Die Chancen einer Kündigung

Warum Firmen, die scheidende Mitarbeiter gängeln, sich selbst ins Knie schießen

Veröffentlicht: 27.06.2023 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 27.06.2023
Kündigung ohne professionelles Offboarding: Mitarbeiter wird geschasst

Während sich Unternehmen häufig mit viel Engagement auf die Gewinnung neuer Fachkräfte und Kolleg:innen konzentrieren, wird ein anderer Bereich so manches Mal vergleichsweise stiefmütterlich behandelt: das Offboarding. Gemeint ist ein durchdachter und strukturierter Prozess rund um den Austritt von Mitarbeiter:innen.

Der Gedanke, der hinter einem fehlenden oder schlechten Offboarding-Prozess steht, ist wahrscheinlich der, dass scheidende Teammitglieder die Mühe nicht wert sind. Doch das Gegenteil ist der Fall – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels: Sie können überaus nutzbringende Einblicke bieten. Außerdem gibt es auch rein praktische Gründe für einen soliden Austrittsprozess. Wir geben einen Überblick.

Das Austrittsgespräch als Heiliger Gral unter den Offboarding-Punkten

Wenn Mitarbeiter:innen kündigen oder gekündigt werden, kann dies je nach Fall nicht nur organisatorische und strukturelle Folgen haben, sondern auch gewisse Befindlichkeiten auslösen. Für manche Menschen ist der Weggang von Kolleg:innen grundsätzlich ein sensibles Thema, für andere gar eine Art Tabuthema. 

Doch wer sich in der Rolle einer Führungspersönlichkeit befindet und allzu sensibel – vielleicht mit verletztem Stolz und Ärger oder gar mit Neid und Missgunst – auf das scheidende Teammitglied reagiert, läuft Gefahr, wichtige Potenziale zu verschenken. Denn selten dürften Mitarbeitende so offenes und gewinnbringendes Feedback geben wie aus der scheidenden Position heraus.

Ein Ausscheiden kann offenes Feedback fördern

Laut der Studie Employer Brand Research des Personalvermittlungsspezialisten Randstad lieg der Hauptgrund für Unzufriedenheit mit dem aktuellen Job schlicht und ergreifend an der Vergütung. Eine schlechte Work-Life-Balance und ein besseres Jobangebot folgen auf den Rängen zwei und drei. Doch auch fehlende Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie lange Pendelzeiten können Ursachen für Unmut sein. Für Frustration sorgen – man hört es aus der Praxis – natürlich auch Probleme mit Führungskräften. So weit zur Theorie. 

Welche Gründe in einem konkreten Fall aber tatsächlich eine Rolle spielen, sollten Unternehmen schon deshalb herausfinden wollen, um zu ergründen, ob es strukturelle oder rein individuelle Probleme sind, die zum aktuellen Austritt führen. Eine ehrliche und umfangreiche Antwort von Arbeitnehmer:innen dürfte oft nur schwer zu bekommen sein, wenn sich diese noch in einem aktiven Arbeitsverhältnis befinden. Angst vor Repressalien, Mobbing oder gar Kündigung können dazu führen, dass Angestellte vor offenem Feedback zurückschrecken. Im Rahmen eines Offboarding-Gesprächs fallen solche Aspekte allerdings weg.

Die Atmosphäre als unterstützender Faktor

Unternehmen sollten es als Segen erachten, im Rahmen eines Austrittsgesprächs ehrliches Feedback zu erhalten. Denn der Mehrwert liegt beim (ehemaligen) Arbeitgeber und nicht beim scheidenden Mitarbeitenden selbst! Darüber hinaus zeugt es von Respekt und Wertschätzung, ihr oder ihm Raum für eine finale Einschätzung beziehungsweise Bewertung zu geben.

Sollte sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter freiwillig zu einem Austrittsgespräch mit umfangreichem Feedback bereiterklären, dann sollte dieses in angenehmer Atmosphäre stattfinden. Ein professioneller und respektvoller Umgang fußt dabei auf einem freundlichen oder zumindest neutralen Auftreten des Unternehmens. Unnötig aufgebauter Druck oder gar Vorwürfe dürften unweigerlich zu einem Kippen der Gesprächsatmosphäre führen und die Chancen auf konstruktive Rückmeldung mindern.

Die richtigen Fragen stellen

Neben der passenden Stimmung müssen überdies die richtigen Fragen auf den Tisch gebracht werden, um das Potenzial der Zusammenkunft nicht verpuffen zu lassen. Diese können und müssen je nach Umstand des Austritts variieren.

