Pro oder contra?

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – nervige Überwachung oder sinnvoller Überblick?

Veröffentlicht: 13.04.2023 | Geschrieben von: Redaktion | Letzte Aktualisierung: 12.07.2023
Zeiterfassung: Hände halten eine Uhr

Im September vergangenen Jahres hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfassen müssen, und zwar lückenlos. Für Unternehmen ergeben sich dadurch neue Pflichten und offene Fragen – viele davon sind bis dato noch ungeklärt. 

Doch auch für Angestellte hat das Urteil Konsequenzen: Die einen dürften sich aufgrund der neuen Pflicht stärker überwacht und kontrolliert fühlen, für die anderen ist es vielleicht gar kein Problem. Fest steht: Es ist ein Thema, das für Uneinigkeit sorgt. Auch in der Redaktion von OnlinehändlerNews sind sich die Geister nicht ganz einig. Zwei dieser Geister sind unsere Redakteure Christoph und Tina.

Christoph: Arbeitszeiterfassung? Es kommt drauf an

Die Sache mit der Arbeitszeiterfassung lässt sich ja von zwei Seiten betrachten. Von der Arbeitnehmer- und von der Arbeitgeberseite. Für beide Seiten geht es letztlich um Sicherheit vor Arbeitszeitbetrug. Und da haben wir direkt mein größtes Problem mit einer Pflicht zur Arbeitserfassung. Denn warum benötigen wir diese? Weil es in Deutschland große Verwerfung im Vertrauen zwischen Führungspersönlichkeiten und Mitarbeitern gibt. Als Mitarbeiter bin ich auf ein solches System angewiesen, wenn ich Überstunde an Überstunde reihe und effektiv vom Unternehmen ausgenutzt werden. Als Chef gehe ich offenbar davon aus, dass die Mitarbeiter nicht die vereinbarte Arbeitszeit leisten.

Es klingt freilich maximal naiv, aber was ist das für eine Arbeitskultur? Ich habe es so ähnlich schon einmal zum Thema Homeoffice gesagt: Wenn ich meinem Mitarbeiter nicht vertraue, wenn ich davon ausgehe, dass er gar nicht die geforderte Arbeitszeit erfüllt, dann bedeutet das entweder, dass das Jobprofil nicht passt, dass der Mitarbeiter nicht auf die Stelle passt oder dass ich ein sehr gestörtes Vertrauensverhältnis zur Mitarbeiterschaft habe. Wenn ich umgekehrt eine Arbeitszeiterfassung benötige, um sicherzustellen, dass ich vom Unternehmen nicht ausgebeutet werde, dann müsste ich mir eigentlich Gedanken darüber machen, ob ich diesen Job so weiter machen möchte.

Ich weiß, dass das eine Sichtweise ist, die darauf basiert, dass charakterlich alle Menschen einwandfrei sind und ich weiß, dass das im Arbeitsalltag in Deutschland in sehr vielen Fällen leider nur ein sehr süßer Wunschtraum ist. Dass die faire Behandlung der Angestellten in Deutschland ein fortdauernder Kampf ist, sehen wir ganz aktuell an den Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst. Letztlich vertrete ich wohl gar nicht unbedingt die Contra-Seite, wenn es um Arbeitszeiterfassung geht, sondern eher die naive Ansicht, dass man so etwas im besten Falle gar nicht erst bräuchte. Man wird ja noch träumen dürfen.

Tina: Ohne Selbstüberwachung droht Überlastung

Während Skeptiker Szenarien umfassender Überwachung und nerviger Pflichten heraufbeschwören, sehe ich für mich persönlich kein Problem in der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung. Ich weiß aus Unterhaltungen mit Freunden und Familie, dass neue Prozesse und Stechuhrprinzipien in einigen Arbeitsfeldern wie der Pflege durchaus Probleme bringen und sogar vormalige Freiheiten deutlich einschränken. 

Doch ich kann nur aus meiner ganz persönlichen Sicht berichten – und ich befinde mich in einer äußerst privilegierten Position, in der ich die Vorteile von flexibler Arbeit, oder besser gesagt Mobile Working, genießen darf. Und in dieser Situation bedeutet für mich die Zeiterfassung eine Form der Selbstüberwachung und -regulierung. Und das im besten Sinne.

Wem Überstunden bezahlt werden oder wer diese abfeiern darf, dem dürfte es grundsätzlich nicht sonderlich schwerfallen, eine Abrechnung der Arbeitszeit aufzustellen, um sich die Vergütung zu sichern, die ihm zusteht. Bei unbezahlten Überstunden sieht das allerdings anders aus: Hier mal 30 Minuten mehr, da mal ein Stündchen länger – im Arbeitsalltag und mit genug Motivation ist das oftmals kein Problem. Aber in der Summe schadet sich der Arbeitnehmer damit selbst: Er leistet unbezahlte Arbeit, unterstützt eventuell sogar ein toxisches Verhältnis zur Arbeitszeit innerhalb des Teams und gefährdet auf lange Sicht auch seine eigene Gesundheit. 

Ich selbst würde mich eher als Arbeitstier einschätzen. Doch gerade übertriebener Arbeitseifer ist es, der über lange Zeit hinweg und fast unbemerkt zu einem Faktor für Erschöpfung und Überlastung werden kann.

Selbstreflexion und -überwachung kann helfen, im Blick zu behalten, wann ein gesundes Maß an Arbeit erreicht und/oder überschritten ist. Dies gilt sowohl aus Sicht des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers. Und hat man erstmal Schwarz auf Weiß einen transparenten Überblick über Geleistetes, so fällt es in der Regel viel leichter, unausgewogene oder gar ungesunde Verhaltensweisen abzulegen oder zumindest anzugehen. Somit sehe ich die Arbeitszeiterfassung nicht als Übel, sondern eher als Chance, ein angestrebtes Gleichgewicht zu finden.

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