Themenreihe Logistik

Vom Lager bis zur Letzten Meile: Wie KI die Spielregeln der Logistik verändert

Veröffentlicht: 28.03.2024 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 11.04.2024
KI in der Logistik

Dieser Artikel ist Teil unserer Logistik-Themenreihe. In verschiedenen Beiträgen stellen wir zentrale Schwerpunkte wie Hürden innerhalb der Lieferketten, moderne Arbeitszeitmodelle in der Branche, Potenziale künstlicher Intelligenz, rechtliche Absicherung beim Versand oder die Optimierungen von Verpackungen in den Fokus.

>>> Hier geht’s zur Themenreihe!

Es ist das Thema, das seit mindestens zwei Jahren alle Lebensbereiche bestimmt: künstliche Intelligenz (KI). Als OpenAI sein KI-Tool ChatGPT für die Allgemeinheit verfügbar machte, sorgte das für Staunen. ChatGPT ließ sich in Gespräche verwickeln, beantwortete Fragen, vor allem aber zeigte der KI-Chatbot der breiten Allgemeinheit, wie weit die Technologie schon ist. Das sorgte wahlweise für Verunsicherung oder Begeisterung und startete den KI-Wettlauf der großen Tech-Konzerne. 

Es wirkte fast so, als sei ChatGPT die Geburtsstunde der künstlichen Intelligenz. Und das ist natürlich falsch. Geforscht wird an dem Thema seit Jahrzehnten, in der Wirtschaft wird KI seit langer Zeit eingesetzt. Man muss sich nur mal die Algorithmen der großen Online-Marktplätze oder die Google-Suche anschauen. Oder man blickt in die Logistikbranche, in der die Technologie mindestens ebenso lange im Einsatz ist. 

Mit künstlicher Intelligenz sind viele Versprechen verbunden: mehr Effizienz, weniger Kosten, geringere Anfälligkeit für Fehler in vielen Bereichen. Als Laie denkt man an Roboter im Warenlager, die die Arbeiter:innen ersetzen. Aber wie wird KI denn konkret eingesetzt? Wie nutzen DHL, Hermes oder auch Amazon KI, um ihre Prozesse zu optimieren und was bringt das eigentlich den (Online-)Händler:innen und letztlich den Endkund:innen? Schauen wir doch einmal genauer hin.

Amazon: Voll digitalisiert auf die Letzte Meile

Der größte Online-Marktplatz der Welt, Cloud-Anbieter, Technik-Hersteller – Amazon treibt sich in vielen Bereichen herum. Dabei vergisst man gern, dass Amazon mittlerweile auch einer der größten und wichtigsten Logistiker der Welt ist. Und wie es bei dem Konzern üblich ist, setzt er auch an dieser Stelle in großem Maße auf Technologie und künstliche Intelligenz. 

Welchen Stellenwert KI in den Lagern von Amazon hat, erklärt Norbert Brandau, Regionaldirektor bei Amazon, der seit über 20 Jahren im Konzern arbeitet: „Früher sind wir durch die Lagergänge gegangen und haben mit Zettel und Bleistift kommissioniert, für die Planungen gab’s nur Excel. Das war sehr ungenau und fehleranfällig. Heute haben wir digitale Systeme, die dazulernen. Wir wissen aus Vergangenheitsdaten ziemlich genau, wann welche Ereignisse eintreffen und können auf dieser Basis einen genaueren Forecast erstellen.“

Es geht aber nicht darum, mit Technik und KI menschliche Arbeiter zu ersetzen. Das betont Amazon und das zeigt sich ganz generell, wenn man sich die Entwicklungen bei den großen KEP-Dienstleistern anschaut. KI soll vor allem dafür sorgen, Arbeit effizienter und resilienter zu gestalten bzw. den Menschen, die die Arbeit verrichten, das Leben leichter zu machen. Linda Wings, die eine Studie des Fraunhofer IML und der Fraunhofer Austria Research GmbH zum Einsatz von Ressourcenplanungssystemen (RPS) geleitet hat, erklärt: „In der Logistik ist nach wie vor der Mensch selbst und seine Arbeit der Dreh- und Angelpunkt und damit wichtig für erfolgreiche Prozesse. Seinen Einsatz effizient und anforderungsgerecht zu planen, ist der langfristige Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen und wird durch digitale Ressourcenplanungssysteme unterstützt. Durch sie profitieren Mitarbeitende von mehr Planungssicherheit bei den Schichtplänen und einer Prävention von Über- oder Unterforderung.“

Auch der Transport ist bei Amazon quasi voll digitalisiert und ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz in seiner aktuellen Form gar nicht mehr möglich. So setzt der Konzern etwa maschinelles Lernen ein, um vorherzusagen, was Kund:innen zu bestimmten Zeiten in bestimmten Regionen benötigen. Der Lagerbestand wird mittels KI so geplant, dass Fahrtwege möglichst kurz ausfallen. Intelligente Algorithmen sollen bei der Planung von Lkw-Routen und bei der Auslastung der Fahrzeuge helfen. Auf der Letzten Meile werden Öffnungszeiten von Geschäften eingepreist oder auch die Wahrscheinlichkeit, wann die Kund:innen zu Hause sind. Um diese ganzen Daten effizient zu sammeln und zu verarbeiten, wird ebenfalls KI genutzt.