  • Warum hast du dich für eine Kündigung entschieden? 
  • Gab es bei uns einen konkreten Auslöser oder Strukturen, die deine Entscheidung begünstigt haben? /
    Wie ist es deiner Meinung nach zur Kündigung gekommen?
  • Hattest du alle notwendigen Instrumente, um deine Arbeit effizient und gut zu erledigen?
  • Wurdest du bei deiner Arbeit ausreichend unterstützt und gefördert? 
  • Welche positiven Seiten hatte dein Arbeitsalltag bei uns?
  • Wie hast du die Stimmung im Team empfunden?
  • An welchen Stellen können wir nachbessern?
  • Was hätten wir tun können, um dich zum Bleiben zu bewegen? (Nur bei Selbstkündigung)
  • Welches Feedback hast du an deine direkte Führungskraft?
  • Würdest du uns als Arbeitgeber weiterempfehlen? Warum?
  • Welche Verbesserungen strebst du bei deinem neuen Arbeitgeber an?

Ziel der Fragestellung sollte es sein, die eigenen Strukturen und Prozesse abzuklopfen, um mögliche Schwachstellen oder Hürden aufzudecken, die wiederum eine Unzufriedenheit bei den Teams auslösen. 

Übrigens: Es gibt durchaus Menschen, die bei einem Austritt gern Feedback geben würden, sich aber in einer direkten Gesprächssituation unwohl fühlen. Daher sollten Firmen neben dem Angebot eines persönlichen Austrittsgesprächs vor Ort auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, das Feedback schriftlich über einen Fragebogen einzuholen.

Das Austrittsgespräch ist natürlich nur eine Komponente des eigentlichen Offboarding-Prozesses, der sich je nach Unternehmensgröße und Struktur als äußerst komplex darstellen kann. Deshalb ist ein strukturiertes Herangehen an einen Austritt auch grundsätzlich empfehlenswert.

Leitfäden für beide Seiten sind sinnvoll

Wird das Team durch ein neues Mitglied ergänzt, sind die Anforderungen ans „Onboarding“ – also den Eintritt ins Unternehmen – meist klar: Von Schlüsseln und Zutrittskarten über Computer und Hardware bis hin zu Lizenzen oder Arbeitsuniformen werden dem oder der neuen Kolleg:in verschiedenste Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt. 

Ein ordentlich durchgeführter Offboarding-Prozess stellt wiederum sicher, dass am Ende alle ausgehändigten Mittel auch tatsächlich wieder beim Unternehmen landen. Das spart im Fall der Fälle nicht nur unnötigen Ärger, sondern auch mögliche Kosten durch fehlendes Equipment. 

Damit beide Seiten den Austrittsprozess vollständig durchlaufen und kein Aspekt vergessen wird, kann es sich durchaus lohnen, separate Leitfäden beziehungsweise Checklisten für die Personalabteilung sowie die scheidenden Mitarbeitenden zu erstellen. Diese Dokumente können abschließend sogar als Protokoll dienen und geben allen Beteiligten die nötige Sicherheit, nichts vergessen zu haben.

Offboarding-Protokoll für austretende Mitarbeitende

Natürlich sind Bedarf und Umfang jeder Firma rund um eine Offboarding-Checkliste sehr verschieden, weshalb sich die Erstellung abschließender Mustervorlagen als eher schwierig erweist. Die folgend aufgelisteten Checkpunkte sollen daher nur als Inspiration für individuelle Dokumente dienen.

Allgemeine Betriebsmittel:

  • Schlüssel/ Zugangskarten, Transponder etc. zu Gebäuden, Räumen, Schließfächern, Aufzügen, Parkmöglichkeiten
  • Uniformen/ Berufsbekleidung
  • Dienstwagen, Job-Bikes etc.

Hardware:

  • Monitore, PCs, Notebooks und Tablets inklusive Kabel, Adapter etc.
  • Mäuse, Tastaturen, Kopfhörer/Headsets, Docking-Stationen, Dongles
  • Diensthandys inklusive Kabel, Sim-Karten

Offboarding-Protokoll für den Arbeitgeber

Auch auf der Checkliste für Unternehmen selbst sollten die Punkte rund um allgemeine Ausstattung sowie Hardware vertreten sein. Hinzu kommen allerdings jede Menge andere organisatorische sowie vertragliche beziehungsweise arbeitsrechtliche To-dos, die es zu erledigen gilt.

