Autokauf in der Krise?

„Die Coronakrise wird für die Automobilbranche zur größten Herausforderung überhaupt“

Veröffentlicht: 25.05.2020 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 25.05.2020
Autos auf Parkplatz

Die Coronakrise hat sich längst zu einer immensen Wirtschaftskrise entwickelt. Das BIP ist im ersten Quartal um 2,2 Prozent zurückgegangen, für das zweite Quartal wird ein noch stärkerer Einbruch erwartet. Konsumausgaben sind bei vielen Menschen derzeit nicht vorgesehen. Je hochpreisiger das Segment, desto prekärer die Lage. Eine der besonders betroffenen Branchen ist die Automobilbranche. Bei VW zum Beispiel sind die Neuzulassungen im April um zwei Drittel zurückgegangen, verglichen mit dem Vorjahr. Kernmarken-Vertriebschef Jürgen Stackmann spricht laut Welt von „alarmierenden“ Konsumdaten. „Im April gab es einen allgemeinen Neuzulassungsrückgang von 61 Prozent. Das betrifft mehr oder weniger fast alle Hersteller“, erklärt Olaf Hansen, Direktor Marketing bei Ford Deutschland, gegenüber OHN.

Der Focus spricht von einer Million unverkauften Autos, die ohne Kaufanreize kaum zu verkaufen seien. Olaf Hansen von Ford sagt: „Das gesamte Frühjahrsgeschäft ist quasi zum Erliegen gekommen. Die Automobilindustrie steht vor einem massiven Umsatz- und Gewinneinbruch in diesem Jahr.“ Das bekommen nicht nur die Hersteller zu spüren. Auch Zulieferer mussten ihre Mitarbeiter großflächig in Kurzarbeit schicken und massive Umsatzverluste wegstecken. Für Händler und Online-Plattformen und auch für Anbieter neuer Mobilitätsmodelle gestaltet sich die Situation gleichermaßen schwierig. Doch die Branche zeigt sich hoffnungsvoll. Nach der Talsohle im März/April macht sich Optimismus breit.

Kaufprämien als Lösung?

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Programm, um die Industrie zu unterstützen. Im Gespräch sind wieder einmal Kaufprämien. Diskutiert wird über Prämien vor allem für Elektrofahrzeuge und sparsame Benziner, Umweltverbände sind nicht überzeugt, die Meinungen dazu sind gespalten. Bei Ford zum Beispiel ist man nachvollziehbarerweise dafür. „Eine Kaufprämie muss für den Kunden einfach verständlich sein, sie muss vor allem aber in der Breite greifen. Wir können uns dabei nicht nur auf elektrische oder Plugin-Hybrid-Fahrzeuge konzentrieren, wenn die Maßnahme auch eine entsprechend große wirtschaftliche Wirkung haben soll“, so Hansen.

Etwas anders sieht das Stephan Lützenkirchen, Mitgründer der Auto-Abo-Plattform ViveLaCar. Prämien seien ein üblicher Reflex und hätten in der Vergangenheit zum Teil auch funktioniert. „Allerdings ging es da vor allem der Automobilindustrie schlecht und jetzt geht es ja um alle Wirtschaftsbereiche. Von daher ist Skepsis angebracht: Warum soll ein Händler oder Handwerker jetzt ein Auto kaufen, bloß weil es besondere Anreize gibt, er aber um seine Zukunft bangt?“ Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer brachte im April eine Senkung der Mehrwertsteuer ins Gespräch. Diese wiederum würde Lützenkirchen zufolge nur Privatkunden stimulieren.

Jochen Kurz, Director Product bei AutoScout24, sieht Kaufprämien als guten „Hebel, um die Nachfrage zu steigern, wichtig ist aber, dass wir schnell Klarheit bekommen, ob es diese Prämien geben wird oder nicht. Ansonsten warten Konsumenten mit ihrem Kauf, weil sie möglicherweise vergeblich auf Prämien hoffen.“ Plattformen wie AutoScout24 sind sowohl von geschäftsfähigen Anbietern als auch von kaufbereiten Kunden abhängig. Zwar gab auch bei hier die Nachfrage im März zunächst nach, doch überraschenderweise ändere der Großteil der Nutzer seine Kaufabsicht nicht.

In einer Nutzerumfrage geben 60 Prozent der Befragten an, nach wie vor ein Auto kaufen zu wollen. Daher dürfe man sich mit eventuellen Prämien nicht zu viel Zeit lassen, sonst werde der Autokauf auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Dies hilft den handelnden Personen in der aktuellen Situation aber nicht. Um das Geschäft anzukurbeln, setzt AutoScout24 seinerseits auf Rabatte. Ford wiederum, das seine Produktion seit dem 4. Mai wieder hochfährt, bietet seinerseits spezielle Finanzierungsmöglichkeiten, um einen Autokauf trotzdem realisieren zu können – und das Geschäft in der Krise am Laufen zu halten.

Vertrauen in den Wunsch nach Individualmobilität

Die Hoffnung, dass das Interesse am Automobil, das in den vergangenen Monaten nicht auf dem Niveau des Vorjahreszeitraums war, nun wieder steigt, eint die Branche. Unbegründet ist sie nicht, denn noch angeschlagener als die Automobilhersteller sind derzeit die Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs. In Zeiten, in denen es gilt, Distanz zu halten, steigen die Menschen ungern in Bus und Bahn. Laut dem McKinsey Center for Future Mobility sind die Fahrgastzahlen des ÖPNV in deutschen Städten um 70 bis 90 Prozent eingebrochen. Natürlich liegt das vor allem daran, dass die Menschen derzeit generell weniger in die Öffentlichkeit gehen. Aber: Im eigenen Auto fühlen sich einer Studie zufolge fast alle Menschen derzeit genauso wohl wie vor der Pandemie, schreibt der Spiegel.