DHL Group: Milliardeninvestitionen in die digitale Transformation

Auch die DHL Group setzt künstliche Intelligenz bei einer Vielzahl von Prozessen ein. Der Konzern sieht die Digitalisierung der eigenen Prozesse und den Einsatz künstlicher Intelligenz „als einen wesentlichen Faktor, um das Logistik-Kerngeschäft weiterzuentwickeln“, so ein DHL-Sprecher gegenüber OHN. Das sollen nicht nur leere Worte sein, das verfolgt die DHL Group auch mit Milliardeninvestitionen: Im Rahmen der „Strategie 2025“ investiert DHL über zwei Milliarden Euro in die digitale Transformation, ein bedeutender Teil davon werde in KI-Entwicklungen gesteckt.

Wie Amazon betont auch DHL, dass es nicht darum gehe, die menschlichen Arbeiter durch Technologie zu ersetzen: „Künstliche Intelligenz und Robotik unterstützen unsere Mitarbeitenden vor allem bei sich regelmäßig wiederholenden und ermüdenden Tätigkeiten. Der Mensch wird dabei nicht ersetzt. Vielmehr arbeitet er mit der Maschine zusammen und kontrolliert beispielsweise ihre Ergebnisse.“ Durch KI-Einsatz ändern sich Aufgabenprofile, gleichzeitig sollen neue Jobs entstehen. „Es werden nicht Jobs, sondern einzelne Aufgaben automatisiert durch KI.“

Die Konzernsparte DHL Supply Chain setzt künstliche Intelligenz in Verbindung mit Robotik und Internet-of-Things-Anwendungen bereits großflächig ein, zum Beispiel in der Lagerhaltung, Auftragsabwicklung (z. B. Kommissionierung, Verpackungs- und Sortiertechnik) oder auch in der Anlagenüberwachung. Ein konkretes Beispiel, das auch Online-Händlern zugutekommen soll, ist etwa IDEA. Das ist eine Plug-and-Play-Software-Lösung, die das E-Fulfillment für Online-Shops verbessern soll. Dabei werden Algorithmen genutzt, um beispielsweise Routen bei der Kommissionierung der Ware im Lager zu optimieren.

Apropos Routenplanung: Auch in der Paketzustellung kommt KI zum Einsatz, indem sie für den Paketfahrer je nach Bedarf einen Haltestellenplan erstellt. Dieser basiert auf Mustern, die in Zustelldaten identifiziert wurden. Die Fahrten sollen sich so schneller und umweltschonender erledigen lassen. Sogar beim Erstellen der Zolltarifnummer wird KI eingesetzt. Das sogenannte „‚Product Classification Tool“ identifiziert und klassifiziert Waren automatisch auf der Grundlage der Rechnung und weist die entsprechende Zolltarifnummer zu. Die Genauigkeit der Zuweisung wird von dem Tool mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angegeben. Anhand dieser Einschätzung können die Zollspezialisten entscheiden, ob sie die Klassifizierung des Tools ohne weitere manuelle Überprüfung akzeptieren.

Hermes: Fokus auf den Kundennutzen

Hermes Germany befindet sich seit Jahren in einem „kontinuierlichen digitalen Transformationsprozess“, wie es der Logistiker umschreibt. Es gehe dabei aber nicht nur um die Optimierung bestehender Prozesse. „Vielmehr setzen wir uns ganzheitlich mit neuen, zukunftsweisenden Technologien wie KI auseinander und eruieren, inwieweit diese Mehrwerte für unsere Zusammenarbeit und Prozesse wie auch den Kundennutzen erbringen können.“ Als kundenzentriertes Beispiel nennt das Unternehmen den KI-basierten Assistenten Bo, der schon seit 2020 Fragen via WhatsApp beantwortet und mittlerweile auch telefonisch erreichbar ist.

Hinter den Kulissen wird künstliche Intelligenz zur Prozessoptimierung und Automatisierung von internen Prozessen eingesetzt, etwa bei der Betrugsprävention oder bei Zustellprognosen. In der Kreditorenbuchhaltung hat Hermes mit einer KI-Bezahllösung nach eigenen Angaben sogar einen Weg gefunden, um auf den bestehenden Fachkräftemangel zu reagieren, denn die Anwendung kann standardisierte Aufgaben in der Rechnungsbearbeitung mit geringer Fehlerquote übernehmen.

Wichtig ist Hermes auch, die eigenen Mitarbeiter:innen bei der Transformation mitzunehmen, etwa über E-Learnings oder Trainings. Kürzlich hat man in Kooperation mit der Universität Hamburg ein Training zum Thema generative KI umgesetzt. „Außerdem haben wir intern eine Initiative für Automatisierung und KI (kurz: AIKI) ins Leben gerufen, innerhalb derer sich ein interdisziplinär besetztes Team gezielt verschiedenen Use Cases widmet, die im Rahmen von Pilottests auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden“, erzählt uns ein Hermes-Sprecher. 

