, da Strafverfolgung weder einfach noch günstig ist), wo jeder Dumme seine noch so beleidigende Meinung kundtun kann, niemals ändern.

Die Gesellschaft ist selten ein Miteinander, dafür hat sie es zu bequem.
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#5 Drago 2024-05-02 10:27
Ich finde es so toll, dass der Autor es sich wagt, das ganze so zu beschreiben. Früher hätte sich das hier im Forum keiner getraut. Hut ab. Ich finde das gut.
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#4 Ralf Ternes 2024-05-02 09:56
Der Unterschied zwischen Phishing, Hacker, geklauten Bankkonten etc. und dem "freundlichen Betrug" ist, dass bei Ersteren man ein eindeutiges Verbrechen hat, aber die Täter nicht kennt und beim freundlichen Betrug zwar weiß, wer der/die Täter sind, aber die Tat nicht nachweisen kann. So oder So bleibt der Online-Händler immer das Opfer. Er darf aber dafür seine Steuerpflichten korrekt nachkommen, für die Gesellschaft die ihn nicht schützt.
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