Was für den ÖPNV zur Existenzbedrohung werden kann, ist für die Automobilindustrie das Rettungsseil. Laut AutoScout24 ist das eigene Fahrzeug durch die Coronakrise wichtiger als je zuvor. Die Menschen müssen einkaufen oder zur Arbeit, „und da muss man ja irgendwie hinkommen“, bringt es Stephan Lützenkirchen auf den Punkt. Aufgrund der aktuellen Situation geht Olaf Hansen davon aus, „dass die Kilometerleistung der Fahrzeuge eher sogar steigen wird“. Und das nicht, nur, weil der Nahverkehr gemieden wird: „Reisen werden in diesem Jahr wahrscheinlich eher mit Auto und weniger mit dem Flugzeug angetreten.“

Das heißt nun zwar nicht, dass automatisch die Verkaufszahlen für Autos sprunghaft ansteigen werden, der Bedarf an Mobilität muss aber nach wie vor gedeckt werden. Das hilft Werkstätten und Teile-Händlern. „Den Service- und Teile-Bedarf bei den Kunden gibt es nach wie vor und dieser ist auch mit Beginn der Coronakrise nicht so stark gesunken wie im Neufahrzeug-Geschäft. Darum haben wir uns schon sehr früh um eine weiterhin ausreichende Ersatzteil-Versorgung für unsere Händler gekümmert“, erklärt Hansen.

Aufwind für das Abo

Darüber hinaus könnte es frischen Vertriebsmodellen Aufwind geben. Prof. Dr. Markus B. Hofer, Geschäftsführender Gesellschafter von EbelHofer Strategy & Management Consultants, hält es für unbestritten, „dass dem Online-Kanal im Automobilvertrieb zukünftig eine immer größere Bedeutung zukommen wird und Absätze sowie Umsätze dort deutlich steigen werden.“ Dies dürfte in der Krise umso mehr gelten, allerdings nicht zwangsläufig für den reinen Autokauf. Autovermietung, Leasing und andere Modelle gewinnen an Relevanz.

Stephan Lützenkirchen will mit ViveLaCar das Auto-Abo in den Breite bringen und freut sich aktuell über gestiegene Nachfrage. Um die Autos als Abonnement online anbieten zu kommen, müssen diese aber auch vorrätig sein. Man müsse aufgrund der Nachfrage derzeit viele Händler „aktivieren, zusätzliche Fahrzeuge auf die Plattform zu stellen“, da aber viele Autohäuser in den vergangenen Wochen geschlossen waren, sei der Prozess gestört gewesen. Lützenkirchen ist sicher: „Die Corona-Krise wird für die Automobilbranche zur sicher größten Herausforderung überhaupt.“ Die Branche stecke derzeit ohnehin in einem massiven Wandel, in dem die öffentliche Diskussion und der Ruf nach neuen Modellen und Technologien Druck ausüben. Jetzt in der Krise werde „es sicher viele Verlierer geben – allerdings auch Rückenwind für Veränderungen und die braucht die Branche.“

Eine dieser Veränderungen ist für Lützenkirchen der Trend „Nutzen statt Besitzen“, der sich weiter verfestigen werde, gerade jetzt, wo man vielleicht nicht Tausende von Euro für ein eigenes Auto ausgeben will. „Ein paar Klicks und das Auto ist online ausgewählt und wenige Tage später kann ich es beim Händler meiner Wahl abholen“, so Lützenkirchen. Jochen Kurz von AutoScout24 teilt diese Auffassung: „Da einige Nutzer sich in Krisenzeiten nicht finanziell festlegen wollen, werden jetzt andere Modelle wie Auto-Abos noch spannender.“

Allerdings stehen vor allem die Anbieter kurzfristiger Nutzungsmöglichkeiten, also Ride- und Carsharing-Anbieter, vor ganz eigenen Herausforderungen. „Social-Distancing ist schwierig zu managen, aber auch wechselnde Fahrzeug-Besitzer und -Fahrer sind eine Herausforderung“, gibt Olaf Hansen zu Bedenken. Hansen glaubt an den Wunsch zur Individualmobilität, aber: „Ich glaube nicht, dass viele Menschen sich jetzt sagen, dass sie Mobilität für drei bis vier Monate brauchen. In drei bis vier Monaten ist der Virus immer noch da, der macht keine Pause. Das heißt, wir denken über andere Zyklen nach bei Menschen, die ihre Individualmobilität schätzen und da ist das Abo-Modell, glaube ich, nicht das favorisierte Modell.“

Wann sich die Branche wieder ganz auf neue Antriebe, Mobilitätskonzepte, Vertriebswege und das Auto als Statussymbol konzentrieren, wann also das Geschäft wieder so läuft, wie es vor der Coronakrise gang und gäbe war – das wird wohl erst deutlich, wenn die Coronakrise irgendwann vorbei ist. Ob die mögliche Einführung von Kaufprämien im Juni Entspannung bringt? Zweifel sind zumindest angebracht.

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