„Wir verstehen KI generell als Hilfsmittel, das dem Menschen dienen soll bzw. kann. Innerhalb der Otto Group haben wir darüber hinaus verbindliche Guidelines im Umgang mit (generativer) KI festgelegt und führen einen intensiven Austausch zwischen den Konzerngesellschaften über die Erfahrungen beim Einsatz ebendieser neuen Technologie.“

Der Mensch muss mitgenommen werden

Auch Logistik-Konzerne sind heutzutage Technologie-Unternehmen, die ohne KI-Einsatz kaum noch effizient funktionieren können. Was bei den meisten KEP-Dienstleistern aber deutlich wird, ist der Fokus auf den Menschen. Künstliche Intelligenz wird mehrheitlich als Chance begriffen, oft repetitive oder schwere Arbeit leichter zu machen und die Arbeiter:innen bei ihren Aufgaben zu unterstützen. 

Wie man es eher nicht macht, zeigte kürzlich der US-Anbieter UPS, der im Februar bekannt gegeben hat, 12.000 Stellen zu streichen, vor allem im Management-Bereich – und in dem Zuge erklärte, einen Teil der entlassenen Belegschaft durch künstliche Intelligenz ersetzen zu wollen. Solche Meldungen sind aber die Ausnahme.

Ganz nebenbei sorgen optimierte Prozesse und das Herunterfahren menschlicher Fehler im besten Fall für zufriedenere Geschäfts- und Endkund:innen. Das ist zumindest der Optimalfall. Dass auch 2024 noch nicht immer alles so klappt, wie es eigentlich sollte, zeigte Anfang des Jahres eine Anekdote über den KI-Chatbot von DPD. Ein Nutzer veröffentlichte bei X eine Kommunikation mit dem Chatbot. Er war nicht zufrieden mit den Antworten des Chatbots und forderte ihn auf, zu fluchen. Dieser bezeichnete DPD nach kurzer Diskussion als „schlechteste Zustellfirma der Welt“. Nach einem Systemupdate hatte der Chatbot offenbar Ansichten entwickelt, die nicht ganz mit der Firmenagenda konform gingen. Das Update wurde dann erst einmal rückgängig gemacht.

Die Grundlagen der reibungslosen Logistik

Du willst deinen Versandprozess verbessern und wissen, was die entscheidenden Faktoren beim Thema Logistik sind? Mit dem kostenlosen Logistik-Guide des Händlerbundes erhältst du alle wichtigen Grundlagen und Tipps & Tricks zu Verpackungen, Versanddienstleisterauswahl und Verpackungslizenzierung. Jetzt kostenfrei downloaden

Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Kontaktieren Sie Christoph Pech

Kommentare  

#1 Dirk 2024-04-02 10:47
Gerade in der Logistik ersetzt KI vielfach die Betreuung des Empfängers. Es ist nachvollziehbar , dass in diesem Bereich, wo der Anrufer noch nicht einmal Auftraggeber und somit Kunde des Logistikers, für hohe Kosten sorgt und zudem naturgemäß für Hotline-Mitarbe iter selten angenehm ist - kein Wunder, ruft der Sendungsempfäng er doch in der Regel nur an, wenn es ein Problem gibt.
Also dachte man sich - wir schaffen diesen Bereich einfahc ab udn ersetzen ihn durch KI und sog. virtuelle Assistenten, die allerdings nichts anderes machen als vorgefertigte Informationen und Textrbausteine anzuzeigen.
Und dieser vermeintlichen Service wird oft sogar noch mit durchaus arrogant wirkenden Kommentaren an die potentiellen Problembereiter addressiert: "Sie haben die Details. Sie sehen, was Kundendienstmit arbeiter mit Ihnen teilen würden. Wenn Sie mehr Unterstützung benötigen, verwenden Sie das "Virtuelle Assistentin". (UPS; das "das" wurde inzwischen durch ein "die" ersetzt).
Zu Deutsch: "Versuchen Sie nicht uns anzurufen. Unsere Mitarbeiter sehen auch nicht mehr in der Sendungsverfolg ung als Sie. Wir haben die Anzeige der angezeigten Informationen zudem stark eingeschränkt, um Sie als Laien nicht unnötig zu verwirren. Deswegen zeigen wir auch nicht mehr an, wenn Ihre Sendung statt des direkten Weges mehrfach kreuz und quer durch die Weltgeschichte fliegt und deshalb drei Tage später kommt."

Früher konnte der Hotline-Mitarbe iter tatsächlich mehr sehen als der Empfänger, z.B. ob die Sendung sich in einem Hub befindet, Im Transit oder auf dem Zustellfahrzeug . Teilweise konnten sogar die Zusteller direkt kontaktiert werden z.B. um eine Sendung umzuleiten.
All das geht heute nicht mehr.
Die KI macht alles besser - ach nein - billiger.
Okay, du als Empfänger kannst nun nichts anderes mehr machen, als zu warten. Es kommt, wenn es kommt. Find dich damit ab! und nerv uns nicht mit deinem Frust über unsere Unfähigkeit.
Zitieren

Schreiben Sie einen Kommentar

Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.