Organisatorisches/ Informationsfluss:

  • Einbindung des Betriebsrats, wenn vorhanden 
  • Bestätigung der Kündigung an scheidenden Mitarbeitenden
    (Bei Mitarbeitenden, die selbst kündigen, ist dies rechtlich nicht notwendig, aber im Rahmen einer freundlichen Kommunikation zu empfehlen.) 
  • Angebot bzw. Vereinbarung eines Austrittsgesprächs mit dem Mitarbeitenden
  • Einholung der allgemeinen Ausstattung sowie Hardware
  • Erstellung des Zeugnisses
  • Ausstellung von Dokumenten wie Arbeitsbescheinigung, Urlaubsbescheinigung, Elternzeitbescheinigung etc.

Datenpflege & Wissenstransfer:

  • Ausscheiden des Teammitglieds in der Personalakte und in verwendeten Systemen etc. hinterlegen
  • Wissenstransfer sicherstellen:
    > Einerseits, indem alle betroffenen Abteilungen informiert werden.
    > Andererseits, indem eine vorzugsweise umfängliche Übergabe durch den scheidenden Mitarbeiter durchgeführt wird.
  • Zugänge am Stichtag schließen / IT-Rechte entziehen
  • Datenpflege rund um Lohn- und Gehaltsabrechnung inklusive Bonuszahlungen, Auszahlung Resturlaub, Abfindungen, betriebliche Altersvorsorge etc.
    > umfasst auch Datenübermittlung an Krankenkassen, Finanzamt etc.
  • Zuschüsse rund um Kitaplätze, Mobilität, Sportangebote und sonstige Benefits prüfen und gegebenenfalls Verträge kündigen
  • Löschung der Mitarbeiterdaten aus Unternehmenspräsentationen (wie zum Beispiel der Teamübersicht), aus Verteilern und Mailinglisten, Chats etc.
  • Archivierung der Mitarbeiterdaten

Achtung! Auch nach dem Weggang von Mitarbeitenden haben Unternehmen umfangreiche Vorgaben, die sie einhalten müssen. Ein Beispiel sind Aufbewahrungspflichten, die sich insbesondere aus sozialversicherungs- oder steuerrechtlichen Regelungen ergeben: Dokumente, die etwa von steuerlicher Bedeutung sind (beispielsweise Lohnsteuerkarten, Lohnabrechnungen oder ähnliches) dürfen erst nach einem Zeitraum von sechs Jahren vernichtet werden. Bei Lohnunterlagen, die mit Blick auf betriebliche Gewinnermittlung bedeutsam sind, erhöht sich die Frist gar auf zehn Jahre, wie auch bei Haufe nachzulesen ist.

Im Gegensatz dazu sind Firmen gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auch verpflichtet, Mitarbeiterdaten nach einem bestimmten Zeitraum zu löschen – und zwar nicht nur Daten auf Papier, sondern auch in digitaler Form. Welche Zeiträume hier beachtet werden müssen, hängt wiederum von der Art der Mitarbeiterdaten ab. Halten Arbeitgebende die unterschiedlichen Löschfristen nicht ein, drohen ihnen zum Teil hohe Bußgelder.

Offboarding ist eine Kunst

Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass ein „freundlich“ gestalteter Offboarding-Prozess neben dem Input des Mitarbeitergesprächs, einer reibungslosen Übergabe aller Betriebsmittel und einer angemessenen und sinnvollen Übergabe auch auf lange Sicht Vorteile bietet: Fühlen sich Angestellte auch im Rahmen eines Unternehmensaustritts respektvoll behandelt und wertgeschätzt, dürfte die Wahrscheinlichkeit einer Weiterempfehlung des Arbeitgebers steigen. 

Und auch die Rückkehr einer hoch qualifizierten Fachkraft zu ihrem einstigen Arbeitgeber könnte damit eine Option bleiben. Die Gründe für ein professionelles Offboarding sind also, wie gezeigt, zahlreich und sollten als Ansporn für eine stetige Optimierung dienen.

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Über die Autorin

Tina Plewinski
Tina Plewinski Expertin für: Amazon

Bereits Anfang 2013 verschlug es Tina eher zufällig in die Redaktion von OnlinehändlerNews und damit auch in die Welt des Online-Handels. Ein besonderes Faible hat sie nicht nur für Kaffee und Literatur, sondern auch für Amazon – egal ob neue Services, spannende Technologien oder kuriose Patente: Alles, was mit dem US-Riesen zu tun hat, lässt ihr Herz höherschlagen. Nicht umsonst zeigt sie sich als Redakteurin vom Dienst für den Amazon Watchblog verantwortlich.

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